Noch vor dem neuen Skoda Octavia sind als nächstes die Spanier dran, die Ende November 2012 mit der dritten Leon-Generation in Deutschland antreten. Die Frage, die sich stellt: Gibt es Gründe, den Ibero-Golf seinen Technik-Brüdern vorzuziehen? Die Antwort könnte ernüchtern. Im VW-Konzern ist man bemüht, trotz weitgehend gleicher Technik-Komponenten markenspezifische Ausdifferenzierungen herauszuarbeiten. Manchmal jedoch wirkt diese Markenidentität gewollt oder fadenscheinig. Letzteres kann man dem Leon nicht vorwerfen. Zwar handelt es sich im Kern um einen stinknormalen Kompaktklasse-Vertreter auf Golf-Basis, doch hat Seat ihm ein emotionsgeladenes Design verpasst. Kein geringerer als Luc Donckerwolke, der einst mit Gallardo und Murciélago der Marke Lamborghini einen rattenscharfen Stempel aufgedrückte, hat die neue Leon-Optik zu verantworten,.
Erster mit LED-Scheinwerfern
Beim Leon sorgt die Booah-ey-Handschrift des Belgiers für ein reizvolles Wechselspiel von Lichtkanten, das dem Spanier eine erfrischende Schärfe ins Blechkleid zaubert. Zusammen mit fordernd dreinschauenden Scheinwerfern, die mit charaktervollen LED-Akzenten eindrucksvoll inszeniert werden, kann der rassige Südeuropäer ge- und auffallen. Wer will, kann zudem Voll-LED-Scheinwerfer ordern, der Leon ist damit der erste kompakte Vertreter aus dem VW-Konzern mit dieser Option.
Trotz vieler schicker Akzente haftet dem Seat aber auch etwas Profanes an, denn die Silhouette ist eben die eines konventionellen Steilheck-Kompakten und in der Seitenansicht könnte der Leon mit zugekniffenen Augen auch als Mazda 3 oder Renault Mégane durchgehen. Geschenkt. Unterm Strich sollte der Leon mit diesem gewissen Hauch Salsa in der Blechhaut durchaus Freunde gewinnen können und als optisch interessante Alternative zum Golf eine gewisse Berechtigung erlangen.
Selbiges trifft auch auf den Innenraum zu. Dieser präsentiert sich dank des sechs Zentimeter längeren Radstands im Vergleich zum Vorgänger bemerkenswert geräumig, Rückbank und Kofferraum bieten ein tadelloses Platzangebot und klassenübliche Variabilität. Der Einstieg nach hinten ist dank der vier Türen zudem komfortabel. Einen nennenswerten Vorteil im Vergleich zum Golf bietet der Leon damit allerdings nicht.
Einige Spar-Lösungen innen
Trotz eines stellenweise durchaus progressiven Designs fallen am Arbeitsplatz auch weniger charmante Kunststoffe auf. So ist der haptische Eindruck des Hartplastiks in der Mittelkonsole dem Kompaktsegment fast schon unwürdig. Die bei Golf und A3 vorhandene Gurthöhenverstellung oder eine elektrische Feststellbremse gibt es für das spanischen Spar-Derivat nicht. Der Leon-Fahrer darf noch einen klassischen Hebel in der Mittelkonsole ziehen und kann so nach alter Art noch lustvolle Heckschleuder-Bremsungen einleiten.
Recht einfache Lösungen bietet auch das Multimedia-Navisystem, welches eher auf die Bedürfnisse von kostenbewussteren Kunden hin ausgelegt wurde und nicht die edle Anmutung oder Funktionalität bietet, wie man sie im A3 oder Golf für allerdings auch teures Geld bekommen kann. Besser gefallen haben uns dafür die Sportsitze der von uns getesteten FR-Version, die einen herrlich verbindlichen Seitenhalt bieten können.
Großes Motorenspektrum
Antriebsseitig kommen beim Leon hinlänglich bekannte Motoren zum Einsatz: Die allesamt aufgeladenen Diesel- und Benzinaggregate decken vorläufig ein Leistungsspektrum von 86 bis 150 PS ab und sind mit Verbrauchswerten von 3,8 bis 5,2 Litern durchaus sparsam. Die Motoren lassen sich teilweise mit Start-Stopp-Automatik und/oder Doppelkupplungsgetriebe kombinieren. Stärkere und entsprechend durstigere Varianten werden später mit den obligatorischen Sportablegern wie den stärkeren FR-Versionen (1.8 TSI mit 180 sowie 2.0 TDI mit 184 PS) oder dem noch stärkeren Cupra folgen.
Der von uns gefahrene Benziner 1.4 TSI hat mit dem rund 1,2 Tonnen wiegenden Leon ein leichtes Spiel. Hier ermöglichen die 122 PS eine Sprintzeit von 9,3 Sekunden und eine Höchstgeschwindigkeit von immerhin 202 km/h. Allerdings dürfte der fraglos gute Normverbrauchswert von 5,2 Litern in der Praxis kaum Bestand haben, denn wer die lustfördernde Leistung etwas intensiver abfragt, sollte zwei bis vier Liter Expresszuschlag einkalkulieren.
Ausgewogenes Fahrwerk
Unterm Strich bieten insofern auch die Motoren keinen besonderen Anreiz, den Seat Leon seinen Brüdern Golf oder A3 vorzuziehen. Selbiges trifft auch auf das Fahrwerk zu, welches wir als grundsätzlich ausgewogen und gut erlebten. In den Varianten mit weniger als 150 PS kommt eine einfachere Verbundlenker- und in den stärkeren Varianten eine Mehrlenkerhinterachse zum Einsatz. Selbst mit der günstigeren Verbundlenkerachse ausgestattet bietet das Fahrwerk einen tadellosen Spagat aus Komfort und Dynamik. Trotz Sportfahrwerk werden die meisten Unebenheiten gut weggefiltert, Kurven lassen sich in flottem Tempo spielerisch durchpfeilen.
Unser Leon verfügte über das der FR-Ausstattung vorbehaltene Drive Profile, welches in den Modi Eco, Komfort und Sport die Charakteristik von Lenkung und Gasannahme variiert. Eine Änderung beim Fahrwerk geht damit allerdings nicht einher, grundsätzlich gibt es für den Leon kein adaptives Fahrwerk wie bei Golf und A3. Und auch bei der Wahl der Assistenzsysteme hat der Leon-Kunde nur eingeschränkte Auswahl: Lediglich Müdigkeitserkennung, Fernlicht- und Spurhalteassistent kann man gegen Aufpreis bekommen.
Um 15 Prozent günstiger als Golf
Viele Nettigkeiten, mit denen Golf und A3 als Innovationstreiber glänzen, kommen vorläufig nicht ins Leon-Portfolio, was nicht wirklich tragisch ist, aber für solventere Kunden den Markt der Möglichkeiten einschränkt. Ein Abstandsradar ist für Vielfahrer eine feine Sache, ein Unfallverhinderer oder eine Verkehrszeichenerkennung erhöhen die Sicherheit – doch nicht beim Seat Leon. Der spanische Golf soll vor allem preissensible Kunden ansprechen und deshalb einige der feineren Hightech-Lösungen gar nicht erst im Angebot.
In der 86 PS starken, viertürigen Basisversion kostet Leon nur 15.390 Euro und ist damit fast 2.500 Euro günstiger als ein vergleichbar motorisierter Golf mit vier Einstiegstüren. Allerdings bietet der Golf mit Klimaanlage oder den Fensterhebern für die Fondtüren im Gegenzug eine leicht bessere Ausstattung und schrumpft so gesehen der Preisvorteil des Seat-Kompakten auf unter 2.000 Euro. Und dies ist das wohl größte Pfund, mit dem der Leon zu wuchern vermag. Der Leon ist ein grundsätzlichen gutes Auto, ein Kompaktmodell, das technisch weitgehend mit dem neuen VW Golf identisch ist. Dennoch gibt es nur zwei Gründe, warum man sich für den Leon entscheiden sollte: Zum einen handelt es sich um einen optisch durchaus ansprechenden Vertreter der Golf-Klasse und zum anderen liegt sein Preis gut 15 Prozent unterhalb von dem des Golfs.
Ein wirkliches Schnäppchen ist der Leon damit allerdings nicht, denn in mehreren Details wurde der Leon kostenoptimierter komponiert und einige der attraktiveren Optionen für A3 und Golf sind grundsätzlich nicht für den Spanier verfügbar. Wer von den Premium-Welten von Golf und A3 begeistert ist, könnte vom Leon-Auftritt enttäuscht werden.