Elektromobilität rechnet sich für die Hersteller bekanntlich am besten von oben nach unten. Das bedeutet für die Kunden: Zunächst kommen die starken und teuren, erst später die Vernunftmodelle auf den Markt.
So sieht das offensichtlich auch Volvo und debütiert in Sachen Elektroauto mit dem 300 kW/408 PS starken XC40 Recharge (Modelljahr 2022) zu mindestens 58.000 Euro (Stromverbrauch kombiniert: 25,0-23,8 kWh/100 km; CO2-Emissionen kombiniert: 0 g/km²). Vom selbstbewussten Basispreis können in Deutschland maximal 7.975 Euro an Fördergeldern abgezogen werden, was den P8 noch immer nicht zum Schnäppchen werden lässt.
Erst gegen Ende 2021 wollen die Schweden eine weitaus günstigere und leistungsschwächere Elektro-Variante des XC40 anbieten – dann ohne zweiter E-Maschine und nur mit Frontantrieb. Der von uns gefahrene XC40 Recharge setzt hingegen auf die Technik des Polestar 2, mit dem er sich zugleich die Plattform teilt (Stromverbrauch kombiniert: 19,3 kWh/100 km; CO2-Emissionen kombiniert: 0g/km²).
Die beiden 150 kW/204 PS und 330 Nm starken Permanentmagnet-Synchronmotoren an der Vorder- und Hinterachse sorgen nicht nur für einen elektrischen Allradantrieb, sondern gleichzeitig für sportive Fahrleistungen. In nur 4,9 Sekunden will der Volvo von null auf 100 km/h eilen, im ersten Selbstversuch waren es derlei eher sechs Sekunden.
Abgeregelt wird – wie bei den Volvo-Verbrennern – bei Tempo 180, wobei dieser Umstand bei einem Elektroauto ohnehin zweitrangig ist. Es interessiert mehr die Reichweite, die Volvo mit 400 bis maximal 539 Kilometer angibt. Im Auto selbst gibt es dagegen keine Möglichkeit mehr abzulesen, wie weit man mit einer Akkuladung kommt. Mit dem Umstieg auf Android Automotive als Betriebssystem vollzieht Volvo sogleich die Transformation zum fahrenden Smartphone, inklusive Batteriestandsanzeige ausschließlich in Prozentangaben.
Als erster großer Autobauer überhaupt nutzt Volvo (inklusive Polestar) das für Fahrzeuganwendungen spezialisierte System der Amerikaner, was zunächst positiv zu sehen ist. Das Volvo-eigene Betriebssystem war zuletzt sichtlich in die Jahre gekommen, Eigenentwicklungen lohnen aus wirtschaftlicher Sicht kaum. Mit Android Automotive setzt man dagegen auf eine weitgehend selbsterklärende Benutzeroberfläche, die höchstens von langjährigen Volvofahrern eine gewisse Eingewöhnung verlangt.
Klar ist aber auch: Das Autofahren als bewusste Handlung wird ab jetzt immer mehr in den Hintergrund gedrängt. Den bisher bekannten erweiterten Bordcomputer im Infotainment-Display gibt es nicht mehr, viele fahrrelevante Einstellungen sind (bewusst?) umständlich in Untermenüs gerutscht. Das ESP lässt sich nicht mehr deaktivieren. Viel wichtiger ist die Zugänglichkeit für mediale Anwendungen, von denen es im Play Store bislang aber nur sehr wenige gibt.
Bis sich hier das Angebot an Apps spürbar steigert, wird es voraussichtlich noch dauern. Kein anderer Autobauer nutzt bislang Android Automotive (Ford und PSA könnten demnächst folgen), um in den Kreis der App-Anbieter aufgenommen zu werden sind extreme Sicherheitsvorgaben zu erfüllen. Auch die Kartennavigation via Google Maps ist nur mehr eine simple Anwendung und es nicht auszuschließen, dass Volvo für erweiterte Umfänge (etwa für die Anzeige von Live-Verkehrsdaten) zukünftig eine Abo-Gebühr verlangen könnte.
Dafür arbeitet die Navigation sehr passabel, wenngleich die Ansagen Android-typisch sehr lieblos daherkommen. Spracheingaben werden dagegen in den allermeisten Fällen gut erkannt und natürlich kann der Google Assistant auch Witze erzählen oder Passagen aus Wikipedia vorlesen. Für wen die mediale Bespaßung nicht im Vordergrund steht, sondern weiterhin das Fahrvergnügen: Der XC40 bietet viel davon.
Nicht zuletzt durch sein unauffälliges Äußeres ist das Volvo-SUV im Stadtverkehr ein wahrer Wolf im Schafspelz. 660 Newtonmeter reißen beim Ampelstart erbarmungslos an und lassen so manchen PS-Protz mit großen Augen an der Haltelinie zurück.
Beim ersten Test in und um Hamburg gefiel die harmonische Fahrwerksabstimmung, die straffe aber noch angenehme Lenkgewichtung sowie das echte One-Pedal-Feeling. Die normale Stahlbremse wurde dagegen nur in ganz wenigen Momenten benötigt, an der Rekuperationsstärke lässt sich indes nichts verstellen. Auch in Sachen Fahrmodi bietet Volvo keinen Schnickschnack, einzig die Lenkung lässt sich auf ein „sportliches Fahrgefühl“ einstellen.
Was gibt es sonst zu berichten? Geladen werden kann der XC40 P8 Recharge mit maximal 11 kW-Wechselstrom oder mit bis zu 150 kW an Gleichstrom-Ladesäulen. Für eine Ladung der netto 75 kWh großen Lithium-Ionen-Batterie im Fahrzeugboden von null auf 80 Prozent sollen im Bestfall nur 40 Minuten vergehen. Testen konnten wir dies vor Ort allerdings nocht nicht. Beim Stromverbrauch setzten wir laut Bordanzeige eine erste, aber im Kurztest noch wenig aussagekräftige, Duftmarke um 30 kWh auf 100 Kilometer.
In Sachen Materialqualität und Verarbeitung gibt es auch beim elektrischen XC40 kaum etwas zu mäkeln, nur der neue „Mülleimer“ vor der Mittelarmlehne ist aus auffällig billigem Kunststoff gefertigt. Sitze und Sitzposition gefallen dagegen, auch die Raumausnutzung sowie der gut nutzbare Kofferraum mit 414 Liter Stauvolumen gibt sich alltagsfreundlich. Unter der ehemaligen Motorhaube befindet sich zudem ein gut 31 Liter fassendes Staufach - etwa für Ladekabel oder dreckige Sportklamotten.
Mit dem XC40 Recharge liefert Volvo ein Doppel-Debüt ab. Erstmals vollelektrisch und mit Android Automotive als Betriebssystem, gibt das Kompakt-SUV einen Ausblick auf die Zukunft der Schweden. Die sportiven Fahrleistungen der beiden E-Maschinen können überzeugen, der restliche Fahreindruck entspricht in weiten Teilen dem XC40 mit Benzin- oder Dieselantrieb. In Sachen Bedienung ist das neue System zwar ein Fortschritt, viele Funktionen erscheinen aber noch nicht ausgereift. Mit einem Basispreis von rund 58.000 Euro dürfte klar sein, dass auch der XC40 Recharge nicht die Massen elektrifizieren wird. (Text und Bild: Thomas Vogelhuber)