Der letzte Kontakt zu einem Hybrid-Volvo der 90er-Baureihe liegt schon knapp zwei Jahre zurück und hinterließ im Kopf des Autors eine eher durchwachsene Erinnerung. Eine knapp bemessene elektrische Reichweite, ewige Ladezeiten und ein hoher Langstreckenverbrauch störten das zu Anfang lebendig grün gezeichnete Bild erheblich. Doch seither hat sich einiges getan. Volvo verbesserte zum Modelljahr 2020 die Batterie um eine schnellere Aufladung zu ermöglichen und erhöhte vornehmlich ihre Kapazität für eine höhere Reichweite. Das war Grund genug, die Limousine S90 T8 Twin Engine einem ausgiebigen Test zu unterziehen (Kraftstoffverbrauch kombiniert: 2,1 l/100 km; CO2-Emissionen kombiniert: 48 g/km²).
Dienstag, 10:00 Uhr, Frankfurter Umland. Ein Tagestermin im "Ländle" außerhalb von Stuttgart steht an, 200 Kilometer Fahrstrecke. Mit voll aufgeladener Batterie parkt der S90 in der heimischen Garage. Die Nacht hätte es zum Aufladen nicht gebraucht, ihm reichten bei unserem Test knappe fünf Stunden an der 220-Volt-Dose. Das Display in der Instrumentenkombi zeigt 48 Kilometer elektrische und 810 Kilometer Verbrennerreichweite an. Das sollte reichen für die Hinfahrt am Morgen und die Rückfahrt in der Nacht.
In der Ruhe liegt die Kraft
Lautlos rolle ich aus der Garage. Anders als viele seiner Elektrokollegen gibt der S90 keinen Ton von sich, was uns ob der strengen EU-Richtlinien doch etwas verwundert. Egal, gibt es doch das Gefühl uneingeschränkter Überlegenheit gegenüber der Umwelt. Man erfreut seine Umgebung mit Lautlosigkeit, während Nachbars A45 wieder brüllt, als wäre er sauer ob der frühen Stunde. Rein elektrisch fahre ich die vier Kilometer in Richtung Autobahn, dort stelle ich den "Pilot Assist 2" auf Tempo 125 und halte das beheizte Lenkrad gemütlich in der rechten Hand. Kleiner Teaser vorab: Sie wird diesen Platz auf den nächsten zwei Stunden kaum verlassen müssen.
Die Autobahn: Gift für die Batteriereichweite
Kurz vor dem Darmstädter Kreuz sehe ich in der Instrumentenkombi, wie sich erstmalig auf der Strecke der Zweiliter-Vierzylinder zuschaltet. Der Tageskilometerzähler zeigt zu diesem Zeitpunkt 43 Kilometer. Das sind etwas weniger als zu Beginn der Fahrt prognostiziert wurden und etwa elf Kilometer weniger als die Werksangabe. Doch Autobahnbetrieb bekommt der elektrischen Reichweite nicht besonders. Der Elektromotor für die Hinterachse muss vergleichsweise viel arbeiten und kann nur in geringem Maße rekuperieren. Für die tägliche Pendelstrecke der Allermeisten mit einem erhöhten Anteil Stadtverkehr sollte diese Reichweite genügen, um dabei den Benzinmotor seltenst zu bemühen.
Der Volvo fährt fast so intelligent wie ein guter Autofahrer
Der Termin ist auf 12:30 Uhr angesetzt, die Ankunftszeit laut Navigationssystem beträgt 12:00 Uhr. Genügend Zeit für einen gemütlichen Fahrstil. Bis Tempo 135 funktioniert der oben angesprochene Autopilot, der nicht nur den Abstand zum Vordermann und die eingestellte Geschwindigkeit einhält, sondern auch dafür sorgt, dass der 2,1 Tonnen schwere S90 mittig in der Spur bleibt. Und das tut er mit einer erschreckenden Selbstverständlichkeit und Gelassenheit. Wer seine Hand lässig am Lenkrad hält, wird so gut wie nie aufgefordert werden, aktiv zu lenken. Der S90 erkennt Baustellenspuren und der eingehaltene Abstand zum Vordermann ist bisweilen "sportlich", aber unaufgeregt und damit im Sinne des Verkehrsflusses. Lediglich bei deutlich langsameren Verkehrsteilnehmern könnte die Bremsung etwas später eingeleitet werden, damit mehr Zeit und Wegstrecke zum Spurwechsel bleibt. Schade: Sind auf der linken Spur Verkehrsteilnehmer unterwegs, die langsamer fahren als der S90 auf der rechten, zieht er unbeirrt rechts an ihnen vorbei. Das können manch andere Hersteller mittlerweile besser. Positiv: Zum Abbremsen nutzt der Volvo vorrangig die Rekuperationsfunktion. Und er schaltet bei Bedarf, entsprechender Fahrsituation und bei weniger als 125 km/h den Motor ab. So hat der Hybrid auch Vorteile, selbst wenn die Batterie leergefahren wurde.
Im Innern mit Luxusliner-Qualitäten
Wie in meinem Fall. Die übrigen 150 Kilometer vergehen dank leerer Autobahn wie im Fluge: Die Sitzmassage der vorzüglichen Komfortsitze knetet mich kräftig durch und das grandiose Bowers & Wilkins-Soundsystem spielt die Lieblingssongs über Apple CarPlay, das leider noch nicht kabellos funktioniert. Überhaupt dürften ein wenig mehr Ablagen vorhanden sein. Dafür bietet der gemütliche Innenraum mit viel Leder, offenporigem Holz und Aluminiumapplikationen Grund zum Wohlfühlen. Sein Übriges steuert das adaptive Fahrwerk mit Luftfedern an der Hinterachse bei, das komfortabel abrollt, über schwere Verwerfungen und Querfugen für meinen Geschmack jedoch noch etwas eleganter hinwegschweben dürfte. Es handelt sich schließlich nicht um eine R-Line oder Polestar-Sowieso-Ausstattung.
Ordentliche Verbrauchswerte, aber keine Wunder
6,8. Diese Zahl steht am Ende auf dem Bordcomputer unter dem Reiter "Verbrauch". Sie ist absolut realistisch, tanke ich doch am Ziel angekommen etwa 11 Liter nach. Ein absolut respektabler Wert für ein Auto dieser Größe und gebotenen Leistung. Er zeigt aber auch, dass der Hybrid seine Vorteile gegenüber einem herkömmlichen Verbrenner ohne zusätzliche Elektrotechnologie nicht auf der Langstrecke ausspielen kann. Denn wer einen S90 T6 mit Tempomat auf der Autobahn dauerhaft mit 125 km/h bewegt, dürfte wohl kaum einen deutlich schlechteren Schnitt herausfahren, verzichtet aber natürlich auf die rein elektrische Fahrstrecke.
Sportlich nur, wenn's sein muss
Terminschluss, 21:15 Uhr, Ländle. Es geht auf den Heimweg. Zunächst liegen 22 Kilometer Schwarzwälder-Landstraße vor mir. Gute Gelegenheit, die querdynamischen Eigenschaften des S90 T8 Twin Engine ein wenig auszuprobieren. Kurve um Kurve geht es den Berg hinauf. Die Traktion ist dank Allradantrieb fantastisch, die gebotene Leistung samt Zusatz-Boost des Elektromotors vollkommen ausreichend. Dem Vierzylinder hat Volvo zum neuen Modelljahr sogar etwas Klang anerzogen. Er hört sich jetzt wenigstens nicht mehr so negativ angestrengt an, sondern tatsächlich etwas sportlich. Auf die Laufkultur eines Reihensechszylinders oder eines V8 sollte man allerdings nicht hoffen. Leider fehlt der Lenkung die Rückmeldung und eine durchschaubare Gewichtung, während das Fahrwerk auch schnelle Kurventempi auf schlechten Straßen sauber wegsteckt und gute "Wasserstandsmeldungen" abgibt. Den Berg hinunter rekuperiere ich wieder ein wenig Energie und generiere sogar sieben Kilometer elektrische Reichweite. Zwischenfazit: Sportlich fahren kann der S90 zwar, aber eben nur bedingt. Es ist nicht seine Stärke.
Expresszuschlag gibt's auch bei Volvo
Dafür möchte ich ab Autobahnauffahrt seine ganzen 390 PS Systemleistung spüren. Zwar sind die baden-württembergischen Autobahnen mittlerweile immer mehr limitiert. Doch irgendwann auf der A5 kommt das langersehnte weiße Schild mit den dazugehörigen grauen Balken. Ich möchte nach Hause, flüstere ich dem Volvo zu, stelle den Fahrmodus auf "Power" und drücke das rechte Pedal nach unten. Zügig zoomt sich der Tacho in Richtung 260, bei 257 setzt der elektronische Begrenzer ein. Bis dahin geht es durchaus flott, mit Unterstützung des Elektroboosts bis 170 km/h (darüber ist der E-Motor nicht unterstützend aktiv) auch schneller als im herkömmlich angetriebenen T6. Linksschleicher sind dabei sogar willkommen, generiert man durch scharfes Abbremsen doch Energie, die dann wieder zum Beschleunigen verwendet werden kann. Bei hohen Tempi fühlt sich der S90 pudelwohl, liegt satt auf der Straße und gibt gar keinen Anlass zur Klage. Selbst die Windgeräusche halten sich vornehm im Hintergrund. Als die Uhr 22:48 anzeigt, steuere ich die heimische Garage an. Ein Durchschnittstempo von 125 ist nicht schlecht für eine Strecke "von Tür zu Tür", ein Blick auf die Verbrauchsanzeige zeigt nun 17,3 Liter. Ein Maximalwert, der erwartbare Expresszuschlag, Wunder gibt es eben auch bei Volvo nicht. Beim Rangieren registriere ich, dass man sich Kritik in Schweden durchaus zu Herzen nimmt. So wurde die Bedienlogik des gläsernen Wählhebels angepasst. Man muss ihn nun auch aus der "Rekuperationsstufe B" nur noch zweimal anstatt bislang dreimal nach vorne schnippen, um den Rückwärtsgang einzulegen.
Fazit
Wer seinen Wagen häufig in der Stadt und bei Überlandverkehr nutzt, einen täglichen Aktionsradius von rund 50 Kilometern sowie Auflademöglichkeiten zuhause und/oder an der Arbeitsstelle hat, für den ist ein Volvo S90 T8 Twin Engine ein ideales Automobil. Die elektrische Reichweite ist realistisch erfahrbar, er bietet Platz und Komfort über Gebühr und einen gestalterisch tollen Auftritt. Bei einem Nutzungsprofil dieser Art können tatsächlich sehr niedrige Verbrauchswerte zustande kommen, da es möglich ist, praktisch ohne den Verbrennungsmotor zu fahren. Nutzt man den Wagen im Mix auf teils weiteren Strecken unter regelmäßigem Einsatz des Verbrenners, sind Verbrauchswerte um sieben Liter realistisch, sofern man sich zurückhalten kann. Wer nur Langstrecke mit Bleifußeinsatz fährt, kann sich den Hybriden schenken. (Text und Bild: Maximilian Planker)
Technische Daten*
- Modell: Volvo S90 T8 Twin Engine AWD Inscription
- Motor: Vierzylinder-Reihe, Kompressor- und Turboaufladung, 1.969 ccm
- Elektromotor: Hinterachs-Elektroantrieb mit Lithium-Ionen-Batterie
- Leistung: 390 PS (65 kW Elektromotor, 223 kW Benzinmotor) bei 6.000 U/min
- Drehmoment: 640 Nm
- Antrieb: Allradantrieb, Achtgang-Automatikgetriebe
- Verbrauch kombiniert: 2,1 l/100 km²
- CO2-Emissionen kombiniert: 48 g/km²
- Abgasnorm: Euro 6d-TEMP
- Beschleunigung (0 – 100 km/h): 5,1 s
- Höchstgeschwindigkeit: 250 km/h
- Abmessungen (L/B/H): 4,96 m/1,88 m/1,44 m
- Gewicht: ca. 2.031 Kg
- Grundpreis Österreich: ab 71.219 Euro
*Herstellerangaben