Der erste Eindruck zählt – und irritiert
Man muss schon genau hinschauen. Auf einen flüchtigen Blick wird der Laie einen EQE kaum von einem EQS unterscheiden können. Es braucht dann schon einen Moment länger, um die Details zu erkennen. Das kürzere Heck, den geringeren Radstand, die andere Nase – oder natürlich auffällige Details wie den Schriftzug. Auf jeden Fall aber lässt sich der Mercedes EQE 500 4Matic (Stromverbrauch kombiniert: 21,1-17,8 kWh/100km; CO2-Emissionen kombiniert: 0 g/km)² auf den ersten Blick als Mitglied der EQ-Familie einordnen, was das Hauptziel der Designer gewesen sein dürfte. Neben der nahezu identischen Optik ist es auch die Technik, die sich bei beiden Strom-Brüdern kaum unterscheidet. Wie verhält sich also der Kleine im Verhältnis zum Großen? Wir waren mit dem 408 PS-Topmodell bei überraschend anspruchsvollen Streckenbedingungen auf einer ersten Testrunde.
Neun Zentimeter gleich 18 Kilowattstunden
Einen gravierenden Unterschied haben EQS und EQE allerdings trotz aller Gleichheit: Die Batterie. Durch den um neun Zentimeter reduzierten Radstand des Mittelklasse-Stromers kommen nur noch zehn statt zwölf Batterie-Module zum Einsatz. Die Akkukapazität nimmt so von gut 108 kWh auf – immer noch üppige – etwa 90 kWh ab. Je nach Ausstattung und Räderkonfiguration sollen bis zu 590 Kilometer Reichweite möglich sein.
Im Alltag ist dieser Wert gerne deutlich reduziert, zumal im nasskalten Winterwetter, das dieser April teils mit sich brachte. Aber selbst unter diesen widrigen Bedingungen dürfte es der EQE 500 auch bei normalen Autobahngeschwindigkeiten ohne Komfort-Einschränkungen locker von Frankfurt nach München schaffen. Am Ziel ist er dann auch zügig wieder aufgeladen. Obwohl Mercedes-EQ bei der EVA2-Plattform bei 400 Volt Nennspannung für die Batterie geblieben ist, kann der 500er mit 170 kW in der Spitze geladen werden – denn dieser Wert fällt über die Zeit nur unwesentlich ab. Konkurrenten wie die 800 Volt-Koreaner oder der Porsche Taycan können es kaum besser.
Ein echter Konkurrent für die klassische E-Klasse
In Sachen Reichweite muss man sich also nicht mehr sorgen, nervöse Hintergedanken sind passé. Es bleibt also sich rein auf Komfort und Nutzen im Alltag zu konzentrieren – und hier muss der EQE gegen einen mächtigen Gegner im eigenen Hause antreten. Denn die E-Klasse ist seit Generationen unumstößlich der Fels in der schwäbischen Modellbrandung. In ihr zementiert sich das gesamte Können der Ingenieure. Kein leichtes Unterfangen für den Stromer. Und hier zeigt sich vielleicht der größte Vorteil des Plattform-Teilens mit dem EQS.
Nicht nur die schiere Größe und die Weite im Innenraum durch den Entfall von Kardantunnel und anderen Verbrenner-eigenen Einbauten macht den Mercedes EQE 500 4Matic zu einem Wohlfühlort. Es sind auch die Luxus-Accessoires wie der aus dem EQS übernommene Hyperscreen verfügbar, der die Grenzen zwischen E- und S-Stromer nahezu ununterscheidbar verschwimmen lässt. Für den EQE-Piloten sind das nur gute Nachrichten, denn er bekommt für sein Geld ein Ambiente und eine Qualität, die weit mehr als der Klasse würdig ist. Auch die konventionell angetriebene E-Klasse kommt hier nicht mehr mit.
Der fliegende Teppich: 408 PS und aktives Luftfahrwerk sind eine Macht
Das gilt auch für das Fahrwerk. Ausgestattet mit dem optionalen Airmatic-Luftfahrwerk und Hinterachslenkung hatte der von uns gefahrene EQE 500 die richtigen Haken in der Preisliste gesetzt. Zusammen mit der Akustikverglasung – die doppelten Scheiben gibt es übrigens nur vorne – und den speziellen Dämmmaßnahmen wie ausgeschäumten Hohlräumen oder besonderen Türgriffabdichtugen, gelingt den Mercedes-Technikern mit dem erreichten Fahrkomfort des Business-Class-Stromers ein echtes Meisterstück. Es fällt schwer dieses in-sich-ruhen des elektrischen 500ers zu kritisieren. Der EQE bringt Langstreckenkomfort in eine andere Liga.
Der Antrieb braucht sich in seiner Qualität ebenso wenig zu verstecken. 300 Kilowatt, also 408 PS in alter Währung, notiert das Datenblatt. Wichtiger: 858 Newtonmeter in der Spitze, die, aufgeteilt auf je einen Motor pro Achse, eine völlig neue 4Matic-Dimension eröffnen. Das besinnungslose Beschleunigen an der grünen Ampel ist und bleibt ein lustiger Spaß der potenten E-Autos, es ist dann aber tatsächlich die Dosierbarkeit dieser unbändigen Kraft in allen anderen Situationen, die die Vorteile dieses Antriebskonzepts herausheben.
Physik hat Grenzen, vor allem bei Schnee und Glätte
Es gibt dann aber doch eine Achillesferse. Das Fahrzeuggewicht. Die unterflur mitgeschleppte Batterie drückt die Waage fahrfertig auf gut 2.500 Kilogramm. Und während die Entwickler gerade in Sachen Federung und Dämpfung diese Masse noch für sich nutzen können, so kommt das dicke Ende in der Kurve. Beschwingt von der Autobahnetappe und dem ansatzlosen Antritt des Mercedes EQE 500 4Matic auch aus Biegungen heraus, ging es in Richtung Feldberg im Taunus.
Das Thermometer zeigte kaum fünf Grad, Tendenz fallend. Aus Regen wurde Schneeregen und die Straße glatter. Prompt zog es den EQE in der Kurve stumpf in Richtung Leitplanke. Es war der Moment, in dem der Verstand über das Gefühl siegte. Während es sich am Volant, eingemummelt in die butterzarte Komfortwelt aus Geräuschlosigkeit und Beschleunigungsleichtigkeit, so anfühlt als könne der EQE sämtliche Grenzen verschieben, so mahnte das Hirn stets: 2,5 Tonnen, wenig Griff auf der Straße, bitte aufpassen.
Und genau hier liegt die Schwachstelle im Fahrverhalten vieler Power-Stromer. Es geht alles bis eben nichts mehr geht. Durch die schiere Power ist man schnell im sprichwörtlichen Grenzbereich. Dieser liegt zwar hoch, aber ist nicht zuletzt dank der dort gefahrenen Geschwindigkeiten und der in Bewegung befindlichen Fahrzeugmasse extrem spitz.
Die hohe Kunst der Abstimmung
Der Mercedes EQE 500 4Matic hat seine Aufgabe allerdings auch an dieser Stelle sehr gut gelöst. Er hat den Grenzbereich gut angekündigt, ließ sich sauber parieren. Er hat dann sogar trotz Sommerreifen auch auf Schnee eine sehr gute Figur abgegeben – wo wieder das Thema Dosierbarkeit des Antriebs im Spiel kommt. Man darf allerdings nicht übermütig werden, auch wenn die Digitalität der neuen E-Mobilität dazu verleitet. Denn das die kinetische Energie sich mit Masse und Geschwindigkeit im Quadrat multipliziert ist für die schwergewichtigen Stromer ein großes Problem. Da kann auch schwäbischer Erfindergeist wenig ändern.
Fazit
Mit dem Mercedes EQE 500 4Matic haben die Schwaben eine bemerkenswerte Visitenkarte abgegeben. Dem EQS-Kunden dürfte die Nähe des kleinen Bruders egal sein und der darf dennoch in sehr großem Umfang von der Technik-Übernahme profitieren. Komfort, Fahrleistungen und sogar die Batterie-Performance gehören zum Besten, was der E-Markt derzeit bietet. Einziges kleines Problem: Zur Markteinführung wird es erst den EQE 350+ geben, der 500er reiht sich dann später ins Programm ein. (Text: Fabian Mechtel | Bilder: Fabian Mechtel)