Morgens, halb zehn in Deutschland: Tief hängen die Wolken über dem Stuttgarter Kessel. Zwischen Berufspendlern und allerhand asiatischen Touristen stolpern wir an der Haltestelle „Neuwirtshaus / Porscheplatz“ aus der S-Bahn und erspähen schnell das Objekt der Begierde. Der Porsche 959 (Komfort) wurde, abseits des alltäglichen Trubels im und um das Porsche Museum, bereits an der Lieferanteneinfahrt geparkt und für eine Ausfahrt vorbereitet. Zierlich ist der Zündschlüssel den wir anschließend in die Hand gedrückt bekommen und kurz der Hinweis, dass wir den Wagen doch bitte am Nachmittag wieder unbeschadet vorbeibringen sollen.
Von Ehrfurcht und Vorfreude
Und dann sitzt man da, im 30 Jahre alten Porsche und weiß genau, dass man zwischen 30 und 800 PS schon alles gefahren ist und entwickelt vor allem eines: Ehrfurcht! 450 registeraufgeladene Pferdestärken sind das eine. Doch sind es mehr Kultstatus und Wert dieses Fahrzeugs, die einen zunächst innehalten lassen. Natürlich nur sehr kurz, wird jene Gefühlslage schnell von ungezähmter Vorfreude auf das nun Folgende abgelöst. 2,85 Liter misst der Sechszylinder-Boxer, der doppelt aufgeladen auf die Zündung wartet. Er ist teils luft-, teils wassergekühlt und war damit ein Novum beim Stuttgarter Sportwagenbauer. Und auch die Reifen waren eine Premiere. Erstmals verwendete man, aufgrund der enormen Belastung bei Höchstgeschwindigkeit 370, Runflat-Pneus von Bridgestone.
Gottvertrauen in Technik aus dem Jahr 1987
Der Zeit gemäß existieren im 959 außer ABS natürlich keine nennenswerten Fahrhilfen. Es sind keine 450 PS aus dem Heute. Mit Spurhalteassistent, feinfühligsten Regelsystemen und Wasserstandmikrofonen (Wet-Mode im 992) in den Radhäusern. Es sind 450 PS aus dem Jahr 1987! Aber - und dieses Hintergrundwissen macht die Ausfahrt gedanklich etwas (!) entspannter: Sie werden von einem elektronisch geregelten Allradantrieb, sperrbarem Differential an der Vorderachse und Niveauregulierung wenigstens etwas gezähmt. Mit dieser Ausstattung fuhr der 959 zumindest damals alles auf, was in jener Zeit vor allem in Sportwagen nie zu finden war. Im Konkurrenten Ferrari F40 könnten wir spätestens jetzt nur noch auf Gott vertrauen.
Nasse Straße, alte Reifen und 450 PS
Raus aus dem Stadtgetümmel. So lautet der Tagesordnungspunkt 1. Wir möchten uns vertraut machen, dazu braucht es einen ruhigen Ort, ohne Hektik, ohne Touristen Heerschar, ohne Zeugen. Wir und der Porsche 959. Und wir merken schon auf den ersten Metern der Bundesstraße, die zufälligerweise ausgerechnet Richtung Weissach führt: Der 959 gibt sich wie ein ganz normaler Elfer älteren Baujahres. Die Kupplung schwergängig, aber gut dosierbar, die Leistungsentfaltung gleicht bis 3.000 Umdrehungen pro Minute ebenfalls eher einem Saug- denn einem Turbomotor, das Getriebe: Ein Gedicht! Sogar die Sitzposition passt. Schon vor unserem ersten Zwischenstopp sind wir eins mit dem Auto.
Über Garagengold und über Fahrmaschinen
Der Porsche 959 schenkt Vertrauen. Wir spüren, er möchte kein millionenschweres Garagengold sein. Er ist ein Fahrerauto, ungestüm, mit herausragender Technik ausgestattet. Das wird deutlich, als wir erstmals mit dem rechten Pedal die mittige Nadel der fünf Rundinstrumente gen roten Bereich schnellen lassen. Trotz unablässigem Regen krallen sich die erwähnten Runflat-Reifen in den Asphalt. Wie am Gummiband gezogen stürmt der Supersportwagen nach vorne, legt oberhalb von 4.000 Umdrehungen kräftig an Fahrt zu und entfacht nach Überschreiten der 5.000 Touren ein Leistungsspektakel, von dem sich so mancher Biturbo-Vierliter-Einheitsbrei aus dem Hier und Jetzt eine dicke Scheibe abschneiden kann.
Mitteilsam in jeder Lebenslage
Das kommt dem von Doppelglas, zigfacher Abdämpfung zum Innenraum und mehreren Sicherheits-Fangleinen verwöhnten Neuwagenfahrer zu Anfang ungewohnt, ja beinahe einschüchternd vor. Gefährlich wirken die Ansauggeräusche, angsteinflößend die Kräfte, die auf seinen Magen einwirken, zu nah der Straßenbelag, der am Volant erspürbar ist. Dabei ist das alles: Echt. Ungefiltert. Pur. So wie eine Fahrmaschine sein sollte.
Alltagstauglichkeit? Aber ja!
Und der 959 kann sogar zahm. Etwas, das ihn von anderen Supersportwagen aus seiner Zeit deutlich unterscheidet. Er lässt sich wie ein normaler 911 aus diesen Baujahren bewegen. Man erzählt von Kunden, die mit ihm täglich zum Brötchenholen gefahren sind. Oder in den Baumarkt. Man traut ihm das zu. Die Platzverhältnisse sind ausreichend für Fahrer- und Beifahrer nebst Gepäck, die Antriebseinheit gemacht für hunderttausende Kilometer. Das Fahrwerk schafft den Spagat zwischen Komfort und Agilität so unverschämt gut, dass man gerne fragen darf, wo Entwickler von modernen Derivaten eigentlich die vergangenen 30 Jahre verbracht haben. Das ist bewegend, das ist anrührend, das ist aber vor allem: Porsche. Der Inbegriff von Stuttgart-Zuffenhausen.
Das Ende: Wehmut und Glück zugleich
Wir parken den 959 schon am frühen Nachmittag wieder auf dem Werkstatthof des Porsche-Museums. Es war eine Fahrt, die uns Glücksgefühle bescherte. Aber auch eine Fahrt, die nachdenklich gestimmt hat. Eine automobile Perfektion, wie sie der 959 verkörpert, ist wertvoll. Für die Historie der Marke Porsche, aber auch für die Nachwelt. Doch muss sie dafür so unglaublich teuer sein? Ist der Preis, der so viel Ehrfurcht vor diesem fantastischen Produkt weckt, wirklich Zeichen einer Wertschätzung? Und ist es nicht traurig, dass es vor allem der Museums-959 ist, der weltweit regelmäßig bewegt wird, während viele Exemplare nur mit der Hoffnung auf Preissteigerung in Garagen schlummern? Viele Fragen, auf die wir keine passende Antwort finden. Gerne wären wir noch weitergefahren, hatten aber noch einen Termin. Da ist sie wieder, die profane Welt der Autojournalisten. (Text und Bild: Maximilian Planker, Thomas Vogelhuber)
Technische Daten*
- Modell: Porsche 959 Komfort
- Motor: Sechszylinder-Boxer, 2.849 ccm
- Leistung: 450 PS (331 kW) bei 6.500 U/min
- Drehmoment: 500 Nm bei 5.500 U/min
- Antrieb: Allradantrieb, 6-Gang-Schalter
- Beschleunigung (0 – 100 km/h): 3,7 s
- Höchstgeschwindigkeit: 317 km/h
- Abmessungen (L/B/H): 4,26 m/ 1,84 m/ 1,26 m
- Gewicht: ca. 1.450 kg
- Neupreis 1987: 420.000 D-Mark
- Preis heute: +/- 1.000.000 Euro
*Herstellerangaben