Lasst uns doch mal Vorurteile-Raten spielen! Natürlich, wie sich das für dieses Umfeld gehört, in einer automobilen Ausführung. Wer fährt Toyota Corolla? Genau. Praktisch veranlagte Menschen, die ihr Auto als simplen Begleiter sehen und sich nicht groß kümmern wollen. Suzuki Swift? Vielleicht eine Singleperson jüngeren Baujahres, im Swift Sport meist männlich.
Und Dacia Sandero? Ach, herrje. Den Kleinwagen der rumänischen Renault-Tochter steuern doch meist Best Ager donnerstagmorgens zum Discounter, um als erste die besten Aktionsangebote aus dem Wochenprospekt abzugreifen. Für Fahrzeugpflege bleibt da wenig Zeit.
Na, liebe Leserinnen und Leser? Habt ihr jetzt auch einen dunkelblau-uni lackierten Sandero vor dem inneren Auge, der Waschanlagen nur vom Vorbeifahren kennt und die ein oder andere Schramme an den Stoßfängern trägt?
Falls ja, dürfte der neue Dacia Sandero so einige vorteilsbehaftete Weltanschauungen durcheinanderbringen. So nutzt der Kleinwagen ab Januar 2021 nämlich nicht mehr alte Konzerntechnik, sondern bekommt die aktuelle CMF-Plattform (Common Module Family) von Renault-Nissan unters Blech. Auf der basieren auch die aktuellen Ausführungen von Renault Clio und Captur sowie der Nissan Juke.
LED-Scheinwerfer, mehr Platz im Fond, ein erstmals auch in der Weite verstellbares Lenkrad und ein den Euro-NCAP-Sternen dienlicher Notbremsassistent sind jetzt an Bord. Was den Einstiegspreis für den Dacia Sandero Access von 7.790 Euro auf 8.490 Euro (mit 19 Prozent Mehrwertsteuer) steigen lässt. Aber auch damit bleibt der Sandero Deutschlands billigster Neuwagen. Zumindest nach Listenpreis.
Ja, das ist dann auch weiterhin so ein Auto ohne Radvollblenden, mit schwarzen Schürzen an Front und Heck und Lüftung statt Klimaanlage. Uninteressant? Da denkst du wie die meisten Kunden. 60 Prozent der Sandero-Käufer lassen sich vom SUV-Lametta der Stepway-Version hinreißen.
Eine auf 17,4 Zentimeter erhöhte Bodenfreiheit, spezielles Grilldesign, Leichtmetallfelgen unter schwarzen Radläufen und Stoßfänger mit der Optik eines Unterfahrschutzes sind gefragt. 1.500 Euro Aufpreis zum regulären Sandero hin oder her. Kein Wunder also, dass wir uns für das erste Kennenlernen den Rumänen im Offroad-Look ausgesucht haben.
Auch er bringt einen um immerhin acht auf 328 Liter gewachsenen Kofferraum und deutlich mehr Knieraum im Fond mit. Über vier Zentimeter mehr Länge zwischen Vorder- und Rücksitzen verspricht der Hersteller. Auf jeden Fall passen auch große Menschen gut in die zweite Reihe, sitzen dabei auf bequemen Polstern und freuen sich über ausreichende Kopffreiheit.
Immerhin eine 12V-Steckdose gibt es hier. Lüftungsausströmer oder gar USB-Buchsen haben es nicht durchs Controlling geschafft. Auch die Türverkleidungen wollen eher mit rustikaler Schlichtheit überzeugen als mit haptischen Eskapaden.
Vorne geht es wohnlicher zu. Im Dacia Sandero Stepway hübscht Stoff Armaturenträger und Türverkleidungen auf. Orangene Designakzente sorgen für Abwechslung. Hinter dem Lenkrad ließe sich jetzt eine formidable Position einstellen, wenn die Sitzfläche nicht zu flach wäre.
Die in den höheren Ausstattungslinien serienmäßige Klimaanlage lässt sich für überschaubare 200 Euro Aufpreis zur Klimaautomatik aufrüsten. Dann werden Temperatur und Luftstrom über satt rastende Drehregler mit Displays bedient, die aus Dacia Duster und Renault Captur bekannt sind. Leider verwehrt Dacia dem Sandero eine Sitzheizung, die weder für Geld noch für gute Worte zu haben ist.
Kundenorientierter zeigt sich die Infotainmentausstattung. Zentraler Bestandteil ist das Smartphone des Fahrers. Beim Basismodell wird es in eine Halterung auf der Mittelkonsole geklickt. Ein USB-Anschluss sorgt für die Stromversorgung, zwei Lautsprecher für Unterhaltung.
In den Comfort-Modellen kommt ein „Media Display“ hinzu. Dann präsentiert das Cockpit zudem einen zentralen Touchscreen. Das Smartphone wird daneben in eine stabil wirkende Halterung gesteckt und kann auch hier über USB mit Strom versorgt werden.
Da könnte man auf die dritte Ausbaustufe „Media Nav“ eigentlich verzichten. Das werkseigene Navigationssystem zeigt zwar auch die Route an, moderne Apps wie Google Maps nutzen jedoch Schwarmintelligenz für Echtzeitverkehrsdaten. Trotzdem lohen die nur 200 Euro Aufpreis beim Sandero Comfort (während „Media Nav“ im Sandero Stepway Comfort Serie ist). Sechs statt vier Lautsprecher und kabelloses Apple CarPlay steigern Hörerlebnis und Bedienkomfort. Induktiv Laden kann das Telefon im Sandero aber noch nicht – diese Funktion wird später nachgereicht.
Nun aber genug geguckt, angefasst und mit dem Smartphone herumgespielt. Es geht ans Fahren. Die technische Basis bringt das Motorenprogramm auf neuesten Konzernstandard. 999 Kubikzentimeter Hubraum, verteilt auf drei Zylinder, sind Standard im neuen Dacia Sandero.
Die Basis mit dem Namen SCe 65 leistet maximal 49 kW/67 PS. Wir fuhren den Sandero Stepway TCe 90 (Kraftstoffverbrauch kombiniert: 5,2 l/100 km; CO2-Emissionen kombiniert: 119 g/km²). Bei ihm sorgt ein Turbolader für zusätzliche Leistung, die in maximal 67 kW/91 PS gipfelt. Auch den neuen Sandero gibt es wieder als LPG-Variante, die zusätzlich zum Benzintank auch bis zu 40 Liter Flüssiggas mit sich führt. Im Gasbetrieb leistet der Dreizylinder dann 100 PS.
Anstelle des automatisierten Schaltgetriebes zieht optional eine stufenlose Automatik in den Sandero TCe 90 ein. Sie harmoniert gut mit dem laufruhigen Dreizylinder. Das maximale Drehmoment sinkt in Verbindung mit der 1.200 Euro teuren Getriebeoption zwar leicht von 160 auf 142 Newtonmeter, es liegt dafür schon bei frühen 1.750 U/min (Schalter 2.100 U/min) an. Das breite Drehzahlplateau sorgt dafür, dass der berüchtigte Gummibandeffekt eines CVT-Getriebes bei Normalbetrieb weitestgehend ausbleibt.
Nur bei vollem Leistungsabruf, wenn sich die Drehzahl bei knapp unter 5.000 U/min einpendelt, tönt der Sandero lautstark, beschleunigt dann aber weiterhin mit überschaubarem Elan. Ein Verhaltensmuster, dass er in freier Wildbahn eher selten an den Tag legen wird.
Beim entspannten Fahren von A über B nach C oder weiter nach D gefällt der gute Federungskomfort. Der Sandero Stepway liegt ausreichend straff, zeigt aber seine Ausprägung für osteuropäische Nebenstraßen dritter Wahl. Die schluckfreudige Federung verhindert das Rumpeln über Fugen oder Wurzelaufbrüche mit Bravour.
5,2 Liter Benzin soll der Dacia Sandero Stepway mit der CVT-Automatik nach WLTP-Norm auf 100 Kilometer zu sich nehmen. Auf den ersten Testfahrten konnten wir das nicht durch präzises Tanken nachprüfen. Der Bordcomputer wirft aber deutlich höhere Werte um knapp acht Liter in den Raum.
Vom angesprochenen Basispreis ist so ein Dacia Sandero Stepway Comfort mit Turbomotörchen und Automatik natürlich weit entfernt. 14.190 Euro kostet diese Ausführung, die dann aber auch Regensensor, elektrische Außenspiegel, Einparksensoren am Heck und eine Dachreling, die sich zum Grundträger umbauen lässt, mitbringt.
Mit fair kalkulierten Optionen wirkt der Testwagen gar nicht ärmlich: Schlüsselloser Zugang und Motorstart, Rückfahrkamera, Toter-Winkel-Warner, Fensterheber im Fond und erwähnte Klimaautomatik machen ihn schick. Und teurer. 16.240 Euro stehen unter dem Summenstrich. Viel Geld für einen Dacia Sandero – aber immer noch sehr wenig für so viel Auto.
Die dritte Generation des Dacia Sandero wird zweifelsohne dafür sorgen, dass der kleine Fünftürer auch weiterhin ein Bestseller bleibt. Der Rumäne bringt zu leicht höheren Tarifen moderne Technik, mehr Platz für Passagiere und Gepäck sowie eine anständige Verarbeitung mit. Mitte Januar rollen die ersten Exemplare zu den Händlern. (Text und Bild: Bernd Conrad)