Der neue Volvo EX90 Twin Motor Performance AWD auf einen Blick
- Neues Volvo-Flaggschiff mit bis zu 517 PS
- Elektrische Reichweite bis zu 619 km
- DC-Laden mit bis zu 250 kW
- Hightech-Assistenz samt Lidar
- Viel Platz für Mensch und Gepäck
- Gewohnt nüchterner Innenraum
- Grundpreis (Deutschland) ab 83.600 Euro
Lang lebe der Volvo EX90, aber der XC90 ist noch nicht tot
Blinzelnde LED-Scheinwerfer zur Begrüßung, den NFC-Schlüssel auf dem Smartphone, vollgestopft mit Assistenten, die Unfälle vermeiden sollen und selbstverständlich vollelektrisch: Der EX90 ist für Volvo mehr als nur ein Flaggschiff; er ist auch ein Technologieträger. Kein Auto der Schweden war bisher moderner und kein Auto der Schweden war bisher teurer. Mindestens 83.600 Euro soll das 5,04 Meter lange Siebensitzer-SUV kosten. Für die zusätzliche Sitzreihe im Basismodell „Core“ werden nochmals 2.300 Euro extra verlangt.
Um den Kunden die finanzielle Entscheidung zu erleichtern, dürfte der Volvo XC90, der als Plug-in-Hybrid noch einige Jahre weiterleben darf, mit dem Facelift Ende 2024 ebenfalls spürbar teurer werden. Dann heißt es für die Volvo-Fans: Abwägen zwischen einer rein elektrischen Hersteller-Reichweite von 580 bis 619 Kilometern oder der großen Flexibilität eines Teilzeitstromers.
Performance-Variante mit bis zu 517 PS
Während das 205 kW/279 PS starke EX90-Basismodell mit einem netto 101 kWh großen NMC-Akku ausgestattet ist, verfügen die beiden Allradvarianten „Twin Motor AWD“ (300 kW/408 PS) und „Twin Motor Performance AWD“ (380 kW/517 PS) jeweils über Batterien mit einem Nettogehalt von 107 kWh. Letztere konnten wir nun zwischen den Vororten von Los Angeles und San Diego erstmals ausgiebig testen – und auch laden. Zumindest dann, wenn man unter der kalifornischen Sonne eine freie und zugleich funktionierende DC-Ladestation findet, die mehr als 150 kW abgeben kann.
Sorgen, die deutsche Elektroautofahrer im Jahr 2024 wohl eher nicht mehr plagen werden. Obwohl gerne gemeckert wird, scheint die hiesige Ladeinfrastruktur der in Kalifornien um zwei bis drei Jahre voraus zu sein. Doch zurück zum EX90: Obwohl der Stromspeicher noch mit 28 Prozent im Saft stand, startete der Ladevorgang mit durchaus respektablen 210 kW und pendelte sich etwas später bei rund 175 kW ein. Man darf dabei nicht vergessen, dass der EX90 nicht auf einer 800-Volt-, sondern lediglich auf einer 400-Volt-Architektur basiert.
Schnelles Laden, hoher Verbrauch
Das SUV soll maximal mit 235 kW (Single Motor) bis 250 kW (Twin Motor) laden können. Das ist auch gut so: Denn sonderlich sparsam geht der EX90 Twin Motor Performance AWD mit seinen Stromreserven nicht um. Selbst unter klimatisch idealen Bedingungen und einem Tempolimit von maximal 105 km/h (65 mph) verbrauchte der amerikanische Schwede – gebaut im Volvo-Werk Charleston, South Carolina – bei unserer Testfahrt rund 23 kWh pro 100 Kilometer. Hochgerechnet auf einen Betrieb in Deutschland mit zügigeren Autobahnfahrten (abgeregelt wird bei 180 km/h), sollte es also nicht überraschen, wenn der Bordcomputer auch mal 30 kWh anzeigt.
Auf Langstrecken dürfte die Reichweite somit eher auf 300 bis 400 Kilometer zusammenschrumpfen – abhängig von der Fahr- und Ladeweise. Wir gehen bei längeren Etappen, wie auch bei unserem Test zum Audi Q8 e-tron, davon aus, dass das Fahrzeug von circa 5 bis 80 Prozent geladen wird. Für das Laden von 10 auf 80 Prozent gibt Volvo übrigens eine DC-Ladezeit von rund 30 Minuten an.
So fährt sich der Volvo EX90 Twin Motor Performance AWD
Nun zur Frage, wie sich der neue EX90 als mindestens 101.300 Euro teures Top-Modell fahren lässt. Kurzum: Obwohl es die Performance-Variante mit ihren beiden Synchronmaschinen kurzzeitig auf beachtliche 380 kW/517 PS und 910 Nm Drehoment bringt, wird aus dem Volvo EX90 so schnell kein Cayenne-Jäger mehr werden. Die Längsbeschleunigung ist zwar nachdrücklich (0–100 km/h in 4,9 Sekunden), aber spätestens in Kurven wird deutlich spürbar, dass man einen 2,8 Tonnen schweren Hochbeiner fährt - allen Torque-Vectoring-Versuchen an der Hinterachse zum Trotz.
Und weil der EX90 so schwer und hoch gebaut ist, muss an anderer Stelle gegengesteuert werden. Das im Testwagen verbaute (optionale) adaptive 2-Kammer-Luftfahrwerk hat folglich alle Dämpfer voll zu tun, um dem großen Fahrzeug etwas Kurvendynamik zu verleihen. Das Ergebnis ist eine Federung, die zwar insgesamt souverän arbeitet, aber unserem Empfinden nach dennoch eine Spur zu hart abgestimmt ist. Aktive Wankstabilisierung und Hinterachslenkung werden indes nicht angeboten.
In der Bedienung stark reduziert, aber besser als beim EX30
Der sehr leise Innenraum des Volvo EX90 soll währenddessen schwedische Gemütlichkeit ausstrahlen. Echte Tasten und Knöpfe sind auf ein Minimum reduziert. Immerhin hat man ein Einsehen gehabt und anders als beim kleineren EX30 ein digitales Kombiinstrument hinter dem Lenkrad verbaut. Ebenfalls vorhanden ist ein Head-up Display. Während der EX90 einen erheblichen toten Winkel aufweist, hat es der Hersteller leider versäumt, die Bilder der Umgebungskameras in den Außenspiegeln aktiv in den Totwinkel-Assistenten zu integrieren – eine Funktion, die Kia beispielsweise im Sorento clever umgesetzt hat.
Nervig bleibt zudem der Aufmerksamkeitswarner, der schon beim kurzen Blick auf das 14,5 Zoll große Infotainment-Display mahnt, den Blick zurück auf die Fahrbahn zu richten. Dagegen gelingt die Bedienung über das Google-Betriebssystem gewohntermaßen gut. Ob man jedoch wirklich das Lenkrad, die Spiegel, Teile der Sitzverstellung und das Handschuhfach über den Bildschirm steuern muss, ist vor allem eine Geschmacksfrage.
Der Volvo EX90 mit Allrad kann bis zu 2,2 Tonnen ziehen
Das Kunstleder namens Nordico stieß ebenfalls auf gemischte Reaktionen, da es insbesondere ohne die optionale Sitzkühlung bei längeren Fahrten etwas schweißtreibend wirkt. Wir sind da eher Fans der bekannten Wollsitze von Volvo, die jedoch nicht für die Basisvariante des EX90 erhältlich sind. Der Blick wandert nach oben: Das getönte Glasdach (Serienausstattung) kann nicht weiter gedimmt werden. Wen das stört, bekommt im Volvo-Zubehör eine entsprechende Sonnenschutzblende - allerdings nur zum Einclipsen. Angesprochen auf den Platz gibt es in den beiden vorderen Sitzreihen ausreichend Bewegungsraum zu vermelden, in der dritten Reihe des getesteten Siebensitzers geht es naturgemäß enger zu. Für Erwachsene ist sie eher nicht zu empfehlen.
Alternativ stehen variantenabhängig Sitzkonfigurationen mit fünf oder sechs Plätzen zur Verfügung. Neben Luft und Liebe kann der große Schwede je nach Sitzstellung außerdem zwischen 310 und bis zu 1.915 Liter transportieren. Nicht unterschlagen wollen wir zudem den manuell zu öffnenden Frunk, der immerhin bis zu 34 Liter fassen kann. Reicht das alles nicht, dürfen die Allradler bis zu 2,2 Tonnen schwere Anhänger ziehen – der Hecktriebler darf dagegen nur 1,2 Tonnen an den Haken nehmen.
Erstes Fazit
Der neue Volvo EX90 Twin Motor Performance AWD fährt solide, bietet ausreichend Platz für die Insassen und bei Bedarf besonders viel variablen Stauraum für Gepäck oder den Besuch im schwedischen Möbelhaus. Ein späteres Software-Update soll zudem teilautomatisiertes Fahren ermöglichen, worauf bereits jetzt der prominent platzierte Lidar-Sensor auf dem Dach hinweist. Größte Kritikpunkte nach der ersten Fahrt in Kaliforniern sind der vergleichsweise hohe Stromverbrauch, die teils vertrackte Bedienung sowie die hohen Preise.
Der Testwagen zeigte zudem einige Kinderkrankheiten: Im Bereich der Rücksitze knarzte es beständig, der optionale NFC-Schlüssel auf dem Smartphone funktionierte oft nicht zuverlässig und die Belegungsmatten auf den Rücksitzen forderten manchmal Passagiere zum Anschnallen auf, die gar nicht da waren. Auch Apple CarPlay und die bidirektionale Ladefunktion werden zum Marktstart fehlen, was den Eindruck verstärkt, dass die ersten Kunden quasi als Betatester fungieren. Die Auslieferung der ersten Volvo EX90 soll nach einer fast einjährigen Verzögerung aufgrund von Software-Problemen noch im Herbst 2024 beginnen. Die Alternative bei den vollelektrischen Siebensitzer-SUV lautet: Kia EV9. (Text und Bild: Thomas Vogelhuber | Weitere Bilder: Volvo)