Das ewige Genörgel über die Elektromobilität könnten wir hier und jetzt sein lassen, wenn sich alle neuen Elektroautos so fahren würden wie das mindestens 70.800 Euro teure BMW i4 M50 Gran Coupé (Stromverbrauch kombiniert: 22,5-18 kWh/100 km; CO2-Emissionen kombiniert: 0 g/km; elektrische Reichweite: 416-520 km)². Mehr ist diesem Test eigentlich nicht hinzuzufügen. Oder? Ganz so einfach ist die Sache natürlich nicht, doch haben sie zwischen München und Garching etwas geschafft, was andere Autobauer schon seit Jahren versuchen, damit allerdings teils krachend gescheitert sind.
Die Rede ist davon, echten Verbrenner-Fans den Elektroantrieb derart schmackhaft zu machen, dass sie eigentlich gar nichts anderes mehr haben wollen. Dazu gehört auch, dass man endlich aufhört, ein Elektroauto krampfhaft futuristisch gestalten zu wollen. Der i4 fügt sich dagegen nahtlos in die Baureihen-Optik ein, ist für Ungeübte kaum von einem Diesel-4er zu unterscheiden und geht damit, wenn nicht gerade in auffällig schönem „BMW Individual Frozen Portimao Blue metallic“ (3.300 Euro) lackiert, beinahe schon als unscheinbar durch. Die M-Insignien sowie der üppige Carbon-Zierrat (M Carbon Exterieurpaket zu 2.800 Euro) verraten Kennern hingegen, dass es sich hierbei nicht um einen normalen BMW, sondern quasi um den ersten vollelektrischen M-BMW überhaupt handelt.
Was vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen wäre ist nun Realität und fährt sich überdies verdammt gut. Von null auf 100 km/h marschiert der i4 M50 in 3,4 Sekunden (Höchstgeschwindigkeit 225 km/h) und unterbietet damit zumindest beim Standardspurt jede Verbrenner-Alternative auf 4er-Basis. Maximal 400 kW beziehungsweise 544 PS sorgen für Vortrieb, wobei die beiden Elektromotoren, je einer an der Vorder- und Hinterachse, ihre volle Leistung erst im neuen „Sport Boost“-Modus entfalten können. Im regulären Comfort-Modus agieren derweil maximal 350 kW und wer nicht gerade fluchtmäßig durchbeschleunigt, fährt gar nur mit einer Dauerleistung von 125 kW durch die Gegend.
Jenes Zahlenwerk ist eigentlich auch unerheblich: Wer den Pinsel des allradgetriebenen i4 M50 durchtritt, erlebt vor allem mit neuen Mitfahrern immer wieder, was es heißt, in der E-Auto-Welt angekommen zu sein. Bis zu 795 Newtonmeter hämmern den Schädel gegen das Sitzpolster, was die Frage aufwirft, wo die kleinen Nackenstützen sind, die sie beim Taycan zum Beispiel einbauen? Feinkritik, die ansonsten von den M Sportsitzen (2.820 Euro inkl. nötiger Sonderausstattung) abperlt wie frischer Sommerregen vom Frozen-Lack.
So gibt es auch nur wenige Dinge, die der i4 – auch ohne Motorsport-Zusatz – nicht bewältigen könnte. Als viertüriges Gran Coupé transportiert er dank des feudalen Adaptivfahrwerks vier Erwachsene nebst Gepäck gediegen über die Langstrecke. Alternativ haben hinten auch zwei Kindersitze und dazwischen noch Fiffi Platz. Bleiben alle angesprochenen Parteien indes daheim, giert der 2,2-Tonner förmlich nach Kurven, verliert nie den Grip und eher selten sein Heck. Die Lenkung? Sehr direkt, erstaunlich mitteilsam, aber nicht nervös.
Ist die schnelle Hausrunde beendet, ist es die große, ganzheitlich zu öffnende Heckklappe (Kofferraumvolumen: 470 bis 1.290 Liter), die, sorry Audi, auch gegenüber dem Porsche-Taycan Schwestermodell e-tron GT einen deutlichen Vorsprung durch Technik erkennen lässt. Wo sich BMW, Audi und Porsche annähern ist der Verbrauch. Mit gut 26 kWh auf 100 Kilometer über rund 1.000 Testkilometer liegt der i4 M50 deutlich über der Werksangabe von maximal 22,5 kWh, was freilich die Reichweite schmälert. So reicht die üppig dimensionierte 80,7 kWh-Batterie gerade einmal für rechnerisch 310 Kilometer auf der Langstrecke, wer im rekuperationsgünstigen Innenstadtverkehr unterwegs ist, schafft aber auch mehr. Der abweichende Normverbrauch ist definitiv ein Makel der auf die Soll-Seite gehört, der im alltäglichen Leben, mit den immer gleichen Strecken, aber selten stört.
Zahlt BMW im ersten Jahr nach der Anschaffung zudem noch die Zeche bei Ionity, verlieren auch die hohen Schnellladepreise beim BMW-beteiligten Joint Venture zunächst ihren Schrecken. Zapft der i4 M50 hier seinen Strom, kommen häufiger sogar die maximalen 200 kW aus dem technischen Datenblatt an. Doch selbst am 150 kW-Lader des lokalen Energielieferanten erfreut man sich an lang gehaltenen 130-140 kW, sofern sich kein Nebenbuhler am Erdkabel bedient. Eine Kaffeepause von 10 bis 20 Minuten sollte allerdings ausreichen, damit der Münchner wieder ordentlich Wegstrecke zugelegt hat.
Was uns wohl oder übel zur Software des Bayern führt. Routenplanung schafft das neue Operating System 8 noch anstandslos, bei den vorgesetzten Ladepunkten kommen wir jedoch ins Grübeln. Warum sollen wir von der Autobahn abfahren, wenn am Rastplatz in zwei Kilometern ein 300-kW-Ladepark mit nachweislich freien Säulen kommt? Auch scheint der i4 nur solche Ladestationen zu kennen, die mit der Ladekarte von BMW angesteuert werden können. So zeigte die mobility+ App von EnBW stets mehr freie Strompunkte in der Umgebung als das iDrive.
Wer jetzt allerdings mit weiterer Kritik zum neuen Curved Display samt OS8 rechnet, den muss ich enttäuschen. Nach einer längeren Eingewöhnungsphase macht es Laune den sehr hochaufgelösten Touchscreen zu bedienen, wobei es sich auf Etappen mit häufigem Ein- und Aussteigen gezeigt hat, dass nicht die fehlende analoge Klimabedienung, sondern der Knopf zum Ausschalten der Assistenzsysteme fehlt. Mit den täglichen Fehlern, unter die allein das Spurführungssystem leidet, will man die Hände zudem lieber gar nicht erst vom Lenkrad nehmen. Aller „Intelligenzflächen“ als Kühlerersatz zum Trotz.
Ansonsten gilt: Die sehr hohe Verarbeitungsgüte im Innenraum entspricht der sehr teuren Preisgestaltung seitens BMW. In Sachen Materialanmutung sind die Sprünge der vergangenen Jahre gewaltig und liefern gleichzeitig einen sehr konkreten Ausblick darauf, was in nächster Zeit von BMW noch zu erwarten ist.
Der BMW i4 M50 fährt und lenkt, bremst aber zum Glück nicht wie ein Verbrenner. Das adaptive One-Pedal-Driving hat Vorbildcharakter, wobei sich jenes Lob auf so ziemlich jede weitere Fahrdynamikdisziplin erweitern lässt. Das hat natürlich seinen Preis. Sowohl die Anschaffungs- als auch die Stromkosten fallen hoch aus und schaffen zumindest in diesem Punkt Verbundenheit zur alten Verbrenner-Elite. Den phänomenalen Klang eines guten alten Hochdrehzahl-V8 im M3 E90 kann der i4 zwar nicht bieten – doch die sofortige, heftige Leistungsabgabe, fahrdynamisch bestens verpackt, sorgt gleichermaßen für ein hohes Suchtpotential. (Text und Bild: Thomas Vogelhuber)
*Herstellerangaben