Na, Lust auf ein bisschen Geschichtsunterricht? Das kann manchmal gar nicht schaden, um die Gegenwart einzusortieren. 2005 war der britische Autokonzern MG Rover, zuvor einige Zeit Teil der BMW Group, mal wieder pleite. Die bei uns unbekannte Nanjing Automobile Corporation übernahm das, was übrig war. Dazu zählten die Marken und auch das Werk im britischen Longbridge.
Nachdem die Rechte an der Marke beim ehemaligen Eigentümer BMW lagen, verkauften die Chinesen u.a. den Rover 75 auf ihrem Heimatmarkt als Roewe. In Großbritannien baute man anfangs weiter MG-Fahrzeuge.
2007 wurde der Käufer selbst geschluckt, der Staatskonzern SAIC (Shanghai Automotive Industry Corporation) war die neue Konzernmutter. Qualitätsprobleme und zu hohe Kosten sorgten für ein rasches Ende der Fahrzeugproduktion in Großbritannien, die Marke MG blieb dort aber erhalten.
Vom Kleinwagen über einen kompakten Kombi bis hin zum SUV reicht die MG-Modellpalette. Nach vielen Jahren der Planung wagt SAIC jetzt den Schritt, die Marke MG auch in anderen europäischen Märkten anzubieten.
Im Gegensatz zum Brexit-Staat setzt man hier aber einzig und allein auf elektrifizierte Autos. Ein Plug-in Hybrid steht in den Startlöchern, vorher rollt mit dem MG ZS EV (Stromverbrauch kombiniert: 16,9 kWh/100km; CO2-Emissionen kombiniert: 0 g/km²) aber ein reines Elektroauto an den Start.
Das 4,31 Meter lange SUV-Modell ist adrett gekleidet, verkneift sich beim Karosseriedesign aber Extravaganzen. Man könnte ihm an der Front eine tiefe Verbeugung vor dem Mazda CX-5 andichten – läge damit aber daneben. Der Mazda feierte 2017 Premiere, der MG ZS wurde als Benziner bereits 2016 vorgestellt.
Die Wandlung zum Elektroauto ist den Ingenieuren gut gelungen. Das Kofferraumvolumen ist mit 448 Litern bei aufgestellter und 1.116 Litern bei umgeklappter Lehne der Fondsitzbank ordentlich, auch das Platzangebot auf den Sitzen vorne und hinten reicht normalgewachsenen Menschen gut aus.
Der MG-Testwagen rollte in der höheren Ausstattungslinie mit dem Namen Luxury zum Alltagstest. In ihr ist der Innenraum mit Kunstlederbezügen ausgeschlagen, deren Haptik guter Durchschnitt ist. Das lässt sich vom leicht pappigen Kranz des Lenkrads leider nicht behaupten. Hier darf die Marke gerne nachbessern und dem Volant auch gleich noch eine zusätzliche Längseinstellung spendieren.
Ansonsten ist es im Cockpit recht wohnlich. Alle Bedienelemente sind logisch angeordnet und gut erreichbar. Die analogen Rundinstrumente lassen sich problemlos ablesen, dazwischen zeigt ein farbiges Display mit Bordcomputerangaben und weitere Informationen. So lassen sich Energiefluss oder Batteriespannung anzeigen.
Zentraler Bestandteil der Mittelkonsole ist ein acht Zoll großer Touchscreen. Mit ihm lässt sich das serienmäßige Navigationssystem ebenso steuern wie die das über Apple CarPlay oder Android Auto eingebettete Smartphone.
Starten wir zur Probefahrt mit dem chinesischen Elektro-SUV. Der maximal 105 kW/143 PS starke permanenterregte Synchronmotor treibt alleinig die Vorderräder an. Mit 353 Newtonmeter Drehmoment setzt er sie, zumindest auf feuchter Straße, bei schwerem Fuß auf dem Fahrpedal ganz schön unter Druck.
Schnell ist die Traktionskontrolle zur Stelle und regelt die Sache. Dann kann der MG ZS EV laut Werk in 8,2 Sekunden auf 100 km/h beschleunigen. Im Alltag erfahrbarer: Auch der Chinese ist ein fixes Elektroauto. Schnell zoomt er sich nach der Ortsausfahrt auf Landstraßentempo, die Wind- und Abrollgeräusche bleiben im Hintergrund.
Auf der Autobahn erreicht man eine Tachoangabe von 155 km/h, was realen 140 km/h entspricht. Dann schiebt die Software dem Vortrieb einen Riegel vor. Für manche deutschen Erstwagenkunden zu langsam, im tempolimitierten Rest Europas aber nicht das hauptsächliche Problem.
Wir setzen den Blinker und nehmen die nächste Ausfahrt. Auf dem Weg in die Stadt rumpelt der MG teils kräftig über Frost- und Wurzelaufbrüche im Asphalt. Die schweren Batterien im Fahrzeugboden bedingen eine straffe Abstimmung, die sich manchmal zu deutlich bemerkbar macht.
Im urbanen Verkehr lohnt es sich, den KERS-Schalter (Kinetic Energy Recuperation System) in der Mittelkonsole zu betätigen. In drei Stufen lässt sich die Energierückgewinnung einstellen. Das gelingt beinahe bis zum „One-Pedal-Feeling“ in Maximalstellung. Durch das Lupfen des Fahrpedals kann man zielsicher an Haltelinien oder Ampeln herankommen, lediglich unterhalb von gut zehn Stundenkilometer muss die Bremse betätigt werden.
Trotz fleißigem KERS-Einsatz war der angegebene Normverbrauch von 16,9 kWh je 100 Kilometer nicht zu erreichen. Im Testdurchschnitt zog sich der Elektromotor 21 kWh Strom. Geladen wird entweder über den CCS-Anschluss am Schnelllader oder einphasig mit maximal 7,2 kW an der Ladesäule oder Wallbox mit Wechselstrom.
Die Anschlüsse liegen unter dem Markenlogo im Kühlergrill. Die Abdeckung öffnet nach oben und versperrt damit leider die Sicht auf die Steckdosen. Beim täglichen Hantieren mit schweren Kabeln nicht ganz ideal.
Die 44,5 kWh große Lithium-Ionen-Batterie des MG ZS EV lässt sich, dem Hersteller zufolge, mit bis zu 85 kW Ladeleistung am Schnelllader in 40 Minuten auf 80 Prozent SoC (State of Charge, Ladezustand) füllen.
Die ungenaue LED-Anzeige im Cockpit verhinderte einen Test dieser Maximalleistung leider. Als die Anzeige einen SoC um 20 Prozent vorgaukelte, ging es an die Ladesäule. Nach der Kommunikation zwischen Auto und Säule verriet diese, dass die Batterie des MG noch zu 38 Prozent voll war. Strom floss dann mit maximal 30 kW ins Auto, bis der Akku zu 80 Prozent gefüllt war.
Gut möglich, dass die Ladekurve bei leerem Akku steiler ansteigt und auch bis in Richtung 85 kW reicht. Die Reichweite des MG ZS EV geben die Chinesen mit 263 Kilometer an. Im winterlichen Testbetrieb waren knapp 200 Kilometer machbar.
31.990 Euro kostet das Basismodell, MG ZS EV Comfort genannt. Es bringt besagtes Infotainmentsystem mit Routenführung, eine adaptive Geschwindigkeitsregelanlage und einen sehr harsch reagierenden Spurhalteassistenten mit Gegenlenkfunktion mit.
33.990 Euro werden für den ZS EV Luxury aufgerufen. Seinen Mehrpreis erklärt er mit Kunstledersitzen, elektrisch verstellbarem Fahrersitz, Panoramadach, Totwinkel- und Querverkehrswarner sowie einer Rückfahrkamera.
Nach erfolgreicher Beantragung der Umweltprämie für Elektroautos kann man von diesen Preisen 9.570 Euro abziehen, womit man das Basismodell für 22.420 Euro vor der Haustür parken kann.
Trotz solider Qualitäten bei Verarbeitung und Platzangebot wird sich der MG ZS EV also vor allem über seinen günstigen Preis ins Interesse der Kunden treffen. Die dürften, so wie es bei anderen City-SUV auch der Fall ist, vornehmlich im besten Alter sein und größtenteils kurze und mittlere Strecken abspulen. Dann kommt man auch mit der Reichweite zurecht.
Auf Onlinevertrieb wie einige Mitbewerber setzt MG nicht. Aktuell wird ein Netz von Stützpunkten aufgebaut, die Marke setzt also auf den Kundenkontakt in klassischen Autohäusern. Ganz gewöhnlich also, so wie das Auto mit dem modernen Antrieb hinter klassischem Markenlogo aufritt.
Diesseits von High-Tech-Salven und digitalem Überfluss serviert MG mit dem ZS EV ein ordentliches, alltagstaugliches Elektroauto im modernen Format eines City-SUV. Die Preise sind günstig und liegen deutlich unter denen der (deutschen) Konkurrenz. Fünf Sterne im Euro-NCAP-Crashtest sowie sieben Jahre Garantie auf Auto und Batterie sollen Vertrauen wecken. Wer mit seinem Elektroauto meist im Radius zwischen Arbeitsstätte, Supermarkt und Besuchen bei Freunden im Umkreis unterwegs ist, kommt auch mit der Reichweite zurecht. Dreiphasiges Laden sowie besser erreichbare Stromanschlüsse stehen auf der Wunschliste für eine künftige Modellpflege. (Text und Bild: Bernd Conrad)