Rédélé, Sohn eines normannischen Renault-Händlers, wusste, wie man Auto fährt, war aber mit den im Showroom seines Vaters parkenden Gefährten unzufrieden. Also macht er es 1955 dem Herrn Porsche gleich, und baute sich kurzerhand selbst ein Auto. In Erinnerung an ein gewonnenes Bergrennen, und wahrscheinlich mangels anderer Ideen, nannte er es kurzerhand: Alpine. Hätte Rédélé am Schraubenschlüssel weniger Talent gehabt, als hinterm Steuer, die Geschichte wäre hier zu Ende gewesen. Ist sie aber nicht: Innerhalb weniger Jahre mauserte sich Alpine zu einer der großartigsten Marken Frankreichs und spätestens mit der 1962 vorgestellten A110 ging Rédélé in die Geschichtsbücher ein. Ein Sportwagen, so sinnlich und so schön, wie kaum einer zuvor. Und erfolgreich war er auch noch: Die A110 ging in Le Mans an den Start und konnte sogar die Rallye-Weltmeisterschaft für sich entscheiden. Erfolge, die schließlich auch Renault überzeugten, die Alpine in ihren Schauräumen zu verkaufen. Zuvor hatte der Staatskonzern kein Interesse an einer Zusammenarbeit; später schluckte er die Marke ganz.
Simpel aber herausfordernd
Ob die Übernahme der Anfang vom Ende war, sei dahin gestellt. Fakt ist: Der noch von Rédélé entwickelte A110-Nachfolger A310 avancierte trotz radikal neuem Design zum meistverkauften Modell der Marke, doch danach ging es steil bergab, bis 1995 die letzte A610 im Stammwerk in Dieppe vom Band rollte. Doch mit dem Aus, begann das Träumen. Seit 22 Jahren gab und gibt es bei Renault Ingenieure, Designer und Vermarkter, die sich nichts sehnlicher wünschen, als ein Comeback der Alpine. Unermüdlich setzten sie sich immer wieder für die historische Marke ein, schmiedeten Pläne, brachten das Thema aufs Tapet, und wurden ein ums andere Mal enttäuscht. Bis jetzt. Anfang 2018 soll all ihr Sehnen tatsächlich ein Ende haben und die A110 auf die Straße zurück kehren.
Dass die Neuauflage in keine kleinen Fußstapfen tritt, dürfte allen klar gewesen sein. Die Vorgaben an das Entwicklerteam waren deshalb gleichermaßen simpel, wie herausfordernd: Die neue A110 muss ein Leichtgewicht sein – und schön. Richtig schön. So schön, wie das Original. Dass das nicht ohne Zitate aus der Vergangenheit geht, verstand sich von selbst. Das Vier-Augen-Gesicht war ein Muss, die flache Form ebenso, und das schmale, niedrige Heck natürlich auch.
Neue Crash- und Fußgängerschutz-Anforderungen haben es den Entwicklern sicher nicht leicht gemacht, aber irgendwie haben sich die Franzosen um all diese Hürden herum laviert: Was da in der tiefstehenden Dezembersonne vor mir steht, in leuchtendem blau, ist nicht weniger als ein bildhübscher, kompakter Sportwagen, der keinen Vergleich mit seiner Ahnin zu scheuen braucht. Gut, bei den Heckleuchten hat man sich vielleicht ein bisschen zu sehr von Aston Martin inspirieren lassen, aber ansonsten ist jede Linie, jede Kante mit viel Liebe zum Detail – und zum Vorbild – ausgearbeitet.
Schnöder Schlüssel
Stundenlang könnte ich um den Wagen herumschleichen, ihn aus jeder Perspektive genau unter die Lupe nehmen, mich in den geschwungenen Rundungen verlieren und in den verträumten Augen versinken. Wäre, ja wäre da nicht der Schlüssel zum Glück in meiner Hand. Der reißt mich einerseits aus den Tagträumen, hat Renault doch aus Kostengründen auf die gleiche, schnöde Zugangskarte gesetzt, die schon den alten Espace aufsperrte. Andererseits verschwinden solche Gedanken schnell wieder, weil ich weiß: Nur damit komm ich hinein, in die neue Alpine.
Die nächste Ernüchterung folgt auf dem Fuße: Das Cockpit ist hübsch gestaltet, das volldigitale Kombiinstrument, die Kippschalter in der Mittelkonsole oder das Touchdisplay des Infotainmentsytems fügen sich gekonnt ins Interieur ein. Aber: Wo soll ich hier sitzen? Mit knapp zwei Metern Länge hat man manche Vorteile im Leben. In der Alpine aber sicher nicht. Zumal die ersten 1955 Einheiten, die Première Edition, ausschließlich mit einem hautengen Schalensitz daherkommen, der nur zwei Richtungen kennt: Vor und zurück.
Dass die Lust auf eine Runde mit der A110 größer ist, als der Schrecken der Kreuzschmerzen, versteht sich von selbst. Also zwänge ich mich hinters Volant, drücke schnell den roten Startknopf am Lenkrad und schalte fix das Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe per Tastendruck auf D. Nur keine Zeit verlieren, sonst fange ich noch an, über die Druckstellen an den Oberschenkeln zu jammern, oder über den eindeutig zu klobigen Audiobedienklotz, unten rechts hinterm Lenkrad, der mir unnachläsig ins rechte Knie sticht.
Schnell dank Leichtbau
Das beste Mittel, um solche Gedanken zu vertreiben, sitzt direkt hinter mir. Ein 1,8 Liter großer Vierzylinder-Turbo, der, tiefluftholend, 252 PS aus sich heraus kitzelt und sie zusammen mit 320 Newtonmeter Drehmoment direkt an seine Hinterräder schickt. Was nach einer ordentlich, sicher aber nicht überragenden Portion Leistung klingt, zeigt sein wahres Gesicht beim ersten Kavalierstart. Gerade mal 4,5 Sekunden vergehen, bis ich zu schnell für die Landstraße bin. Wie die Alpine das macht? Ganz einfach, wir erinnern uns was im Lastenheft steht: Leichtbau.
Nur 1.178 Kilogram bringt die Französin auf die Waage, das sind fast 300 Kilogramm weniger als ein Porsche 718 Cayman, den die Alpine ganz klar im Visier hat. Und den sie auf der Geraden sauber abblitzen lässt. Zwei Zehntel braucht der Zuffenhausener Mini-Elfer mehr für den Standardsprint, und das trotz seines deutlich stärkeren 300-PS-Boxers.
Ob er die Alpine im kurvigen Geläuf wieder einfangen könnte? Mag sein, schließlich legte Porsche stets mehr Wert drauf, als erster ins Ziel zu kommen, statt der schnellste zu sein.
Nase vorn beim Preis
In Anbetracht des reichlich straffen A110-Fahrwerks fällt es aber schwer zu glauben, dass der 718-Unterbau noch höhere Kurvengeschwindigkeiten verträgt. Unsanft reicht die Alpine alles weiter, was der Asphalt so hergibt, stets darauf bedacht, nie den Kontakt zum Untergrund zu verlieren. Immerhin: Der Druck auf die große Sporttaste auf dem Mitteltunnel macht die Französin nicht noch härter. Lediglich Gasannahme, Lenkung und Klangkulisse werden noch einmal nachgeschärft. Spätestens jetzt bin ich mir sicher: Der Cayman hätte keine Chance.
Punkten kann er dagegen in einer Disziplin, in der Porsche so gut wie nie die Nase vorne hat: beim Preis. Mit 58.000 Euro ist die Première Edition der A110 gut 3.000 Euro teurer als der 718 und rechnet man dem Cayman seine besseren Materialien, die höherwertige Verarbeitung und vor allem die größere Alltagstauglichkeit an, geht die Preis-Leistungs-Schere noch ein Stückchen weiter auf. Wie gut, dass sich die Frage Alpine oder Porsche aktuell gar nicht stellt. Die Première Edition – und mit ihr die Jahresproduktion 2018 – ist schon längst ausverkauft.