Mit dem 6er Gran Coupé erfolgt nun erst im Juni 2012 der längst überfällige Konter. Immerhin kann der Nachzügler optisch und fahrtechnisch begeistern, leidet aber unter einigen segmenttypischen Einschränkungen. Mit dem Gran Coupé hat BMW seine bislang aus zwei Mitgliedern bestehende 6er-Familie um ein Modell erweitert, welches sich sehr eng an der Designsprache seiner kürzeren Brüder orientiert. Eindeutig handelt es sich beim Viertürer um eine Langversion des 6er Coupé, in dessen verlängerten Fond zwei zusätzliche Türen gezwängt wurden. Zumindest wirken die seitlichen Doppelportale im Vergleich zu den zweitürigen Versionen etwas gestaucht, was den positiven Gesamteindruck allerdings nur leicht trübt.
Keine Frage: Der erfrischend anmutige BMW-Entwurf kommt vergleichsweise harmonisch daher, vielleicht weil BMW bei dem viertürigen Flachbau auf eine echte Coupé-Basis zurückgegriffen hat und nicht wie VW oder Mercedes eine Viertürer-Basis nachträglich abgeflacht und gestreckt hat. Hier sind die Münchener übrigens ähnlich vorgegangen wie Aston Martin beim Rapide, der mit seinem wohl proportionierten Alabaster-Körper besonders verführerisch wirkt.
Im Vergleich zum zweitürigen 6er haben Fahrzeuglänge und Radstand des Gran Coupé um jeweils elf Zentimeter zugelegt. Damit bietet das fünf Meter lange Prachtstück zwischen den Achsen übrigens exakt den gleichen Abstand wie der 5er, auf dem die 6er-Familie technisch basiert.
Stattliche Erscheinung
Beeindruckend wuchtig, sehr breit und 1,39 Meter flach ruht das mit feinen Sicken dynamisch akzentuierte Gran Coupé auf der Straße. Zwei Eigenheiten fallen im Vergleich zum 6er Coupé bei genauer Inspektion ins Auge: die zwischen hinterer Dachkante und Heckscheibe integrierte dritte Bremsleuchte sowie die rahmenlosen Fondtüren. Hinter dem Fondfenster empfängt die Fahrgäste auf einer parallel zum Hofmeisterknick bogenförmig verlaufenden Plastikabdeckung der Schriftzug "Gran Coupé".
Die wichtigste Frage aber lautet, wie es sich im Fond sitzt, denn beim 6er Coupé sind hier die Entfaltungsmöglichkeiten ziemlich mies. Vorne, das kennt man schon vom 6er Coupé, ist man zwar von einer wuchtigen Mittelkonsole eingemauert, doch dank vieler Verstellmöglickeiten kommen hier so ziemlich alle Sitzgrößen recht entspannt unter.
Platz für vier
Im Fond setzt sich das Gran Coupé hingegen deutlich vom kleineren 6er ab, denn hier kann man vergleichsweise leicht einsteigen und sich selbst als Sitzriese noch halbwegs bequem auf den sportlich konturierten Außensitzen einfädeln. Es gibt hinten sogar einen Mittelsitz, der sich praktisch allerdings kaum als solcher nutzen lässt.
Zwar bietet der Fond im Vergleich zum Zweitürer fast schon fürstlich viel Platz, doch sind andererseits Einstieg und Platzangebot beim Gran Coupé eingeschränkter als bei normalen Limousinen dieser Größe. Daher ist die Raumökonomie angesichts der Gesamtfahrzeuglänge ein wenig enttäuschend. Unter anderem passen die Füße der Fondgäste nicht allzu weit unter die Vordersitze und die eigentlich ordentliche Kopffreiheit wird seitlich etwas eingeschränkt. Damit ist das Gran Coupé übrigens ein durchaus typischer Vertreter im Segment viertüriger Coupés.
Variabler Kofferraum
Die Unterbringungsmöglichkeiten für Gepäck sind ebenfalls recht passabel, denn in den normalen Kofferraum passen immerhin 460 Liter. Außerdem kann man in das Gran-Coupé-Heck auch längere Gegenstände einladen, denn via mechanischer Fernentriegelung wird vom Kofferraum aus die asymmetrisch zweigeteilte Sitzbanklehne nach vorne geklappt. Dann soll das erweiterte Gepäckabteil bis zu 1.265 Liter Fassungsvermögen bieten. Angesichts der etwas engen Kofferraumöffnung wird man aber keine sonderlich sperrigen Gegenstände einladen können.
Das Gran Coupé wartet noch mit einer Kuriosität auf: Bei den Vordersitzen kommt der Sicherheitsgurt aus der Lehne und nicht aus der für die Gurtmontage eigentlich perfekt positionierten B-Säule. BMW meint, mit dieser Lösung den Insassen mehr echtes Coupé-Feeling vermitteln zu können. Auch sonst entspricht der Innenraum des Gran Coupé dem der 6er-Familie: Der Bayern-Beau verwöhnt seine Gäste mit einem sehr behaglichen und eigenständigen Ambiente, das mit viel Leder und pickepacke voll mit Technik und Komfort-Extras seine Insassen verwöhnt.
Tolle Anzeigen
Wieder einmal gut gefallen hat uns das Head-up-Display, das wichtige Informationen direkt ins Blickfeld des Fahrers projiziert, unter anderem auch ein Symbol der Verkehrsschilderkennung, welches eigentlich die gerade geltende Geschwindigkeitsbegrenzung anzeigen soll, aber in der Praxis mit dieser Information häufiger falsch gelegen hat. Das große, feststehende Display für das Navi und die umfangreichen Multimedia-Funktionen schließlich kann nicht nur viele nützliche Informationen anzeigen, es verleiht der fahrerorientierten Kommandozentrale noch dazu eine besonders schmuckvolle Hightech-Note.
Ansonsten ist der 6er Gran Coupé ein höchst angenehmer Komfortgleiter. Dank des adaptiven Fahrwerks eignet sich das per Knopfdruck sehr komfortabel abrollende Dickschiff zum genussvollen Cruisen in vorzüglichster Weise. Auch der 320 PS starke Sechs-Zylinder-Turbobenziner treibt den Zweitonner in höchst kultivierter und leiser Manier ohne Störakustik souverän voran. Serienmäßig ist der herrliche Turbo zudem an eine sowohl sanft als auch schnell schaltende Acht-Gang-Automatik gekoppelt.
Sportliche Fahrer bevorzugen den Sportmodus
Selbst noch im per Tastendruck aktivierbaren Sportmodus gleicht der dann spürbar härtere Unterbau geschickt und feinfühlig die Unzulänglichkeiten im Straßenbau weitgehend folgenlos für den Rücken aus. Dabei liegt der Wagen zudem präzise wie ein Brett auf der Straße und neigt lediglich bei groben Unebenheiten zu etwas unsanftem Poltern. Gasannahme, Gangwechsel, Lenkung - auch diese Variablen vermitteln dem Fahrer im Sportmodus den Eindruck, ein hochagiles Auto zu pilotieren. Wer kurvige Landstraßen gerne zügig durcheilt, wird wohl beim Fahrerlebnisschalter auf Sport drücken.
Auf den zum Teil sehr kurvenreichen Teststrecken Südsiziliens wirkte der Bolide bisweilen aber etwas übermotiviert, und bei Kurveneinfahrt folgte dem gelegentlichen Untersteuern ein oft nervös tänzelndes Heck beim nachfolgenden Herausbeschleunigen. Der zum Teil selbst bei trockenen Straßenverhältnissen schlüpfrige Asphalt der Mittelmeerinsel zeigte angesichts des hohen Gewichts und Drehmoments des BMW-Boliden erstaunliche Tücken.
Schnell und gar nicht mal durstig
Dabei eignet sich der 640i in vorzüglicher Weise zum temperamentvollen Heizen. Mit 320 quicklebendigen PS und 450 Newtonmeter liefert bereits die Basis-Version mehr als ausreichend viel Druck. Der nur 5,4 Sekunden dauernde Standardsprint des Zweitonners wird zudem von einer emotional-sportlichen Akustiknote begleitet. Auch der Durchzug bei Zwischensprints ist phänomenal und man erreicht die maximal möglichen 250 km/h mit verblüffender Leichtigkeit. Angesichts der Performance des 640i verspürt man gar kein Verlangen nach der erst später im Jahr verfügbaren Starkversion 650i.
Der Diesel 640d wiederum kommt trotz günstiger Verbrauchswerte (4,8 Liter) nicht in Frage, denn akustisch legt der Selbstzünder doch etwas unfeine Manieren an den Tag, die man bei einem derart noblen Luxusauto als durchaus störend empfinden kann. Und so unverschämt durstig ist der 640i auch nicht, denn sein Normverbrauch soll bei lediglich 7,7 Litern liegen – zumindest theoretisch.
Was übrigens bei extraschnellen Autobahnsausen beeindruckt, ist der besonders hohe Akustikkomfort. Erst jenseits der 200 km/h wird es etwas rauschiger, wobei sich die Windgeräusche aber nie bis zu einem wilden Tosen steigern und die Insassen selbst bei Topspeed ihre Konversation noch halbwegs entspannt fortsetzen können. Und auch die Straßenlage vermittelt bei Hochgeschwindigkeits-Fahrten ein entspanntes Feeling: Der 6er liegt extrem spurstabil und satt auf der Straße, und die Lenkung verhärtet dabei deutlich.
Hoher Preis
Der Haken: Seinen in vielen Belangen eindrucksvoll herrlichen Neuling hat BMW preislich für viele unerreichbar weit oben positioniert. Bereits für die Basisversion 640i werden rund 80.000 Euro abgerufen, und damit gut 5.000 Euro mehr als für einen zweitürigen 640i. Zwar ist die 640i-Basis des Gran Coupé bereits serienmäßig sehr umfangreich ausgestattet, doch lässt sich der Preis angesichts der vielen attraktiven Optionen problemlos auf ein sechsstelliges Niveau treiben.
Technisch ist der 6er allerdings weitgehend ein 5er, der in der nur etwas schwächeren Version 535i mit Acht-Gang-Automatik für bereits 53.000 Euro zu haben ist und dann noch einen besser nutzbaren Fond bietet. Zwar relativiert die gute Serienausstattung des Gran Coupé den sehr deutlichen Preisunterschied etwas, doch hat der Aufschlag für das elegantere Design ein durchaus unverschämtes Niveau erreicht. Alternativ könnte man für den Preis des viertürigen Gran Coupé übrigens auch das Flaggschiff der Marke kaufen: den ebenfalls 80.000 Euro teuren 7er. Überzeugungstäter vor: Wem es vor allem um die Ausstrahlung seines Autos geht, der könnte an dem eigentlich irrationalen 6er Gran Coupé viel Freude haben. Wobei irrational auch relativ ist, denn im Vergleich zum zweitürigen 6er Coupé bietet das Gran Coupé immerhin einen leidlich gut nutzbaren Fond, der bis zu vier Fahrgästen selbst auf längeren Strecken ein entspanntes Reisen ermöglicht. Doch andererseits bietet BMW alltagstauglichere und zudem deutlich günstigere Alternativen auf 5er-Basis.
Wer aber hohe Ansprüche an das optische Prestige seines Autos stellt, souveräne Performance und Oberklasse-Luxus also in einer begeisternden Verpackung wünscht, findet im 6er Gran Coupé ein fraglos reizvolles Lustobjekt, für das man entsprechend tief, vielleicht etwas zu tief in die Tasche greifen muss.