Genesis will weit nach vorne. Hinter Genesis steht Hyundai, die das Vorne finanziell sehr gut unterfüttern. Ob und wie stark der Premiumableger der Koreaner mittlerweile in den Markt vorgedrungen ist, lässt sich derweil nur schätzen. Beim Kraftfahrzeugbundesamt nämlich werden die Absätze noch dem Mutterkonzern beigemessen. Die KBA-Kategorie der „sonstigen“ Hyundai-Modelle gibt jedenfalls zu wenig Aufschluss über Erfolg oder Misserfolg.
Anständige Autos hätte man derweil schon im Programm. Allen voran der GV60 (Stromverbrauch kombiniert: 19,1 kWh/100 km; CO2-Emissionen kombiniert: 0 g/km; elektrische Reichweite: bis zu 466 km)² erhielt in letzter Zeit viele positive Kritiken, wobei Genesis im Windschatten des Crossovers und auf gleicher E-GMP-Plattform noch weitere Stromer im Angebot hat. Etwa die von uns getestete und mindestens 72.500 Euro teure G80 Electrified Limousine (Stromverbrauch kombiniert: 19,1 kWh/100 km; CO2-Emissionen kombiniert: 0 g/km; elektrische Reichweite: bis zu 520 km)². Sie gibt es alternativ noch als Verbrenner – vom altgedienten und trinkfreudigen 2,5er Turbobenziner sollte man aber getrost die Finger lassen.
Nicht, dass wir auf einmal gegen Benzin und Diesel wären. Doch liegt es dem Hyundai-Konzern einfach besser, aus Elektromotoren das Maximum herauszuholen. Beim G80 drücken dich derweil zwei permanenterregte Synchronmaschinen mit einer Spitzenleistung von bis zu 272 kW/370 PS ordentlich in den Sitz, 700 Newtonmeter Drehmoment sind ebenfalls ein Wort und auf die eingesetzte 800-Volt-Technik kommen wir ein paar Absätze später zum Schreiben. Der Vollständigkeit halber: In 4,9 Sekunden erledigt der elektrische Allradler den Standardsprint auf 100 km/h, abgeregelt wird in Schlagdistanz zur deutschen Elektro-Oberklasse bei Tempo 225. Konkurrieren will Genesis hingegen nicht mit der Ober-, sondern mit der gehobenen Mittelklasse um 5er, A6 und E-Klasse (EQE).
In Sachen Materialauswahl und Verarbeitung klappt das schon sehr gut. Preisgünstiges Plastik ist die Seltenheit, dafür schmiegen sich die Passagiere an feines Nappaleder (optional), ergötzen sich an offenporigem Holz und hin und wieder gibt es echtes Aluminium zu ertasten. Im Gegensatz zu den meisten europäischen Herstellern setzt Genesis bei der Bedienung weiterhin auf Schalter und Knöpfe. Das Zusammenspiel aus dem schwer erreichbaren Touchdisplay und dem merkwürdigen, an BMWs iDrive angelehnten, Dreh-/Drückring ist hierbei zwar nicht immer ideal, aber allemal besser als unbeleuchtete Touchslider und widerspenstige Sensorfelder. Wie schon beim Genesis G70 Shooting Brake: Android Auto und Apple CarPlay funktionieren nur kabelgebunden.
Deutlicher Nachbesserungsbedarf herrscht indes bei der Raumökonomie. Vorne sitzt es sich in der knapp fünf Meter langen Limousine generell zu hoch, im Fond dafür gar nicht. Denn die bequemen Klimakomfortsitze tragen nach hinten derart auf, dass selbst Kleinkinder mit den Füßen an den Rückenlehnen freudig ihre Winterstiefel trockenreiben. Und auch der Blick in den Kofferraum entschädigt kaum. 354 Liter Fassungsvermögen sind lediglich Golf-Niveau, einen Frunk für die Ladekabel gibt es keinen.
Irgendwo mussten die Ingenieure aber schließlich die 800-Volt-Technik unterbringen. Auf der netto 82,5 kWh großen Batterie wird folglich Platz genommen, zwischen Rückbank und Kofferraum wurde der Heckmotor hineingesetzt. Das Ergebnis ist eine Kompromisslösung, die an manch deutschen Plug-in Hybrid erinnert. Nicht ideal, aber wird schon gehen. Entschädigt der Genesis G80 Electrified dafür wenigstens durch schnelle Ladevorgänge? Das kommt ganz darauf an, ob die äußeren Bedingungen stimmen, eine passende Ladesäule parat steht und ob man sich das wirklich antun möchte, mit der verkorksten Ladeplanung.
Denn das Hyundai/Genesis-Navi kennt erschreckend wenig HPC-Lader und bei Aldi (bei der Sortierung nach Namen immer ganz weit oben) wollen wir nun auch nicht immer stehen. Wer hingegen nicht über das Navi seinen nächsten Ladepunkt ansteuert, muss damit rechnen, dass die Lithium-Polymer-Batterie, vor allem im Winter, nicht ordentlich vorkonditioniert ist. Unser Bestwert von 10 auf 80 Prozent: 36 Minuten an einer 300 kW-Säule von Aral. Die maximale Ladeleistung von 240 kW bekamen wir während des Testzeitraums derweil nicht annährend zu Gesicht. Für viele Ladesäulen unpraktisch: Der Ladeanschluss befindet sich, optisch immerhin bestens versteckt, im ehemaligen Kühlergrill. Da geht es beim Einparken manchmal um Zentimeter, die entscheiden, ob das Kabel reicht, oder nicht.
Ist der Genesis G80 Electrified im Anschluss doch noch mit ordentlich Elektronen versorgt, liefert er in weiten Teilen eine souveräne Fahrvorstellung ab. Der 2,4 Tonner liegt satt auf der Straße, das vorausschauende Fahrwerk ist straff, aber nicht unkommod abgestimmt. Auch die Lenkung arbeitet ausreichend präzise, das Volant dürfte aber deutlich kleiner ausfallen. Verzögert wird mittels echtem One-Pedal-Driving oder per standfester Stahlscheiben. Wirklich kritikwürdig im Fahrkapitel waren nur die Assistenzsysteme. Der Spurhalteassistent verliert schnell den Überblick und steigt aus, die Schildererkennung nach dem Zufallsprinzip ist kaum zu gebrauchen und der adaptive Tempomat verfügte über ein sehr ambivalenten Eigenleben.
Zum Schluss ein genauerer Blick auf Verbrauch und Reichweite: Ist der G80 mit seiner nutzbaren Batteriegröße von 82,5 kWh nahezu voll geladen, weist der Bordcomputer eine Reichweite um 400 Kilometer aus, wobei dies einem Verbrauch von weniger als 21 kWh je 100 Kilometer entsprechen würde. Gehen wir dagegen von unserem Testverbrauch aus (dieser lag ohne Ladeverluste bei immer noch vorzeigbaren 22,5 kWh/100 km) so ergibt sich ein theoretischer Einsatzradius im Winterbetrieb von 360 Kilometern. Immer in Abhängigkeit vom eigenen Fahrstil und den äußeren Bedingungen. Denn wer gerne Pedal-to-the-Metal spielt, erntet auch in der elektrischen Genesis-Limousine Verbräuche weit jenseits der 30 Kilowattstunden.
Ein souveräner und in weiten Teilen effizienter Elektroantrieb, hohe Qualität und eine gute Bedienung: Der Genesis G80 Electrified macht viele Sachen richtig, braucht an manchen Stellen allerdings noch Feinschliff. So mangelt es im Fond und Kofferraum an Platz, die Sitzposition vorne ist alles andere als ideal und die Assistenten erlauben sich zu viele Fehler. Auch die Ladeplanung über das Navigationssystem dürfte besser funktionieren, die eigentliche Ladegeschwindigkeit fällt eher durchschnittlich aus. Versöhnlich stimmt am Ende der Preis. Ab 72.500 Euro sind die Koreaner knapp 15.000 Euro günstiger als ein vergleichbar motorisierter Mercedes EQE. (Text und Bild: Thomas Vogelhuber)
*Herstellerangaben