Der große Unbekannte auf der Straße
Die Passanten sind unschlüssig. Ein Stromer klar, allein das deutsche E-Kennzeichen und die blauen Akzente deuten unmissverständlich darauf hin. Doch welcher Marke und vor allem: welches Modell? Der Ssangyong Korando e-Motion wirft bei seinem ersten Auftritt in der Frankfurter Innenstadt viele Fragen auf.
Seit gut zweieinhalb Jahren ist die C300-Generation des Ssangyong Korando im Handel. Die Verkaufszahlen sind nicht zuletzt durch die Corona-Krise hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Der neue e-Motion soll es nun richten als erstes batterieelektrisches Fahrzeug der Marke.
Am Grundkörper ändert sich nichts, es bleibt bei der 4,47m langen Kompakt-SUV-Karosse. Nur in Nuancen, eben jenen blauen Anbauteilen, unterscheidet er sich vom konventionell befeuerten Bruder. Höchstens an der Front kann ihn gut erkennen, die sich aerodynamisch glatt und geschlossen präsentiert.
Gute Verbrauchswerte dank effizientem Energiemanagement
Die strömungsgünstige Verkleidung hilft der Reichweite, die nach Norm mit 339 Kilometern angegeben wird. Ein Wert, den das LG-Akkupack mit 61,5kWh Kapazität im Alltag gut erreichen sollte. Auf der ersten Testfahrt erreichten wir bei eher flotter Fahrt und kalter Außentemperatur 22,1kWh/100km. Der Verbrauch fällt also relativ gering aus, was vor allem am guten Energiemanagement des Ssangyong Korando e-Motion liegt.
Dank serienmäßiger Wärmepumpe fällt das elektrische Heizen des Innenraums nicht mehr so stark ins Gewicht wie bei vielen Konkurrenten. Das digitale 12,3-Zoll-Instrumentarium weist meist Werte unter einem Kilowatt Leistungsaufnahme aus. Der Eco- oder gar Eco Plus-Modus muss entsprechend selten bemüht werden. Im Comfort-Modus steht neben der vollen Heizleistung auch die volle Dynamik des Antriebs zur Verfügung.
Komfortables Setup sorgt bequemes Fahrverhalten und Traktionsprobleme
Mit einer Leistung von 190PS und 360Nm ist der Ssangyong Korando e-Motion durchaus kräftig motorisiert. Mit knapp 1‘900kg ist er zwar kein Leichtgewicht, aber viele Mitbewerber bringen deutlich über zwei Tonnen auf die Waage. Der starke Elektromotor bringt ihn entsprechend zügig auf Touren, das Prospekt notiert nur 8,5 Sekunden für den Standardsprint. Allerdings ist etwas Feingefühl im Fuß gefragt, denn die Vorderachse verliert relativ schnell die Haftung. Besonders bei etwas forcierter Fahrweise waren die montierten Continental Allwetterreifen nicht immer in der Lage die Kraft auf die Straße zu bringen.
Die Fahrwerksauslegung des Koreaners ist voll dem Komfort verpflichtet. Die zentral und tief montierte Last des Batteriepakets hilft der Federung wunderbar und hält trotz weicher Dämpfung die Aufbaubewegungen moderat. Allerdings darf man keinen Sportsgeist vom Fahrwerk erwarten. Vor allem die Traktion der Vorderachse wirkt unter der ansatzlosen Kraft des E-Motors angestrengt.
Überraschend gutes Digital-Cockpit lockt Tech-Freunde
Unter dem Namen „Deep Control“ fasst Ssangyong seine Fahrerassistenzsysteme zusammen, die allesamt fehlerfrei funktionieren. Ausser vielleicht der überambitionierte Warngong, der im immer gleichen Ton auslöst, egal ob Geschwindigkeitsüberschreitung, Auffahrwarnung oder Spurwechselunterstützung. Aber er lässt sich in den Tiefen des Bordmenüs abschalten. Wie überhaupt das digitale Instrumentarium durch hohe Auflösung und volle Individualisierbarkeit begeistert. Allerdings arbeitete das zentrale Infotainment-Display nicht fehlerfrei. Nach einem kurzen Fotostopp fuhr das System nicht mehr richtig hoch, weshalb nur noch das Audio-Menü genutzt werden konnte. Ein Ssangyong-Sprecher klärte auf Nachfrage auf, dass es sich bei den Testfahrzeugen um Vorserienstände handelt und ein solcher Fehler im Serienauto nicht auftreten sollte. Allerdings zeigt die Erfahrung auch hier, dass viele Hersteller mit Problemen dieser Art zu kämpfen haben.
In der getesteten Titanium-Topausstattung kostet der Ssangyong Korando e-Motion 45.590 Euro. Damit ist er zwar günstiger als die elektrische Konkurrenz aus Deutschland, aber weit weg von einem Sonderangebot. Trotz siebenjähriger Garantie dürften viele Kunden den Unbekannten deshalb in Frage stellen.
Übernahme von Ssangyong nicht so abgesichert wie erhofft
Wie ein Damoklesschwert hängt auch der Gläubigerentscheid über der Zukunft der Marke. Schien man mit Edison Motors im vergangenen Jahr einen Käufer für die insolvente Marke gefunden zu haben, ist Stand heute (09.03.2022) alles wieder offen. Denn die Gläubiger haben sich dem Branchenblatt Korean Herald nach gegen den Sanierungsplan von Edison entschieden. Damit wäre der Ausgang der Übernahme offen und Ssangyong würde sich weiter unter der staatlichen Obhut eines Insolvenzverwalters bewegen müssen.
Dass die auf Produktion und Vertrieb keinen Einfluss hat, haben die vergangenen Jahre gezeigt. Allerdings dürfte es psychologisch schon einen Einfluss auf die Käufer haben, wenn die Zukunft der Marke ungewiss bleibt. Und so gilt nicht nur für den Korando e-Motion, sondern ganz Ssangyong: der grosse Unbekannte.
Erstes Fazit
Der Ssangyong Korando e-Motion hinterlässt uns im ersten Eindruck zwiegespalten. Er ist prinzipiell ein sehr gutes Elektroauto mit ordentlich Kraft, bequemem Fahrverhalten, vor allem aber sehr ordentlicher Batterieleistung. Auch das Infotainment überzeugt in Sachen Optik und Funktionsumfang, muss sich allerdings in Sachen Stabilität noch beweisen. Viel wichtiger als das Auto an sich ist allerdings die Zukunft der Marke. Kaum ein Kunde wird über 40.000 Euro zu zahlen bereit sein, ohne zu wissen wie es mit Ssangyong weiter geht. (Text: Fabian Mechtel | Bilder: Ssangyong)