Der Rolls-Royce Spectre auf einen Blick
- Erstes Ultra-Luxus-Coupé mit Elektroantrieb
- 430 kW/585 PS und 900 Nm Drehmoment
- 4,5 s von 0-100 km/h, Vmax 250 km/h
- 102-kWh-Batterie aus dem BMW i7
- „Magic Carpet“ Luftfahrwerk
- Auslieferungsstart Ende 2023
- Grundpreis ab ca. 389.725 Euro
Der Rolls-Royce Spectre ist eine stattliche Erscheinung. In der Länge misst das Coupé 5,45 Meter. Knapp neun Zentimeter mehr als der technisch eng verwandte BMW i7.
Das Henne-Ei-Problem in der elektrischen Luxusklasse
Als wir so vor dem neuen Rolls-Royce Spectre stehen (Stromverbrauch kombiniert: 21,5 kWh/100 km; CO2-Emissionen kombiniert: 0 g/km; Elektrische Reichweite: bis zu 530 km)², kommt uns unweigerlich in den Sinn, was denn nun der erlauchte Besitzer dieses Luxus-Elektroautos macht, wenn unterwegs die Batterieladung zur Neige geht. Ruft er den „Flying Doctor“, kommt ein Concierge mit einem Notstromaggregat vorgefahren oder muss es doch die schlecht beleuchtete Ionity-Ladesäule an der Rastanlage sein? Ja, auch ein regulärer Rolls muss hin und wieder ohne Personal betankt werden. Nur verweilt man dafür eben nicht 35 Minuten an einer Lokation, die schon normalsterbliche Autofahrer eher ungern ansteuern. So lange dauert es nämlich, um die 102-kWh-Batterie im Idealfall von 10 auf 80 Prozent zu laden. Maximale Ladeleistung? Bis zu 195 kW DC.
Im Falle des Spectre wird das Henne-Ei-Problem damit auf die Spitze getrieben. Sollten erst die Luxus-Elektroautos kommen und dann die dazu passenden Edel-Charging-Hubs, oder umgekehrt? Nachdem uns kaum ein überdachter Ladepark bekannt ist, der auch nur die allernötigsten Grundbedürfnisse befriedigt, dürfte es also noch ein wenig dauern, bis man beim Laden des Rolls-Royce Spectre (alkoholfreien) Champagner und Kaviar aus dem Automaten ziehen kann. Vielleicht eine Marktlücke. Denn was man so hört, soll das 5,45 Meter lange E-Coupé ziemlich einschlagen. Nicht nur in den Auftragsbüchern der BMW-Tochter, sondern auch auf den Bankkonten seiner zukünftigen Besitzer.
Feinste Materialien, geschmackvoll kombiniert: Wer sich einen Rolls-Royce zusammenstellt badet förmlich in Leder, Holz und Edelmetall.
Licht und Schatten
Gefragt nach dem Preis, teilte man uns mit, der Testwagen würde vor Steuern 440.300 Euro kosten. Luft nach oben ist da freilich immer, in der „Grundausstattung“ geht es derweil los ab circa 327.500 Euro. Natürlich ebenfalls vor Steuern. Versteht sich von selbst, oder? Was sich hingegen ganz und gar nicht von selbst erklärt: Der 6,75-Liter-V12 ist auf einmal nicht mehr automatisch die erste und einzige Wahl. Da verdrückt jetzt die Spirit of Ecstasy auf dem alten Phantom Coupé, um den Vorgänger im Geiste nicht zu vergessen, sicherlich die eine oder andere Träne. Ihre im Windkanal optimierte Kollegin auf der Fronthaube des Spectre sonnt sich währenddessen in indirektem Licht. Sie wird ebenso diffus angeleuchtet wie der zu ihren Füßen montierte Kühlergrill.
Das sieht im Zusammenspiel mit den schmalen LED-Tag- und Hauptscheinwerfern nachts ein wenig aus wie der Inbegriff eines Schurkenautos. So würde sich der Spectre, vielleicht auch neben dem Tesla Cybertruck, sicherlich gut in einem dystopischen Endzeitstreifen machen. Was sich nach Verunglimpfung anhört, ist in Wahrheit tiefe Ehrfurcht. Es kann ja jeder von solch teuren Luxuskarossen halten was er mag. Aber die einen sammeln eben Kunst zum Aufhängen, die anderen zum Fahren. Wenngleich die äußere Erscheinung schon pure Noblesse ausstrahlt, verbergen sich die eigentlichen Highlights hinter den gegenläufig zu öffnenden Türen. Zum Beispiel lassen sich die Portale auf Wunsch von innen erstmals von exakt 4.796 Sternen illuminieren.
Das sehr bequeme Lounge-Gestühl lässt sich zigfach verstellen, klimatisieren und beherrscht eine ganze Reihe von Massage-Programmen. Kleines Detail am Rande: Selbst die Sitzschienen sind verkleidet.
Kaum ein Fahrzeug-Innenraum ist besser gedämmt
Ferner wetteifern im Testwagen reichlich Edelmetall, große Flächen offenporiges Holz und nicht zuletzt das zweifarbige Leder in Scivaro Grey und Charles Blue um die Gunst der Passagiere. Die Qualität ist bis auf Kleinigkeiten exzellent. Erwähnenswerte Feinkritik gibt es etwa am optionalen Sternenhimmel zu äußern. Da die von Hand eingearbeiteten Lichtleiter unterschiedlich weit aus dem Lederbezug herausragen, um den Eindruck von helleren und dunkleren Himmelskörpern zu erzeugen, bleibt man beim Darüberstreichen hin und wieder an scharfkantigen Elementen hängen. Für den aufgerufenen Fahrzeugpreis sicherlich nicht gänzlich ideal. Wir nehmen derweil Platz im zigfach verstellbaren Lounge-Gestühl und wollen endlich wissen, wie sich der erste elektrische Rolls-Royce fahren lässt.
Gestartet wird der Spectre, wie bei den Briten üblich, über den Startknopf links neben dem Lenkrad. Zur Rechten den Gangwahlhebel am Volant auf „D“ (oder "B" für One-Pedal-Driving) geschaltet und schon setzen sich knapp drei Tonnen Auto (rund 700 Kilogramm entfallen allein auf die Batterie) in Bewegung. Und ja, das Elektro-Coupé ist nochmals leiser als ein Rolls-Royce mit V12. Egal ob auf Landstraßen oder Autobahnen, Fahrer und Beifahrer können sich stets im Flüsterton unterhalten. Wem das zu gespenstisch ist, hat die Möglichkeit, ein beinahe schon orchestrales Fahrgeräusch zuzuschalten. Dieses hilft, die abgerufene Leistung und die erreichte Geschwindigkeit besser zu begreifen.
Der Rolls-Royce Spectre lässt sich äußerst mühelos bewegen. Kein Wunder bei bis zu 585 Elektro-PS und 900 Nm Drehmoment.
Mühelose Kraftentfaltung auf V12-Niveau
Auf Wunsch kann das 585 PS starke Reich der Stille nämlich nicht nur elegant gleiten, sondern auch ordentlich von dannen eilen. Wenn es sein muss, spurtet der Rolls in 4,5 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100. Abgeregelt wird bei standesgemäßen 250 km/h. Das macht er alles ziemlich überragend und derart „effortless“ (mühelos), wie kaum ein zweites Elektroauto. So werden die bis zu 900 Newtonmeter Drehmoment nicht einfach urplötzlich in den Verkehrsraum geworfen, sondern auf gehobenem V12-Niveau dargereicht. Das Resultat: Das Haupt knallt beim Beschleunigen eher selten gegen die Kopfstütze, sondern wird sanft, aber bestimmt in eben jene hineingedrückt. Beeindruckend, wie sehr auch die Leistungsentfaltung bei E-Motoren noch feiner modelliert und optimiert werden kann.
Gleichermaßen imponiert der Fahrkomfort des Spectre. Gewohntermaßen ist bei Rolls-Royce ein „Magic Carpet“ dafür verantwortlich, dass die Insassen so gut wie nichts von der Straße mitbekommen. Hinter der fantasievollen Bezeichnung verbirgt sich beim Stromer eine Zweikammer-Luftfederung mit elektronisch geregelten Dämpfern, erweitert um eine aktive Wankstabilisierung und eine Allradlenkung. Bekannt ist diese Komposition aus dem neuen Siebener, wobei die Fahrwerksmeister zwischen München und Goodwood an den entsprechenden Stellen selbstverständlich noch mehr als eine Hand angelegt haben. Es soll ja am Ende niemand behaupten können, man fahre hier nur einen aufgehübschten BMW i7 durch die Gegend. Dementsprechend arbeitet die ganze Technik meist dezent im Hintergrund. Mit solch profanen Dingen wie der Auswahl verschiedener Fahrmodi muss sich der Fahrer nicht abgeben. Es gibt schlichtweg keine.
Die markante Frontpartie des Spectre schindet nicht nur auf der linken Autobahnspur Eindruck. Die hinten angeschlagenen Türen sind die längsten und wohl auch schwersten, die Rolls-Royce je produziert hat.
Freude am Kurvenfahren
Trotz des ganzen gewichtigen Luxus kann dem Spectre auch eine gewisse Kurvendynamik zugesprochen werden. Nein, der 2+2 Sitzer wird gewiss kein reinrassiger Sportwagen, aber das Manövrieren dieser Yacht auf 22 Zoll (Winter-)Rädern bereitet schon eine gewisse Fahrfreud‘. Leichtgängig und ausreichend präzise lässt sich das Volant dirigieren. Perfekt, um den Einkehrschwung hinauf zum eigenen Alpenresort nahe Kitz‘ oder Moritz zu bewältigen. Leistung und Traktion hat das Allrad-Coupé ohnehin immerzu genug. Was dem Elektro-Rolls hingegen erstmals fehlt, ist die Grobschlächtigkeit beim Energieverbrauch. Wo sich so ein V12 gerne mehr als 18 Liter genommen hat, braucht der Spectre unter winterlichen Bedingungen lediglich um die 25,5 Kilowattstunden auf 100 Kilometer. Weniger als ein Audi Q8 e-tron! So kann die 102 kWh große Batterie für knapp 400 Kilometer reichen.
Mit Blick auf die digitalen Qualitäten des Spectre, lässt sich vermelden, dass das mittlerweile steinzeitliche iDrive-System bisheriger Rolls-Royce-Modelle durch eine modernere Evolutionsstufe abgelöst wurde. Es entspricht aber erfreulicherweise noch nicht dem, was BMW in seinen aktuellen Großserienfahrzeugen verbaut. Man könnte es auch so umschreiben, dass die Briten während der vierjährigen Entwicklungszeit die ausgereiftesten Komponenten vom Mutterkonzern übernommen haben. Sprach- und Handeingabe funktionieren wie die Telefonverbindung (mit kabellosem Apple CarPlay und Android Auto) selbsterklärend. Die beiden Displays sind gestochen scharf und trotz aller Digitalisierung verzichtet man nicht auf eine analog bedienbare Klimaautomatik.
Anstelle eines V12 findet sich unter der Fronthaube nurmehr eine massive Abdeckung. Wünschenswerter wäre ein "Frunk" oder eine andere kreative Raumausnutzung gewesen.
Eine nicht genutzte Chance
Verzichten wollte man beim Rolls-Royce Spectre ganz offensichtlich auch nicht auf die lange Motorhaube. Darunter verbirgt sich vor allem eine mächtige Abdeckung und eine nicht genutzte Chance. Wohlwissend, dass sich der Spectre seine "Architecture of Luxury" Plattform mit den Verbrenner-Modellen Phantom, Ghost und Cullinan teilt, hätte man aber zumindest über einen kleinen "Frunk", also einen kompakten vorderen Kofferraum, nachdenken können. Ausstaffiert mit feinstem Leder oder Teppich, ausgerüstet zum Beispiel mit einem handgearbeiteten Picknick-Set. Eine Zugabe zum sonst eher spärlichen Gepäckabteil hinten, das mit rund 380 Liter gerade einmal das Fassungsvermögen eines Golf 8 aufweist.
Abgesehen von einer Hand voll elektrischer Supersportwagen, dürfte der Rolls-Royce Spectre mit einem Grundpreis von circa 389.725 Euro derzeit das wohl teuerste E-Auto mit vier Sitzplätzen sein.
Fazit
Der Rolls-Royce Spectre treibt den automobilen Luxus erneut auf die Spitze. Jetzt eben elektrisch, statt mit Benzin betrieben. Durch die sehr mühelose Kraftentfaltung, die absolute Stille und einen respektablen Stromverbrauch weint man dem trinksüchtigen V12 kaum eine Träne nach. Der Innenraum ist exquisit eingerichtet, auch in Sachen Infotainment hat sich viel getan. Wer nun aber für ein Auto keine halbe Million Euro auf dem Konto liegen hat, bekommt die gleiche Antriebs- und Fahrwerkstechnik, anders aufbereitet, auch im BMW i7 geboten. Allerdings ist schon das kein preiswertes Vergnügen. (Text und Bild: Thomas Vogelhuber)
Technische Daten - Rolls-Royce Spectre
Modell | Rolls-Royce Spectre |
Motor | 2x stromerregte Synchronmaschinen (SSM) |
Antrieb | Elektrischer Allrad, 1-Gang-Automatik |
Max. Systemleistung | bis zu 430 kW (585 PS) |
Dauerleistung (30-Minuten-Leistung) | 135 kW (184 PS) |
Max. Systemdrehmoment | bis zu 900 Nm (limitiert) |
Batterie | 102 kWh Lithium-Ionen (netto) | Batterieheizung | Ja, Serie | Wärmepumpe | Ja, Serie | Bidirektionales Laden (V2X) | nein |
Max. Ladeleistung AC/DC | 22 kW/195 kW |
Stromverbrauch kombiniert (WLTP) | 21,5 kWh/100 km² |
Testverbrauch gemäß Bordcomputer | 25,5 kWh/100 km |
CO2-Emissionen kombiniert | 0 g/km² |
Reichweite nach WLTP | bis zu 530 km² |
Im Test gemessene Reichweite | bis zu 400 km |
Beschleunigung (0–100 km/h) | 4,5 s |
Höchstgeschwindigkeit | 250 km/h |
Abmessungen (L/B/H) | 5,48 m/2,01 m/1,57 m |
Leergewicht | ca. 2.890 kg |
Anhängelast | k. A. |
Kofferraumvolumen | ca. 380 l |
Grundpreis Rolls Royce Spectre | ab ca. 389.725 Euro |