Den Cadillac CTS-V zu begreifen gelingt am besten, führt man sich zunächst und ganz am Anfang die technischen Eckdaten zu Gemüte: 649 PS aus 6,2 Liter Hubraum, 855 Newtonmeter Drehmoment und eine Höchstgeschwindigkeit von 320 km/h. Nun kann man zumindest erahnen, wie sehr es einen gleich in den Recaro-Mulan-Ledersitz drücken wird, wenn man das Gaspedal ordentlich gen Bodenblech drückt. Doch auch der CTS-V hat eine feine, sehr weiche Seite. Sie erfährt man, wenn man sich zunächst musikalisch in Stimmung bringt. Über das zuletzt leicht aufgefrischte CUE-Multimediasystem (das sich immer noch bescheiden bedienen lässt) Led Zeppelin, Bruce Springsteen oder einen der Evergreens von Peter Gabriel gewählt, die Bose-Surroundanlage lauter und die Fensterscheiben dafür nach unten gedreht.
Denn zum Cruisen ist er (auch) da
Nun den richtigen Zeitpunkt abpassen: Am besten an einem Hochsommerabend, nach einem kühlenden Starkregenschauer, wenn es im Bayerischen Oberland so langsam ruhiger wird. Die Außentemperaturen sind weiterhin angenehm und über dem Asphalt liegt dieser feine Dunst, gepaart mit heißer Luft, die oberhalb der Carbon-Motorhaube des CTS-V zu flimmern beginnt. Wer so der Abendsonne entgegen cruised, der erfährt wahrlich die höheren Weihen der leistungsstarken V8-Kultur. Man möge dem Autor nun einen gewissen Hang zur automobilen Theatralik vorwerfen, aber wie soll man sonst ein weiteres automobiles Meisterwerk verabschieden? Ein Sportwagen im Pelz einer zunächst wenig auffallenden Limousine, dessen urgewaltige Unvernunft es so auf unseren Straßen wohl kaum mehr zu sehen geben wird. Wo M GmbH und AMG mittlerweile auf Allradantrieb setzen um die Geradeaus-Schnellfahrer-Kundschaft mit der schieren Leistung nicht zu überfordern, gibt es bei den Amis einen altgedienten Heckantrieb.
CTS-V setzt nur auf Heckantrieb
Keine Frage: Das muss man mögen. Also die Sache mit der fehlenden Traktion. Immer und in jeder Lebenslage. Wenngleich die Elektronik alles versucht den Zweitonner im Zaum zu halten, man merkt wie die 649 Pferdestärken das Heck jenseits einer geraden Linie bewegen wollen. Freilich kann man das kleine Schwarze auch behutsam streicheln, es nur wenige Millimeter weit drücken und nicht von dannen hämmern wie ein Wahnsinniger. Aber es macht halt Freud‘, lässt man den Hammer fallen und noch dazu die elektrischen Fangleinen sonst wo liegen. Im etwas gewöhnungsbedürften Fahrerlebnismenü von Cadillac kann sich der Sportfahrer nach Herzenslust austoben und für Hardcore-Track-Fans gibt es sogar noch ein kleines aber feines Extra-Setup. Den Cadillac CTS-V im bockharten Rennstreckenmodus über hiesige Landstraßen zu jagen bedarf aber betont etwas Fingerspitzengefühl.
Kommt noch im vierten Gang quer
So ist es an einer Biegung selbst im vierten von acht Gängen möglich, einen eleganten Drift hinzulegen und überhaupt fährt sich der CTS-V in den sportlichen Fahr-Modi mehr als giftig. Gerade jene positive Bösartigkeit wollen wir auf einer Fahrt auf der Großglockner Hochalpenstraße noch einmal ausgiebig erfahren. Auf den österreichischen Passstraßen gelingt es immer, sich penibel an die geltende Höchstgeschwindigkeit zu halten und selbst auf 2.300 Meter über Normal-Null fehlt es dem Kompressor-V8 nicht im Geringsten an Leistung. Die amouröse Beziehung, bestehend aus dem Herzen der Corvette Z06 und einer ziemlich boshaft dreinblickenden Sportlimousine, die sich am Ende einigt ein Muscle-Car allererster Güte zu sein - sie ist auf jeden Fall geglückt. Nur, dass dieser Wagen eben nicht nur auf der Geraden, sondern auch in Kurven in brutaler Weise schnell sein kann. Maßgeblich ist dies das Werk des hervorragend abgestimmten Magnetfahrwerks samt des Performance Traction Managements, welches Gewicht gefühlt verschwinden lässt und dafür fahrdynamisch ziemlich viele Register zieht. Selbstredend ist an der Hinterachse auch ein elektronisches Differential verbaut.
Auf den Großglockner mit 649 PS
Erstaunlich, welches Grip-Niveau nicht zuletzt durch die aufgezogenen Michelin Super Sport im 19-Zoll-Format bereitgestellt wird und wie sehr sich der Cadillac CTS-V in enge Kehren hinein zwirbeln lässt. Mittels ein paar gezielter Gegenlenkbewegungen am Wildleder-Volant wird die Fuhre am Kurvenausgang wieder geradegestellt und wehe dem, der am Berg heimtückische Bäche aus Schmelzwasser übersieht. Es reicht hier entlang der Kaiser Franz Josef Höhe nur ein kleines Rinnsal auf der Straße und der CTS-V macht die Biege. Ohne Leitplanken, Begrenzungen und sonstige Schutzmaßnahmen durchaus ein Erlebnis. So auch die Trinkgewohnheiten des Amerikaners: Hier bleibt an der Zapfsäule kein Auge trocken und selbst hartgesottene V8-Fans erstarren ob der grobschlächtigen Vernichtung von Kraftstoff.
Abnorme Trinksitten
20 bis 25 Liter stellen für den Achtzylinder keine Herausforderung dar und wer stets im Schongang dem Sonnenuntergang hinterhereilt, der wird immer noch an die 15 Liter durch die Spritleitungen jagen. Der Benzindurst des CTS-V stellt für uns auch die größte Hürde dar, ein solches Auto zu besitzen. In Sachen Ausstattung, Verarbeitung und Fahrverhalten gibt es hingegen kaum einen Unterschied zur deutschen Premium-Konkurrenz. Im Gegenteil: Gerade was das Preis-/ Leistungsverhältnis angeht ist der Cadillac ganz weit vorne dabei. Wo sonst gibt es ab Werk bereits ein Head-up-Display, äußerst bequeme Recaros, eines der besten Audiosysteme, ein volldigitales Kombiinstrument und die Erkenntnis, dass man ein ziemlich seltenes Auto bewegt. Selbst Ferraris (und Ladas) haben wir in und um München öfters gesehen.
Fazit
Wir schreiben hier über einen Abschied. Einen, der wirklich schmerzt. Denn lassen wir die harschen Trinksitten des Cadillac einmal außen vor, so verlässt uns ein herausragendes Automobil, dessen Performance hierzulande lange unterschätzt blieb. Der CTS-V rennt in 3,7 Sekunden auf Tempo 100, erreicht spielend 320 Stundenkilometer Spitze und kostet dabei (ausstattungsbereinigt) um ein Vielfaches weniger als ein vergleichbares Produkt aus heimischen Werkshallen. Und als wäre es ein Zeichen, stand im Parkhaus der Kaiser Franz Josef Höhe (Großglockner), versteckt auf Parkdeck 4, ein Cadillac V12 aus den 1930er Jahren. Seine besten Tage hatte er sichtlich hinter sich und mit dem Blick auf die angestaubte Karosse mag man sich fragen, wie man wohl in 90 Jahren auf den von uns gefahrenen Cadillac CTS-V zurückblicken wird? (Text und Bild: Thomas Vogelhuber)
Technische Daten*
- Modell: Cadillac CTS-V
- Motor: Achtzylinder-V mit Kompressor, 6.162 ccm
- Leistung: 649 PS (477 kW) bei 6.400 U/min
- Drehmoment: 855 Nm bei 3.600 U/min
- Antrieb: Heckantrieb, 8-Gang-Hydra-Matic
- Verbrauch (WLTP): 13,0 l S /100 km
- Beschleunigung (0 – 100 Km/h): 3,7 s
- Höchstgeschwindigkeit: 320 km/h
- Abmessungen (L/B/H): 5,05 m/1,86 m/1,45 m
- Gewicht: 1.850 Kg
- Tankvolumen: 72 l
- Grundpreis: 107.200 Euro
*Herstellerangaben