Gut Ding will Weile haben und so hat sich BMW geschlagene acht Jahre Zeit gelassen, bis sie ihr zweites, von der Pike auf neu konzipiertes, Elektroauto auf die Straße gebracht haben. Ich ignoriere an dieser Stelle bewusst den bereits früher vorgestellten iX3 (Stromverbrauch kombiniert: 18,9-18,5 kWh/100 km; CO2-Emissionen kombiniert: 0 g/km²), baut dieser noch auf einer herkömmlichen Verbrenner-Plattform auf. Der iX ohne Zusatzzahl ist es also, der indirekt den BMW i3 ein paar Nummern größer beerbt, aber optisch mindestens genauso polarisierend vorfährt wie der Kohlefaser-Kleinwagen anno 2013.
Beim Testwagen handelt es sich derweil um das vorläufige Top-Modell der neuen iX-Baureihe, das als xDrive50 (Stromverbrauch kombiniert: 19,8 kWh/100 km; CO2-Emissionen kombiniert: 0 g/km²) mit zwei fremderregten Elektromotoren (ohne Seltene Erden), elektrischem Allradantrieb und durchaus potenten 385 kW/523 PS vorfährt. Wenngleich sich die 4,6 Sekunden von null auf 100 km/h (Höchstgeschwindigkeit: 200 km/h) bereits sehr sportiv lesen, subjektiv fällt das Beschleunigungsgefühl nochmals stärker aus. 765 Newtonmeter Drehmoment malträtieren aus dem Stand die aufgezogenen Winter-Pneus im Format 255/50 21 Zoll, im Sommer fährt der iX gar mit bis zu 22 Zoll großen Rädern vor.
Damit der ungestüme Leistungseinsatz im Ernstfall weder Mensch noch Technik überfordert, wurde die sogenannte aktornahe Radschlupfbegrenzung (ARB) aus dem i3 übernommen, die unter anderem noch schnellere Regeleingriffe der Traktionskontrolle ermöglicht. In Verbindung mit dem elektrischen xDrive-Allrad sind durchdrehende Räder (bei eingeschalteten Systemen) passé, selbst auf Schnee überrascht das hohe Grip-Niveau. Kurven beherrscht der 2,6 Tonner ebenfalls ganz passabel, wobei die direkte Lenkung für den dynamischen Einsatz im alpinen Gefilde einen Tick zu leichtgängig abgestimmt wurde. In sportlichen Fahrmomenten wirkt das hexagonal designte Volant zudem sehr von der Außenwelt entkoppelt.
Doch raus aus den Voralpen, zurück auf die bayerischen Autobahnen. Hier überzeugt der BMW iX xDrive50 mit einem hohen Komfortniveau, insbesondere durch das sehr nachgiebig federnde 2-Achs-Luftfahrwerk und die gute Geräuschdämmung. Die beim Top-Modell ebenfalls serienmäßige Integral-Aktivlenkung an der Hinterachse steigert bei höheren Geschwindigkeiten indes die Spurtreue und sorgt im rangierbedürftigen Stadtverkehr für einen vergleichsweise überschaubaren Wendekreis von 12,3 Metern.
Alles schön und gut, aber wie ist es um die Reichweite des BMW iX bestellt? Wie immer hängt das vor allem vom menschlichen Faktor ab. Mit einem Einsatzradius von 500 Kilometern empfing mich der iX-Bordcomputer in den gut geheizten Garchinger Pressehallen, wobei diese Distanz mit einem Autobahnverbrauch um 21 kWh auf 100 Kilometer durchaus realistisch erscheint. Wer die hohen Kraftreserven des in Dingolfing vom Band laufenden Stromers stetig abfordert, landet allerdings schnell in Bereichen um 30 kWh und mehr, was dank des üppig dimensionierten Stromspeichers dennoch selten für Reichweitenangst sorgt. Netto 105,2 kWh fasst der Lithium-Ionen-Akku im Fahrzeugboden und lässt sich im Idealfall mit bis zu 195 kW wieder mit Elektronen versorgen.
Im Idealfall bedeutet vor allem, dass die nötige Gleichstrom-Infrastruktur bereitsteht. Dann gelingen Ladevorgänge von knapp null auf rund 80 Prozent in unter 50 Minuten, an 11 kW AC-Ladestationen dauern solche Aktionen derweil locker eine ganze Nacht. Eine Option auf einen 22 kW starken On-Board-Lader wird seitens BMW nicht angeboten. Wer an dieser Stelle übrigens darüber nachdenkt, wo er das Ladekabel verstaut – einen „Frunk“ oder gar eine zu öffnende Fronthabe gibt es beim iX nicht. Einzig das aufschnappende BMW-Logo gibt den Blick auf einen Einfüllstutzen für das Wischwasser frei. Für einen tieferen Blick unter die ehemalige Motorhaube bedarf es einer Fahrt in die Werkstatt.
Unkonventionell erscheinen zudem die beiden XXL-Nieren, die keinerlei Kühlerfunktion mehr innehaben. Sie dienen vielmehr als „Intelligenzfläche“ und verbergen – optisch durchaus entzweiend – die umfangreiche Sensorik für die Fahrassistenz des BMWs, die mittelfristig auch das hochautomatisierte Fahren nach Level 3 erlauben soll. Bis es so weit ist muss der Mensch allerdings noch selbst handanlegen und vor allem die richtigen Kreuzchen in der Optionsliste des mindestens 100.000 Euro teuren iX setzen. Denn obwohl der Stromer serienmäßig adaptiv rekuperieren kann, sich also sowohl an vorausfahrenden Fahrzeugen oder Ortseingängen zum eigenständigen Abbremsen orientiert, wer einen adaptiven Tempomaten wünscht muss extra bezahlen. Was uns, bei gleichbleibender Preisthematik, zum Innenraum des 4,95 Meter langen SUV führt.
Dieser ist ein Hort der Ruhe und Geborgenheit, hochwertig verarbeitet und – wahlweise – mit feinsten Materialien ausstaffiert. Auch hier gilt: Geschmack kostet. Das Naturleder, Echtholz und Kristallglas des Testwagens gehen extra, wobei man sich letzteres aufgrund der Blendgefahr bei Sonneneinstrahlung durchaus sparen kann. Lieber das Geld zusammenhalten für das Bowers & Wilkins 4D-Soundsystem, dass den Bass sogar auf die Sitzflächen überträgt. BMW OS 8 löst indes die bisher bekannte iDrive-Version ab – mit allen Vor- und Nachteilen. Die Generation Smartphone wird sich über neue, individuell konfigurierbare Menükacheln freuen, alle anderen ächzen wahrscheinlich bei den ersten Fahrten über die unnötige Verkomplizierung.
Immerhin: BMW lässt seinen Kunden weiterhin die Wahl, ob sie die Eingaben per Sprache, Geste, Touchfunktion oder mittels Dreh-Drücksteller ausführen möchten. Die beiden Displays übrigens bieten keinen Grund zur Kritik und sind ob ihrer Detailschärfe und Farbechtheit nahe den Benchmark im Fahrzeugbereich zu stellen. Und wer sich am Ende fragt, ob er mit dem BMW iX xDrive50 auch in den Urlaub fahren kann, der bekommt von mir ein eindeutiges: ja! 500 Liter fasst der gut nutzbare Kofferraum im Normalfall, bei umgelegter Rücksitzbank erweitert sich das Ladeabteil auf maximal 1.750 Liter. An den Haken nehmen darf der Münchner für ein Elektro-SUV erstaunliche 2,5 Tonnen – das reicht dann selbst für einen stattlichen Pferdeanhänger.
Der BMW iX steht ganz in der noch jungen BMW-Tradition optisch zu polarisieren, liefert hinter den Kulissen aber auch kräftig ab. Als iX xDrive50 bietet der Münchner eine netto 105,2 kWh große Batterie die Alltags-Reichweiten um 500 Kilometer ermöglicht. Leistung- und Komfortniveau sind in der Tat Oberklasse, was auch auf den innovativen Innenraum zutrifft. Negativ aufgefallen ist vor allem die, in dieser Fahrzeugklasse, vergleichsweise magere Basisausstattung samt ellenlanger Optionsliste und die Tatsache, dass das neue Infotainment-Betriebssystem OS 8 alles andere als selbsterklärend ist. (Text und Bild: Thomas Vogelhuber)