Der Diesel verliert deutlich an Zuspruch. Ob er noch einmal zu seiner einstigen Größe in der Automobilwelt findet ist unwahrscheinlich. Und dennoch haben gerade die deutschen Hersteller Unsummen investiert, damit der Selbstzünder sauberer und politisch gefälliger wird. Ein Paradebeispiel für jenen Aufwand ist der 3,0-Liter-Reihensechszylinder-Diesel von Daimler.
OM 656 D 29 SCR leistet in der finalen Ausbaustufe der Abgasnorm Euro 6 zwar nur noch 330 (243 kW), statt wie bisher 340 PS (250 kW). An Temperament und Drehmoment (maximal 700 Newtonmeter) hat das Aggregat allerdings nichts verloren (Kraftstoffverbrauch kombiniert: 6,6 l/100 km; CO2-Emissionen kombiniert: 174 g/km²).
Die Kombination aus „Oelmotor“ (OM) und neuer Mercedes E-Klasse darf dabei als nahezu perfekt angesehen werden. So wurden dem Reihensechser piekfeine Manieren eingetrichtert, raue Sitten sind ihm fremd. Selbst beim Kaltstart gerät der Motor nicht aus der Contenance und säuselt sofort in aller Unauffälligkeit vor sich hin.
Beifahrer fragten ob der hohen Geräuschdämmung schon einmal nach, ob im Bug ein Diesel oder Benziner werkelt. Anders als die V6-TDIs aus dem VW-Konzern kommt der Daimler-Motor auch ohne ausgeprägte Anfahrschwäche aus.
Direkt erfolgt die Gasannahme und ab 1.200 Touren liegt das volle Drehmoment an. Anschließend katapultiert der Common-Rail-Diesel die gut zwei Tonnen schwere All-Terrain E-Klasse sportiv nach vorne. 100 Stundenkilometer fallen aus dem Stand nach nur 5,3 Sekunden, Ende ist bei 250 km/h. Sind dies noch erwartbare Fahrleistungen, überrascht der Verbrauch.
Sieben bis acht Liter Diesel auf 100 Kilometer (laut Bordcomputer) sind beinahe für jeden Gasfuß realisierbar, der wahre Asket schafft es sogar, die magische vier vor dem Komma heraus zu kitzeln.
Da kann die E-Auto-Zunft mit ihrer Pausenempfehlung nach 300 Kilometer um sich schlagen, wie sie will. Vernünftig mag sie sein, realistisch, aber weniger. Der Vielfahrer im E 400 d schnellt in einem Rutsch von München nach Frankfurt und wieder zurück, ohne auch nur einen Gedanken an eine Tankstelle (oder eine Ladesäule) zu verschwenden. Vielmehr interessieren ihn die sehr bequemen Multikontursitze mit ihren aktiven Seitenwagen und der Massagefunktion.
Kostspielige Extras, die beim insgesamt nicht günstigen E 400 d T-Modell als All-Terrain zu Preisen jenseits der 100.000 Euro führen können. Da muss die Frage gestellt werden: braucht es überhaupt den Kombi im Offroad-Look? Nicht unbedingt. Hat man allerdings gröbere Aufträge im Sinn, kann die erhöhte Bodenfreiheit von 121 bis 156 Millimeter schon sinnvoll sein. Serienmäßig ist das Air Body Control-Luftfahrwerk an Bord, welches nicht nur die Höhe reguliert, sondern gleichzeitig für einen hohen Fahrkomfort sorgt.
Per kurzem Druck am Dynamic-Schalter in der Mittelkonsole wird die brave Diesel-E-Klasse dann zum Kurvenschreck. Die herrlich gewichtete Lenkung, die nunmehr versteifte Federung und der bissige Motor vereinen sich mit der zackigen 9-Gang-Wandlerautomatik in bester Einheit. Grund zur Kritik gibt es im Fahrkapitel keinen.
Bei der Inneneinrichtung ist es jedoch der individuelle Geschmack, der entscheidet. Zwei große Displays mit je 12,3 Zoll müssen gefallen und trotz umfangreicher Änderungen in den letzten Jahren, darf das Mercedes-Cockpit in der E-Klasse weiterhin als eher konservativ beschrieben werden.
Die Platzverhältnisse vorne sind fürstlich, der Beifahrer freut sich ebenfalls über viel Beinraum - was die Hinterbänkler bei einem Fahrer jenseits der 1,90 Meter nicht bestätigen können. Dafür ist das T-Modell weiterhin der Lademeister unter den Premiumkombis. Zwischen 640 und 1.840 Liter lassen sich verstauen, bei umgelegter Rücksitzbank entsteht eine gänzlich ebene Ladefläche. Unter dem Ladeboden versteckt sich noch ein Schmuggelfach inklusive faltbarer Einkaufskiste.
Patzen tut der All-Terrain Kombi hingegen bei der Zuglast. Nur 2.100 Kilogramm können an den Haken genommen werden, was ihn deutlich hinter den immerzu vierzylindrigen Volvo V90 Cross Country mit seinen 2.400 Kilogramm zurückfallen lässt. Der Audi A6 Allroad führt hier das Feld der Offroad-Kombis aber klar an und darf selbst mit dem schwächsten V6-Diesel 2.500 Kilogramm hinter sich herziehen.
In Sachen Bedienung bleibt es bei meiner subjektiven Einschätzung, dass das MBUX-System gerne intuitiver werden darf. Da die aktuelle E-Klasse W 213 (T-Modell S 213) kein neues, sondern in 2020 nur stark überarbeitetes Fahrzeug ist, blieb der Dreh-Drückschalter mit Touchfunktion im alten Design der Mittelkonsole erhalten.
Neu sind die großen Bedienflächen am Lenkrad, die zwar ein Fortschritt gegenüber der einstigen Daumen-Touchpads sind, die aber das gut nutzbare Wählrädchen für die Lautstärkenregelung kannibalisiert haben.
Auch in der E-Klasse prasseln zahlreiche Informationen auf den Fahrer oder die Fahrerin ein, die Displaylandschaft muss man zunächst auf sich wirken lassen. In den Untiefen der teils verschachtelten Menüs haben die Entwickler aber dennoch ein Herz für all jene gehabt, die dem Informationsüberfluss entkommen wollen.
Auf Wunsch lassen sich die Anzeigen nämlich auf das Wesentliche reduzieren, was gleichzeitig wohltuend für Auge und Geist ist. Letzterer sollte aber auch in der E-Klasse noch wach sein, können die modernen Assistenzsysteme zwar eine Zeit lang perfekt der Straße folgen, haben aber der Unsicherheit anderer Verkehrsteilnehmer nur innerhalb ihrer Systemgrenzen etwas entgegenzusetzen.
Die frisch überarbeitete Mercedes E-Klasse ist ein starkes Stück Automobilbaukunst. Gegen Audi A6 und BMW 5er dürfte sie die Nase ein kleines Stück weiter vorne haben, brilliert im Falle des Testwagens mit einem hervorragenden 3,0-Liter-Reihensechszylinder-Diesel und knausrigen Trinksitten. Der Fahrkomfort liegt insbesondere beim T-Modell All-Terrain auf höchstem Niveau, wobei der E 400 d ohne Offroad-Equipment auch sportliche Fahrer begeistern dürfte. Kritikwürdig bleibt manche Bedienmarotte des MBUX-Systems, die vergleichsweise niedrige Anhängelast und auch der Blick in die Preisliste sorgt für lange Gesichter. (Text und Bild: Thomas Vogelhuber)