Mit dem neuen Mercedes EQS, hier gefahren als mindestens 135.529,10 Euro teure Motorvariante 580 4MATIC (Stromverbrauch kombiniert: 18,5 kWh/100 km; CO2-Emissionen kombiniert: 0 g/km)², betritt Daimler erstmals das Feld der rein elektrisch betriebenen Oberklasselimousine. Vergessen ist die Schmach um den EQC, vorbei sollen die Zeiten von geringen Reichweiten sein. Bis zu 670 Kilometer weit soll der Stromer laut WLTP kommen, dafür schleppt er im Unterboden eine gewaltige Batterie mit 107,8 kWh an nutzbarerer Energie mit sich herum. Das Gewicht des Akkupacks? Um die 700 Kilogramm. Das Gesamtgewicht des Mercedes EQS? Annährend 2,7 Tonnen.
Doch was sollen wir groß auf dem Leergewicht herumreiten, es ist im Fahrbetrieb schlichtweg nicht (oder zumindest kaum) existent. Mit großer Leichtigkeit katapultieren die zwei Elektromotoren den Benz nach vorne, leisten im Verbund heftige 385 kW/523 PS und treiben alle vier Räder an. 880 Newtonmeter scharren mit den früh eingreifenden Regelsystemen um die Wette und in nur 4,3 Sekunden stehen aus dem Stand 100 km/h auf dem Tacho. Abgeregelt wird übrigens nicht, wie bei vielen anderen Stromern üblich, bei 160 oder 180 Stundenkilometer, sondern erst bei Tempo 210.
Jenes Limit erreicht der EQS 580 gleichermaßen spielend, aber kaum stromsparend. Deshalb ist es auch beim elektrischen Flaggschiff aus Sindelfingen angebracht, auf der Langstrecke einen Geschwindigkeitsbereich bis 130 km/h anzupeilen. Im Winterbetrieb freilich, ist es nicht weit her mit WLTP-Normverbräuchen. 18,5 kWh je 100 Kilometer stehen im Datenblatt, nach 1.000 Testkilometern zeigte uns der Bordcomputer jedoch 29,1 Kilowattstunden (vor etwaigen Ladeverlusten) an und reduzierte den Einsatzradius rechnerisch auf gut 370 Kilometer. Damit reiht sich der Sternenkreuzer in die Riege bereits bekannter Premium-Stromer ein und zeigt: auch Daimler kocht an dieser Stelle nur mit Wasser.
Den entscheidenden Unterschied liefert allerdings die Ladeleistung. Maximal versprechen sie ab Werk 200 kW am DC-Lader, maximal 203 kW hat der EQS während unserer Testfahrten auch erzielt. Ebenfalls überraschend ist, wie lange jener Wert bei einer wohlgemerkt nicht vorkonditionierten Batterie gehalten wurde, bevor er schrittweise und mit fortschreitendem Ladevorgang gen 80 kW absank. Strom für rund 100 Kilometer im Winterbetrieb ist so nach 10 Minuten wieder nachgeladen, im Sommer rücken die versprochenen fünf Minuten für jene Referenzstrecke in greifbare Nähe.
Fährt man den EQS allerdings das erste Mal nahezu leer, überrascht die angespannte Warnintensität im 12,3 Zoll großen Fahrer-Display. Gelbe und rote Meldungen ermahnen in aller Eindringlichkeit zum baldigen Laden, ein Schildkrötensymbol kündet von verminderter Antriebsleistung. Insgesamt fällt die Informationsflut in Richtung der Passagiere für unseren Geschmack zu intensiv aus. So wird der Lenker in regelmäßigen Abständen über eine falsche Lenkradposition informiert, im 17,7 Zoll großen Zentral-Display erscheinen ständig Meldungen über mögliche Wärmekomfortmaßnahmen. Strahlt zudem die Sonne ungünstig auf die Anzeigen wird man stark geblendet.
Insgesamt wirkt der bei Mercedes Hyperscreen genannte Verbund aus bis zu drei riesigen OLED-Bildschirmen für ein Auto bisweilen arg überdimensioniert und nimmt dem EQS viel von seiner Gelassenheit. Mit etwas Gewirr im Bedienmenü können die Anzeigen natürlich auch deaktiviert werden, reicht zum Fahren in den meisten Fällen ohnehin das digitale Kombiinstrument. Reduziert auf das Wesentliche lassen sich die Stärken der elektrischen S-Klasse auskosten: Federungskomfort wie auf Wolken, ein, bis zur mittleren Autobahngeschwindigkeit, sehr niedriges Innenraumgeräusch, die überwiegend hochwertigen Materialien sowie das luftige Raumgefühl laden zur langen Reise an.
Mittels serienmäßiger Hinterachslenkung (gegen Aufpreis mit einem Lenkwinkel von bis zu 10 Grad) verlieren auch innerstädtische Parkhäuser größtenteils ihren Schrecken, wobei die Übersichtlichkeit, insbesondere durch die sehr breiten A-Säulen nach vorne und den kleinen Heckscheibenausschnitt, stark eingeschränkt ist. Das optionale 360-Grad-Kamerasystem hilft hier oftmals weiter und wird ergänzt durch einen Remote-Parkpiloten – für besonders knifflige Parkmanöver. Mit einer Länge von 5,22 Meter und einer Breite von 2,13 Meter fällt es im gut besuchten Flughafen-Parkhaus immerhin leicht, den EQS dank starkem Überhang frühzeitig wiederzufinden.
Wesentlich länger dauert es allerdings, sich an das Bremsgefühl des EQS zu gewöhnen. So greift das in drei stufen einstellbare Rekuperationssystem (von aus, über normal bis hin zu stark) ins Bremsgeschehen ein und mindert in der starken Stufe deutlich den Pedalweg. Die Folge ist ein sich stets verändernder Bremspunkt. Ebenfalls gewöhnungsbedürftig sind die Servo-Türen des Flaggschiffs. Gegen Aufgeld lassen sich die Portale per Fingerzeit oder bei bloßer Annährung öffnen und wieder schließen, ohne jenes Funktionsupgrade öffnen die Türen aber mit merklichem Widerstand in voreingestellte Bereiche – wer nicht aufpasst, findet ungewollten Blechkontakt zum nebenan parkenden. Einem Glücksspiel gleichen zudem die äußeren Türgriffe. Wann genau sie aus- und wieder einfahren weiß allein das verantwortliche Steuergerät.
Von allen weltlichen Problemen abgekoppelt und wie auf Federn gebettet bewegt sich der Mercedes EQS 580 4MATIC sanftmütig durch den Straßenverkehr, bietet gleichzeitig Power ohne Ende und lässt sich mittels echter 200 kW-Ladeleistung schnell wieder mit Strom versorgen. Im Innenraum ist aber nicht alles Gold was glänzt, der Hyperscreen überfordert mit seinem Informationsangebot und auch die Handhabung der Türen kann zum Geduldsspiel werden. Überdies greift die Rekuperationsfunktion zu sehr ins Bremsgeschehen ein und liefert einen ungenauen Bremspunkt. Wer es klassischer will, der greift weiterhin zur regulären S-Klasse und hat hier immerhin die Wahl auf einen weitrechenden Plug-in Hybrid. (Text und Bild: Thomas Vogelhuber)