Dürfen wir vorstellen: Tom. Seines Zeichens ein Volvo 850 T5-R der ersten „merkurgelben“ Serie. 1.975 Sportkombis wurden in diesem Farbton lackiert. Es folgten zwischen 1995 und 1996 je 3.025 Stück in schwarz und 500 Stück in dunkelgrün. Tom wird angetrieben von einem 2,3 Liter großer Fünfzylinder-Turbomotor mit 177 kW/240 PS.
Klingt irgendwie nach dem guten alten Fünfzylinder von Audi? Ist aber unterm Strich eine Eigenentwicklung von Volvo. 0,8 bar Ladedruck sorgen spätestens ab 3.000 Touren für ordentlichen Schub, wenn die maximal 330 Newtonmeter Drehmoment an den Vorderrädern anliegen. 1.451 Kilogramm bringt der 850 T5-R auf die Waage, trotz luftig-komfortabler Inneneinrichtung und einem Kofferraumvolumen von 420 bis maximal 1.580 Liter.
Im 850 T5-R arbeitet ein rassiger Fünfzylinder
Ach, wie schön waren die 1990er-Jahre. Ein Kassettenradio, wo heute ein Navibildschirm flimmert. Holzeinlagen, wo es in der Gegenwart meist schnöden Kunststoff oder Carbon zu bestaunen gibt. Hinter dem üppig dimensionierten und knopflosen Lenkrad sind noch echte Nadeln am Werkeln, inklusive Turbo-Anzeige und Bordcomputer im Mäusekinoformat.
Tief in das Lederpolster gelümmelt, den Zündschlüssel gedreht und dem quer eingebauten Fünfzylinder gelauscht, vergisst man schnell den Trubel unserer Tage. Internet, Smartphones oder nur ein ordentliches Handy waren Mitte der Neunziger noch nicht (fertig) entwickelt. Ein Autotelefon konnte oder mochte sich kaum jemand leisten. Dafür findet sich versteckt im Unterboden des Kofferraums ein Sechsfach-CD-Wechsler: Technik-Overkill vergangener Tage! Doch die Zukunft geht an niemanden vorbei und so taucht in Toms Rückspiegel ein weißer Farbklecks auf.
V60 T8 AWD Polestar Engineered zieht spielend vorbei
Wir könnten den Volvo V60 T8 AWD Polestar Engineered nun Billy oder Kallax nennen, würden dann aber wohl mit einer gewissen Möbelkette aneinandergeraten. Und so nennen wir ihn einfach Karl. Karl der schwedische Schönling ist der lebende Anverwandte des Volvo 850 T5-R und so praktisch wie ein Kleiderschrank, ziemlich schnell und auf dem Papier auch ziemlich sauber. Kühlschranktabelle A+, oder so ähnlich.
Locker zieht er am alten Recken vorbei, angetrieben von einem zwei Liter großen Vierzylinder-Turbo-Kompressor mit 233 kW/318 PS und einer 65 kW/87 PS starken E-Maschine (Kraftstoffverbrauch kombiniert: 2,0 l/100 km; CO2-Emissionen kombiniert: 46 g/km²). Im Hier und Jetzt angekommen gibt es freilich kein Kassettendeck mehr, der Kombi kann automatisch die Spur halten und verfügt, dank seiner eingeschränkten Sicht nach hinten, über eine Rückfahrkamera.
V60 mit toller Sitzposition, aber unterkühltem Interieur
Hinter dem Lenkrad prangt ein Display, genauso wie in der Mittelkonsole. Die Sitzposition im V60 Recharge T8 ist ungleich straffer, sportlicher und ergonomischer als im 850 T5-R. Das Interieur wirkt gewohnt hochwertig, aber zugleich unterkühlt. Ist die netto 9,1 kWh große Batterie im Fahrzeugboden vollständig geladen und wird das Fahrmoduswählrädchen auf „Polestar Engineered“ gestellt, marschiert der leistungsstärkste V60 nach vorn, als gäbe es kein Morgen mehr. Der elektrische Allradantrieb sorgt derweil für ausreichend Traktion.
Hin und wieder merkt der Fahrer allerdings, dass die allermeisten Pferdestärken über die Vorderräder abgegeben werden. Der erfahrbare Unterschied zwischen Tom, dem 850 T5-R, und Karl, dem V60 Power-Hybrid, ist gewaltig. Wäre auch schlimm, wenn nicht, wobei sich der 90er-Jahre-Kombi im direkten Vergleich gar nicht so schlecht schlägt.
850 T5-R: Viel Restkomfort und träge Automatik
Das Fahrwerk des 850 T5-R ist zwar spürbar auf Sport getrimmt, hinterlässt aber weiterhin einen komfortablen Resteindruck. Die Viergang-Wandlerautomatik schaltet derweil sauber, aber träge. Das zu jener Zeit ebenfalls verfügbare Fünfgang-Schaltgetriebe war für flotte Fahrer definitiv die bessere Wahl. Wind- und Abrollgeräusche sind nur in geringem Maße zu vernehmen, dafür erneut das wunderbare Grummeln und Turbosäuseln des Fünfzylinders.
Der V60 gibt hier eher den Kompromisslosen. Typisch Polestar wird auf ein adaptiv regelbares Fahrwerk verzichtet, dafür liefert Öhlins von außen verstellbare Dämpfer, die einen mehr als verbindlichen Kontakt zur Straße herstellen. Geräuschlos fährt der V60 durch die Stadt, auf der Landstraße kommt ein eher müdes Vierzylinder-Dröhnen hinzu. Dafür bereitet die elektrische Lenkung große Freude, wohingegen die Zahnstangenlenkung des 850 T5-R für solch ein Auto eher deplatziert wirkt. Zu große Lenkbewegungen sind von Nöten, damit Tom 814 ordentlich ums Eck gefahren werden kann.
Beide Volvos neigen zum Untersteuern
Beide Kombis haben allerdings gemein, dass sie gerne über die Vorderräder schieben. Der 850 T5-R hat zudem oft das Problem, seine Kraft auch beim Herausbeschleunigen nicht sauber auf die Straße zu bekommen. Trotz des satten Eigengewichts von über zwei Tonnen, lässt sich der V60 ziemlich unbeschwert durch Kurven scheuchen. Das fahrdynamische Limit erreicht man spät und elektronisch bestens abgesichert.
Abgesichert ist zudem ein gutes Stichwort. Denn wo Volvo Mitte der 1990er-Jahre noch stolz zwar, dass ihr 850er ein Spitzentempo von 245 km/h (240 km/h mit Automatik) abliefern konnte, bemüht man sich heute um markenpolitische Contenance. Selbst wer mindestens 67.748 Euro (inkl. 16% MwSt.) für den V60 T8 AWD Polestar Engineered lockermachen will, rennt bei Tempo 180 in den Begrenzer. Da blinkt schon mal der Ein-Liter-Polo von hinten die linke Spur frei.
Kaufberatung Volvo 850 T5-R
Kurz und knapp: Der Volvo 850 T5-R ist ein Dauerläufer. Ein durchaus empfehlenswerter Klassiker der Zukunft, der kurz vor seinem H-Kennzeichen steht. Ab 2025 ist es soweit, wenn in Europa die ersten Verbrennerverbote ausgesprochen werden sollen. Die Karosserie eines jeden 850er ist auf Langlebigkeit getrimmt, Rost kennt der Schwede kaum. Buchsen und Gelenke an der Vorderachse (insbesondere beim T5 und T5-R) verschleißen dafür häufiger, Bremsen neigen zu Quietschgeräuschen und Festsetzern.
Der Fünfzylinder-Turbo ist, bei ordentlicher Pflege, frei von Krankheiten. Regelmäßige Ölwechsel und ein Zahnriemenwechsel alle 120.000 Kilometer sind Laufleistungen jenseits der 350.000 Kilometer in jedem Fall zuträglich. Im Innenraum kann sich die Verkleidung der Heckklappe lösen, das Kunstleder neigt zur Rissbildung – ebenso das Dekoholz. Einen größeren Problemherd stellt dagegen die Klimaanlage dar, die im Alter gerne den Dienst versagt. Alles in allem aber ein beherrschbarer Kostenaufwand, um ein ungewöhnlich gewöhnliches Fahrzeug für die Nachwelt zu erhalten.
Fazit
Bleibt am Ende nur ein Problem: Woher nehmen, wenn nicht stehlen? Denn einen guten Volvo 850 T5-R zu finden ist gar nicht mehr so einfach. Angebote sind rar gesät, mancher Sportkombi ging durch die Hände dubioser Tuner. Normale Volvo 850er Modelle sind dagegen noch häufiger anzutreffen und bringen aufgrund ihrer Fünfzylinder-Motoren ebenfalls viel Charme mit.
Charme, den die heutigen Volvo-Modelle, trotz ihres blendenden Äußeren, in dieser Form nicht mehr zu bieten haben. Ja, so ein V60 T8 AWD Polestar Engineered fährt sich gut, kann sparsam bis emissionsfrei bewegt werden und macht auch auf der Landstraße eine gute Figur. Mangels emotionaler Motorisierung und bedingt durch den hohen Einstandspreis lautet der Sieger – nicht nur der Herzen – in diesem Fall aber klar: Tom, der Volvo 850 T5-R. (Text: Thomas Vogelhuber | Bilder: Hersteller)