Die Spiegel an Teleskopstangen anbringen? Wohl kaum! Denn dann würde das Auto nur noch breiter und nicht schöner werden. Die Lösung heißt: Kameras. Ob bald vermehrt auf eine solche Lösung zurückgegriffen wird? BMW testet das spiegellose Fahren zur Zeit im i8. Wie sich das anfühlt, durften wir selbst erfahren. Zugegeben, es sieht schon recht putzig aus. Ein Auto ohne Seitenspiegel, dafür mir dünnen Ärmchen, in denen sich Kameras befinden. Zum futuristisch wirkenden BMW i8 passt es allerdings. Als wir Platz genommen haben, fällt sofort der überdimensionierte Rückspiegel auf. Doch auch dieser ist eigentlich kein Spiegel, sondern vielmehr ein Display. Und der steckt voller Überraschungen. Wer bereits in den Genuss gekommen ist, im i8 zu fahren der weiß, dass aufgrund des ausladenden Hinterteils die Seitensicht in den Spiegeln etwas eingeschränkt ist. Mit den Kameras hingegen hat man auf dem großen Mitteldisplay eine perfekte Übersicht, welche Hindernisse sich links und rechts in den Weg stellen.
Die Macht der Gewohnheit
So begeben wir uns auf eine kurze Ausfahrt entlang des Strips in Las Vegas. Und der ist wuselig und in der Rushhour unübersichtlich. Schnell noch einen Blick in die Spiegel geworfen. Doch der ist nicht da wo er sein sollte. Die Macht der Gewohnheit lässt uns auf den ersten Metern öfters in die nicht vorhandenen Beobachtungsflächen blicken, bis wir endlich verinnerlicht haben, dass der Blick auf das Rück-Display fallen muss. Einmal dran gewöhnt, versteht man auch die Idee, die dahinter steckt – der Blick fällt dann nämlich dahin, wo er immer hinfällt: Zur Mitte der Frontscheibe.
Auf dem Display sehen wir unser Auto stets als schwarze Silhouette in der Mitte zentriert und aus den drei Kameras (links, rechts und hinten) entsteht eine perfekte Spiegelung des sich seitlich und direkt hinter uns befindenden Verkehrs. Mit dieser neuen Art der Übersicht kann nichts mehr im toten Winkel verschwinden. Doch muss man sich trotz der Vorteile an das neue System gewöhnen. Als wir uns beim Überholen ausschließlich auf die Kameras verlassen, meinte BMWs Mirrorless-Entwickler Philipp Hoffmann nur: „Oh, das war knapp.“ Aber nach kurzer Zeit hat man den Dreh dann doch raus und lernt, einzuschätzen, wie weit andere Fahrzeuge noch weg sind.
Ohne geht’s nicht mehr
Was wären unsere heutigen Autos ohne Helferlein. Neben der guten Übersicht kann das System auf weitere mögliche Gefahren, wie ein sich schnell von hinten annäherndes Fahrzeug oder Radfahrer hinweisen. Wer rückwärts einparkt, dem hilft das System, indem es Hilfslinien auf dem Monitor anzeigt, um die Lücke genau anpeilen zu können. Da der Monitor nicht komplett auf den Fahrer gerichtet ist, kann sogar der Beifahrer den Verkehr mit überwachen – frei nach dem Motto: Vier Augen sehen mehr als zwei.
Die Kameras sind durch sogenanntes Gorilla-Glas vor möglichen Beschädigungen geschützt. Zudem sind sie beheizbar, damit das System auch bei frostigen Temperaturen und Schnee tadellose Bilder liefern kann. Neben der besseren Rundumsicht hat die Kamera-Lösung den positiven Nebeneffekt, dass das Fahrzeug noch aerodynamischer wird. Mit den dünneren Kameraärmchen bietet der i8 dem Fahrtwind immerhin drei Prozent weniger Luftwiderstand. Wann das Mirrorless-Konzept in Serie gehen kann, das steht noch in den Sternen, denn komplett ausgereift ist das Kamerasystem noch nicht. Bis nicht alle Hauptmärkte grünes Licht für die spiegellose Lösung geben, wird das System auf jeden Fall noch gründlich weiterentwickelt. Da die Mühlen der Behörden für gewöhnlich langsam mahlen, wird mit der Serienreife nicht vor 2018 gerechnet. Bleibt spannend, wie die dünnen Ärmchen beispielsweise an einem BMW X6 wirken oder welche optische Lösung dort zum Tragen kommt.