Ein temperamentvolles Wesen kann Karrieren beflügeln und Begehrlichkeiten wecken. Auf das Thema Autos übertragen gilt der Seat Leon hierfür als bestes Beispiel. Der Kompakte aus Spanien nutzt immerzu das Teileangebot der Mutter Volkswagen, trat damit aber stets ein wenig herausfordernder auf als VW Golf, Audi A3 und Skoda Octavia. Die letzten Zentimeter Raumangebot oder das laute „Ah“ und „Oh“ beim Befummeln der Materialqualität opferte er dieser Mission gerne, und die Kunden spielten mit.
Die tauschten dann mal einen Leon Cupra (ja, der hieß noch bis vor kurzem so) gegen einen FR – bei Nachwuchs gerne mit dem längeren Kombiheck des Leon ST (auch der hieß mal so). Jahre später ist nicht nur ein Teil der Zielgruppe, sondern auch der Seat Leon erwachsener geworden. Das strahlt vor allem der Kombi Leon Sportstourer (ja, der heißt jetzt so) aus.
Ganz geschickt nutzen die Spanier die Flexibilität der MQB-evo-Architektur und setzen die neue Leon-Generation auf den längeren Radstand des Skoda Octavia. Plötzlich prahlt auch der Leon mit feudalem Platzangebot im Fond, mimt den Familienversteher par excellence. Und spätestens dann drängelt sich eben der Sportstourer im Verkaufsraum vor den Fünftürer. Denn als Kombi schluckt der Leon jetzt auch bis zu 620 Liter Gepäck bei voller Bestuhlung. Damit sollte er sämtlichen Transportanforderungen genügen.
Zum Raumangebot gesellt sich der Komfort. Zwar ist der Seat Leon noch immer einen Hauch straffer abgestimmt als seine Konzernbrüder, gibt sich aber dennoch meist lammfromm. Spätestens mit dem optionalen DCC-Fahrwerk, welches die elektronische Einstellung der adaptiven Dämpfer erlaubt, findet jedes Naturell sein persönliches Setup. Prinzipiell kann man es so einordnen, dass der Leon in der „Comfort“-Stellung der Dämpfung in etwa so federt wie ein normaler Golf VIII in „Normal“.
Wenn man nicht nur am Wochenende mit den Kids zum Sportturnier fährt oder vor dem Möbelhaus parkt, sondern werktags mit dem Firmenwagen viele Kilometer auf dem Weg zu Kundenterminen abspult, ist auch dieser Tage noch ein Diesel erste Wahl. In einem (gar nicht mehr so) kompakten Kombi wie dem Leon bringt ein Selbstzünder Laune, ohne den Verbrauch zu sehr in die Höhe schnellen zu lassen.
Auch der Testwagen fuhr in einer Schnellfrachter-Konfiguration vor, als Seat Leon Sportstourer 2.0 TDI mit 110 kW/150 PS (Kraftstoffverbrauch kombiniert: 3,7 l/100 km, CO2-Emissionen kombiniert: 97 g/km²). Auch hier soll eine doppelte Twindosing-Abgasreinigung mit zwei SCR-Katalysatoren für die bestmögliche Verringerung von Emissionen sorgen. Serienmäßig lässt der Diesel seine 360 Newtonmeter maximales Drehmoment von einem 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe mit Shit-by-Wire-Technologie sortieren. Ein kleiner Knubbel anstelle eines Wählhebels in der Mittelkonsole genügt, da die Befehle elektronisch an das Getriebe übertragen werden.
Auf D geflippert und mit dem Fuß auf dem rechten Pedal setzt sich der Seat Leon Sportstourer 2.0 TDI durchaus flott in Bewegung. Der Selbstzünder lässt kaum den Wunsch nach mehr Leistung aufkommen. Nach dem Ortsaufgang zieht er den Kombi in Windeseile auf Landstraßentempo und gehört auch auf der Autobahn zur eiligeren Fraktion. Die Höchstgeschwindigkeit von 218 km/h wird nicht erst hinter dem Horizont erreicht.
„Tue Gutes und rede darüber.“ So oder so ähnlich hält es der Leon TDI. Denn wirklich leise arbeitet der Diesel unter der Haube nicht. Nicht nur nach dem Kaltstart sorgen unter anderem der hohe Einspritzdruck für das mittlerweile gar nicht mehr so gewohnte Nagelgeräusch. Auch beim Ausdrehen des digitalen Drehzahlmessers in höhere Regionen erkennt man den Seat klar als Diesel. Diesen Umstand teilt er sich konzernintern mit dem neuen Audi A3.
Beim entspannten Cruisen begnügt er sich mit einem monotonen Grummeln. Im Teillastbetrieb schalten sich Motor und Getriebe zudem in einen Freilauf. Der Vierzylinder läuft dann auf Leerlaufdrehzahl und spart Sprit. Wird mehr Kraft abgerufen, ist er blitzschnell wieder bei der Sache.
5,6 Liter Diesel je 100 Kilometer flossen, wenn man den Angaben des Bordcomputers trauen kann, auf unseren Probefahrten durch die Leitungen. Angesichts der dynamischen Verlockungen des Leon Sportstourer ein akzeptabler Wert.
Fakt ist aber: Der im Frühjahr über einen längeren Zeitraum gefahrene Seat Leon 1.5 eTSI als Mildhybrid-Benziner mit ebenfalls 150 PS war mit 6,7 Litern Testverbrauch pro 100 Kilometer nur gut einen Liter durstiger. Er kostet aber über 2.300 Euro weniger bei der Anschaffung und ist günstiger zu versichern. Da lohnt es sich genau zu rechnen. Nicht vergessen sollte man aber, dass der TDI im direkten Vergleich stets mehr Drehmoment auf die angetriebenen Vorderräder leitet.
Erwachsen zeigt sich der Seat Leon nicht nur im Format, sondern auch bei der Multimediaausstattung. Als neues Auto aus dem Volkswagen-Konzern nutzt auch er den MIB3 (Modularer Infotainment-Baukasten der dritten Generation) mit Onlinezugang für Navigation und weitere Dienste.
Haben wir „erwachsen“ gesagt? Nun ja. Denn noch immer zeigt die schöne digitale Bedienwelt ihre Kinderkrankheiten. Damit ist nicht nur der nachts unbeleuchtete Slider für Temperatur- und Lautstärkeeinstellung gemeint. Sondern viel mehr das gerne einfrierende Betriebssystem. So streikte die Software des Leon gleich mehrere Male und ließ sich erst nach einem längeren Stillstand des Autos wieder zum Arbeiten animieren.
Vielleicht ein Einzelfall. Nerviger ist aber, das gilt unter anderem auch für den Golf 8, der teils träge reagierende Touchscreen. Wenn man für die Bedienung simpler Funktionen schon den Blick von der Straße abwenden muss, dann doch bitte so kurz wie möglich. Oftmals wird der Fingerdruck aber nicht sofort erkannt, also muss die Prozedur wiederholt werden. Mit Stand der Technik kann man sich zudem Wireless Full Link für Apple CarPlay sparen. Es kostet mit 190,08 Euro zwar den gleichen Aufpreis wie die kabelgebundene Variante, verweigert aber oft den Dienst. Ob das ein Problem seitens des Autoherstellers oder seitens Apple ist konnten wir derweil nicht herausfinden.
Android-Nutzern kann das egal sein, ihre Smartphone-Integration benötigt immer den Anschluss über die alternativlose USB-C-Buchse im Auto.
Bei der Materialauswahl im Innenraum hält der Seat Leon, wenn überhaupt, nur noch minimalen Abstand zum VW Golf. Was aber vor allem daran liegt, dass sich der Golf von oben nähert. In der Xcellence-Ausstattung des Testwagens gefällt aber die Harmonie aus Holzoptik mit grau-braunen Stoffsitzen und sorgt für moderne Lounge-Atmosphäre. Die Sitze wirken aber im unteren Rückenbereich etwas zu weich. Die Sportsitze im Leon FR bieten einen deutlich besseren Langstreckenkomfort.
32.148,57 Euro (inkl. 16% MwSt.) kostet der gut ausgestattete Seat Leon Xcellence als Sportstourer mit dem 150 PS Diesel. Damit liegt er, ausstattungsbereinigt, knapp 3.000 Euro unter einem VW Golf Variant Style und, so viel zur neuen Hierarchie im Konzern, über 2.000 Euro unter dem Skoda Octavia Combi Style.
Erst mit dem Fahrassistent XL zieht aber der zuverlässige Travel Assist mit vorausschauender Geschwindigkeitsregelanlage in den Leon ein, dazu hält die Preisliste weitere Verlockungen von größeren Rädern über die elektrische Heckklappe bis hin zu Navigation und Parklenkassistenz bereit. Ein tiefer Griff in diesen Korb lässt den Testwagenpreis auf üppige 41.162 Euro klettern.
Der Seat Leon Sportstourer gilt in den Augen vieler als emotional gestalteter Kompaktkombi, gewinnt eher Herzen als Golf und Octavia. Gleichzeitig sagt auch das Hirn nicht „nein“, denn jetzt punktet der Spanier auch mit Platz für Familie und Gepäck. Der 2.0 TDI mit 150 PS ist ausreichend stark und treibt den Kombi sparsam voran, ist aber manchmal recht vorlaut. Viel mehr stört auf Dauer aber die komplizierte Bedienung, vereinzelte Softwareausfälle, getoppt von der manchmal trägen Reaktion des Touchscreens. (Text und Bild: Bernd Conrad)