Vor ziemlich genau 20 Jahren feierte der VW Golf 4 R32 seinen Marktstart. Ein durchtrainierter Kompaktsportler mit einem famos klingenden 3,2-Liter-VR6-Motor. Stolz waren sie in Wolfsburg einst auf ihn. Heute hingegen reicht es gerade einmal für ein fahrbares Exemplar in der hauseigenen Klassikabteilung. Zu wenig, wie nicht nur wir, sondern auch andere Medienvertreter während der R-Days in München fanden! So waren die handverlesenen Heritage-Modelle stets vergriffen, wohingegen die zahlreich vorhandenen „R’s“ der Neuzeit den Parkplatz säumten.
Nicht, dass so ein Golf 8 R Variant (Kraftstoffverbrauch kombiniert: 8,1-7,8 l/100 km; CO2-Emissionen kombiniert: 185-177 g/km)² schlecht fahren würde. Er macht es allerdings auf eine andere Weise. Und so lässt sich über Ex-VW-Chef Martin Winterkorn (alias „Wiko“) so manches berichten, nicht aber, dass während seiner Amtszeit (ausschließlich) langweilige Autos entstanden wären. Ok, auch das war der Fall – siehe Golf 5 Plus. Jedoch kamen zwischen 2007 und 2015 auch Blüten des Fahrzeugbaus zum Vorschein, die heute erst so richtig zu strahlen beginnen. Der Golf R32 blieb während der Veranstaltung in München ein schnell entschwindendes Phantom, dagegen hatten wir die Gelegenheit uns einen Passat (B6) R36 zu schnappen.
Der VW Passat B6 als Gebrauchtwagen
Unabhängig ob R36, oder nicht: Der VW Passat B6, gebaut von 2005 bis 2010, geht unterm Strich als robuster Dauerläufer durch. Zwar bescheinigte ihm der TÜV früh eine erhöhte Mängelhäufigkeit, doch wurden viele „Passerati“ auch überdurchschnittlich viel gefahren. Diesel-Laufleistungen von mehr als 300.000 Kilometern sind bei Angeboten auf AutoScout24 keine Seltenheit. Dementsprechend gilt es vor allem die Fahrwerksteile, hier besonders Stoßdämpfer und Federn, genauestens zu prüfen. Erhöhter Verschleiß zeigt sich zudem bei den Bremsen.
Motorseitig sollte man Abstand von den Pumpe-Düse-Dieseln bis 2008 nehmen, die Euro4-Common-Rail-Selbstzünder späterer Baujahre sind zuverlässiger. Aber Achtung: Sie waren vom Diesel-Abgasskandal betroffen und müssten mittlerweile auf jeden Fall ein Software-Update erhalten haben. Bei den Benzinern spricht wenig gegen die TSI-Motoren; richtiges Öl und Super Plus tanken kann vor den typischen FSI-Problemen (z.B. Verkokungen) bewahren. Und der R36? Sein 3,6-Liter-VR6 gilt – bei richtiger Pflege – als unproblematisch. Steuerketten-Probleme, wie beispielsweise noch beim R32, waren und sind die Ausnahme. Fehleranfälliger war hier schon das Sechsgang-DSG, das mit Anfahrschwächen oder kompletten Getriebeschäden auf sich aufmerksam machte. In Sachen Rost gelten Heckklappe, Türunterkanten und Kotflügel als übermäßig anfällig.
Als Limousine sicherlich nicht der schönste Fisch im Teich, dafür einer, der geht wie Hechtsuppe! Der bekannte VR6 wurde ab 2008 (unter anderem) im Hubraum von 3,2 auf 3,6 Liter aufgeblasen, fährt nicht mehr 250, sondern 300 PS bei 6.600 Umdrehungen auf und erhielt eine Benzindirekteinspritzung. Der mit viel Argwohn beäugte FSI (Stichwort Verkokung) kam nicht nur im Passat zum Einsatz, er schaffte es sogar in den Porsche Cayenne E1. Hüben wie drüben als Langhuber konzipiert, packten die Stuttgarter eine andere Ansaugbrücke auf das Aggregat, veränderten die Motorsoftware und erzielten am Ende ein paar Newtonmeter mehr Drehmoment. Leistungsmäßig stachen die 300 PS des Passat die „lediglich“ 290 PS des Cayenne allerdings aus.
Aber genug in der Mottenkiste gewühlt: Wie fährt sich der allradgetriebene VW Passat (B6) R36, gut 14 Jahre nach seinem Debüt im Januar 2008? So, wie man sich das von einem R-Modell wünscht: Spritzig, sportlich-komfortabel, von einer feinen Soundkulisse umgeben. Nichts wirkt aufgesetzt, gefiltert oder gar reglementiert. Puffs und Bangs einer „Golf 8 R 20 Years“-Edition (Kraftstoffverbrauch kombiniert: 7,8 l/100 km; CO2-Emissionen kombiniert: 175 g/km)² sind dem „Passerati“ fremd, dagegen scheint das alte Sechsgang-Direktschaltgetriebe seinen Job besser zu verstehen als manch modernes DSG.
Verstellmöglichkeiten? Ein Heckscheibenrollo konnte elektrisch hoch- und runtergefahren werden. Aber im Ernst: Fahrwerk, Lenkung und Motor waren auf ihren Einsatzzweck hin schlicht und ergreifend ab Werk passend voreingestellt, nur die Automatik konnte noch in einen zackigeren S-Modus versetzt werden. Die touristische Runde auf der Nordschleife? Packt der R36 wahrscheinlich. Ein ehrgeiziger Zeitenjäger wollte er hingegen nie sein. Dabei ist die Lenkung von sehr direkter, sehr präziser Natur, gut gewichtet und teilt einigermaßen stimmig mit, was die Vorderachse so treibt.
In schnellen Kurven sorgt der schwere Rumpfmotor freilich für kopflastiges Untersteuern, das Heck folgt jedoch einigermaßen willig. ESP-Eingriffe sind bei jenen Manövern durchaus spürbar, aber nicht wirklich störend. Zur Not wird die elektronische Fangleine einfach deaktiviert. Was uns zu den qualitativen Stärken und Schwächen des Passat B6 im Innenraum führt.
Verglichen mit dem heute aktuellen Passat B8 merkt man zunächst, wie klein der B6 heute ist. Fahrer- und Beifahrer sitzen näher zusammen, das Gestühl ist deutlich enger geschnitten und insgesamt wirkt der Innenraum etwas filigraner. Dafür ist die Sitzposition höher und auch die Ergonomie mancher Bedienelemente wirkt durchdachter. Wie sehr sich die Zeiten geändert haben, fällt schlussendlich beim Navigationssystem auf. Es ist zwar auch heute noch gut zu nutzen, mittlerweile wissen wir aber, dass sich fest installierte Tastenfelder (wenngleich sie zum Herausfahren sind) nicht etabliert haben.
Zurück in die Zukunft im VW Passat (B6) R36! Wenngleich trinkfreudige 16 Liter Durchschnittsverbrauch heute mehr denn je die Gemüter erhitzen – der 3,6-Liter-VR6-Motor zeigt, woran viele moderne Autos (auch im VW-Konzern) kranken: Durch die fortschreitende Elektrifizierung geht ein Teil der Markenidentität verloren, die seelenlosen 2,0-Liter-Antriebe der heutigen R-Modelle sind da meist nur ein mehr oder minder dünnes Trostpflaster. Wer noch Platz in der Garage hat: Der VW Passat (B6) R36 ist es Wert für die Nachwelt erhalten zu bleiben.
*Herstellerangaben