In den Autoblättern am Kiosk gibt es eigentlich nur noch ein Thema: Die Chinesen kommen! Also wirklich jetzt. BYD, NIO und Great Wall stehen in den Startlöchern, um uns mit fernöstlicher Elektromobilität zu beglücken. Zumindest sofern keine Pandemie, keine Lieferkrise und keine Finanzierungslücke dazwischenkommt. Dabei sind die Autos aus dem Reich der Mitte schon längst unter uns. MG, Aiways und auch Polestar (mit Hauptsitz zwar in Göteborg, als Teil der Geely Holding allerdings mit 100 Prozent Produktion in China) verkaufen fleißig ihre Fahrzeuge, wobei der Polarstern zur Unterstützung ganz gefuchst das positive Image der großen Mutter Volvo nutzt.
Freilich nicht offiziell kommuniziert. Doch allein die optische Nähe lässt manchen Außenstehenden glauben, er steht gerade vor einem sportlichen Volvo. Die Performance-Abteilung der Schweden darf seit 2019 unter eigenem Label Autos bauen und setzte spätestens mit der Nummer 2 seit 2020 ein großes Ausrufezeichen. Mittlerweile gibt es den Polestar 2 in drei Antriebsvarianten ab 44.925 Euro einzig online zu bestellen, wobei das Aufpreis-Karussell so gestaltet wurde, dass man im Zweifel doch bei der teuersten Variante mit dem sperrigen Namenszusatz „Long Range Dual Motor“ landet (Stromverbrauch kombiniert: 19,3 kW/100 km; CO2-Emissionen kombiniert: 0 g/km; Reichweite WLTP, gewichtet: 486 km)².
Diese kostet mindestens 52.625 Euro (7.700 Euro mehr als die Basis), bietet neben einer Spitzenleistung von 300 kW/408 PS aber gleichzeitig auch einen größeren Akku mit einer Netto-Kapazität von 75 Kilowattstunden. Reichweite laut WLTP-Zyklus? Optimistisch gerechnete 487 Kilometer. Im Alltag sind es dagegen eher 320 bis 360 Kilometer, denn der elektrische Allradantrieb mit je einem AC-Motor an der Vorder- und Hinterachse genehmigte sich im Testschnitt gut und gerne 21 bis 23 Kilowattstunden je 100 Kilometer.
Gerade im Vergleich zum deutlich stärkeren BMW i4 M50 Gran Coupé (Testverbrauch um 26 kW/100 km | Stromverbrauch WLTP kombiniert: 22,5-18 kWh/100 km; CO2-Emissionen kombiniert: 0 g/km; elektrische Reichweite: 416-520 km)² glänzt die schwedisch-chinesische Kooperative hier nicht sonderlich mit Effizienz und kann auch am Schnelllader nicht nachhaltig überzeugen. Vergleichsweise langsame Ladevorgänge zwischen 60 und 90 kW waren an der Tagesordnung, die Maximalleistung von bis zu 150 kW erreichten wir nur für kurze Augenblicke. Auch litt der Testwagen unter Verständigungsproblemen mit der ein oder anderen Ladesäule, zeigte zwar eine Verbindung an, doch Elektronen flossen keine.
Abseits der Ladethematik entpuppt sich der Polestar 2 hingegen als verkapptes Muscle Car. Mit knapp unter fünf Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100 kann die 2,2 Tonnen schwere Limousine ordentlich nach vorne gepeitscht werden und wird im Falle des großen Antriebs mit zwei Motoren erst bei 210 km/h laut Tacho (205 km/h laut Fahrzeugschein) sanft eingebremst. Die beinahe schon tote Lenkung ohne echte Rückmeldung korreliert hingegen wenig mit dem bockharten Öhlins-Fahrwerk. Dieses ist im Performance-Paket für 6.500 Euro enthalten und braucht – gelinde ausgedrückt – kein Mensch.
Kaum jemand wird sich morgens früh unter seinen Polestar 2 legen, um fahrdynamische Anpassungen vorzunehmen. Ein adaptiv geregeltes Fahrwerk tut hier Not und würde auch den Langstreckenkomfort spürbar steigern. Die am Testwagen montierten 20 Zöller tun ihr Übriges, damit ein eher hölzerner Fahreindruck entsteht. Sie sind allerdings nötig, um den massiven Brembo-Bremsen Platz zu bieten, die für sich genommen ebenfalls überdimensioniert erscheinen. Dank einer guten Rekuperationsleistung müssen die altgedienten Stahlscheiben nur noch selten bemüht werden und ob man mit diesem Auto nun auf die Nordschleife fährt, steht ganz gewiss auf einem anderen Blatt.
So ein Rennstreckeneinsatz würde auch nicht ganz dem nachhaltigen Ansatz entsprechen, den man versucht hat, im durchaus wertig verarbeiteten Innenraum umzusetzen. Lenkrad und Sitze bestehen im Testwagen aus sogenanntem Weave-Tech-Material, die extradünnen Fußmättchen aus alten PET-Flaschen und für den Hauch an Dekorleisten verwendet man ausschließlich aufgearbeitete Hölzer. Alternativ steht nachhaltiges, vollständig rückverfolgbares Nappaleder parat, wobei im Moment nur eine Farbe bestellbar ist. Generell sind ein paar Sachen derzeit nicht verfügbar, wie die schwarzen 19 Zoll Räder im Diamantschnitt oder die durchaus wünschenswerte Sonnenblende für das serienmäßige Glasdach.
So brennt die Sonne doch sehr erbarmungslos aufs Haupt, wobei die Glaskuppel in der zweiten Reihe für insgesamt wenig Kopffreiheit verantwortlich ist. Angesprochen auf den Platz gibt es vorne kaum etwas zu mäkeln, Hinterbänkler jenseits der 1,90 Meter werden sich jedoch schwer tun auf längeren Strecken ihren Platz zu finden. In den Kofferraum hinten passen indes bis zu 405 Liter, der Frunk fasst bis zu 41 Liter (oder die Ladekabel) und im Zweifel zieht der Polestar 2 bis zu 1,5 Tonnen schwere Anhänger.
Zum Schluss noch ein kurzer Blick auf die Bedienung und die Assistenzsysteme. Zur Handhabung an sich gibt es wenig zu schreiben, denn das Google Betriebssystem arbeitet beinahe selbsterklärend. Für die wichtigsten Funktionen gibt es noch echte Taster, ansonsten gefällt die übersichtliche und aufs Wesentliche reduzierte Darstellung – was auch auf das Kombiinstrument zutrifft. Meist im Hintergrund agieren auch die Assistenzsysteme, wobei sich der Spurhalteassistent erfreulicherweise über den Fahrzeugneustart hinweg deaktivieren lässt. Die Geschwindigkeitserkennung, Spur- und Abstandsradar arbeiten ebenfalls zuverlässig, nur die schlecht aufgelösten Umfeldkameras sind eindeutig ein No-Go. Dabei wäre ein gutes Bild bei der miserablen Rundumsicht bitter nötig.
Der Anflug leichter Euphorie während der ersten Testausfahrt vor ziemlich genau zwei Jahren ist zwar nicht gänzlich verflogen, allerdings zeigt der Polestar 2 im Alltag gewisse Ecken und Kanten. So überzeugt zwar weiterhin die schiere Fahrperformance – Verbrauch und Ladeleistung sind allerdings eher Mittelmaß. Das teure Performance-Paket macht aus dem Polestar 2 ein verkapptes Muscle Car, wobei mechanisch verstellbare Dämpfer und die großen Bremsen eher etwas für den Enthusiasten sind. Wenig Platz im Fond und die schlechten 360-Grad-Kameras sind ebenfalls Punkte, die andere Hersteller besser im Griff haben. (Text und Bild: Thomas Vogelhuber)
*Herstellerangaben