Das Designteam von Bentley Mulliner wählte für einen der letzten Continental GTC W12 im Pressefuhrpark dezentes "Dove Grey" als Außenlackierung.
Mit was haben wir es hier zu tun?
Mit einer Menge Auto für eine Menge Geld. Bei Bentley würde man kaum etwas anderes erwarten, oder? Den entscheidenden Unterschied macht bei dem von uns gefahrenen Continental GTC W12 mit 659 PS allerdings der Namenszusatz Mulliner. Der hauseigene Veredler, dessen Wurzeln bis ins Jahr 1559 zurückreichen und der ab 1760 damit beauftragt wurde, Kutschen für die Royal Mail zu bauen, zeichnet sich nicht nur durch Spezialanfertigungen im Karosseriebau aus.
Man denke hier etwa an den Bentley Bacalar oder den derzeit in Auslieferung befindlichen Batur. Auch alte Fahrzeuge können die Spezialisten in Crewe, die seit 1959 vollständig zu Bentley gehören, mit viel Liebe zum Detail restaurieren oder sogar komplett nachbauen. Ein herausragendes Beispiel dafür sind die sündhaft teuren Kleinserien der Vorkriegsmodelle Speed Six und Blower, die gerade in der sogenannten Continuation Series entstehen.
Ausgefallener als die Lackierung zeigt sich der Innenraum unseres Continental GTC Mulliner. "Hotspur" trifft hier auf "Beluga", die Dekore bestehen aus "Galaxy Stone".
Aber es geht auch deutlich profaner, wenngleich nicht unbedingt günstiger. Denn Mulliner veredelt auch Innenräume – wie etwa den unseres Fotofahrzeugs. Bei all den Ausstattungsoptionen den Überblick zu behalten, fällt da gar nicht so leicht. Daher beschränken wir uns auf das Offensichtlichste: Leder in jeder Ritze, in der Hauptfarbe „Hotspur“, kontrastiert von „Beluga“ und optisch verfeinert durch eine Rautensteppung mit zusätzlichen Ziernähten.
Diese Farbkombination kann offensichtlich auch für den Verdeckkasten bestellt werden, ebenso wie für das unverkennbar von Audi stammende Lenkrad. Was bei den Dekorelementen aussieht wie Holz, ist in Wahrheit Stein – richtig gelesen. Bentley nennt diese Variante „Galaxy Stone“, und sowohl das haptische Erlebnis als auch die finanzielle Investition sind in der Tat galaktisch.
Zwar verbaute der VW-Konzern über 23 Jahre hinweg eine Vielzahl von W12-Motorvarianten in verschiedenen Fahrzeugen. Doch nur der Bentley-W12-Biturbo überlebte. Er wird bis zum Produktionsende im April 2024 in Crewe per Hand gefertigt.
Der letzte W12 verlässt 2024 die Werkshallen
Wir konnten uns kaum vorstellen, welch enormer Aufwand mit der Herstellung eines aktuellen Bentley verbunden ist. Also sind wir kurzerhand in den Flieger nach Manchester gestiegen, eine Stunde weitergefahren und standen schließlich vor – beziehungsweise in – den heiligen Hallen von Crewe. Da staunt der Autobeschreiber, wie viele Arbeitsstunden nötig sind, um ein einziges Fahrzeug fertigzustellen.
Eine genaue Zahl zu nennen, ist schwer, denn jedes Auto wird nach den individuellen Wünschen des Kunden gefertigt. Obwohl die Karosserien sowie die V6- und V8-Motoren für den Continental, den Flying Spur und den Bentayga aus Deutschland stammen, erfolgt der restliche Fertigungsprozess ausschließlich in der traditionellen Grafschaft Cheshire.
In seiner letzten regulären Ausbaustufe (Sondermodelle ausgenommen) leistet der 6,0-Liter-W12-Biturbo 659 PS bei 6.000 U/min sowie 900 Nm zwischen 1.500 und 5.000 U/min.
Das gilt übrigens auch für den legendären Piëch-W12, der letztmals 2015 aufwändig runderneuert wurde und ausschließlich in Crewe, exklusiv für Bentley, zusammengebaut wird. Im April 2024 soll das letzte Fahrzeug mit Zwölfzylindermotor die Produktion verlassen – danach wird der Platz für das erste elektrische Modell der Briten benötigt.
Ob es sich dabei um ein Coupé, eine Limousine oder ein SUV handeln wird, ist noch nicht bekannt. Wir waren derweil Zeuge einer der letzten Hochzeiten zwischen einer 6,0-Liter-Maschine und einem schwarzen Flying Spur. Laut Produktionsauftrag darf sich demnächst jemand in Südkorea über diese Limousine freuen.
Holz ist nicht gleich Holz. Für die Auswahl und Herstellung des perfekten Dekors braucht es nicht nur jahrelange Erfahrung, sondern auch ziemlich viel Geduld. Je nach Wahl des Kunden, können Tage bis zum letzten Finish vergehen.
Ist das alles noch Handarbeit?
Ja, denn zu einem standesgemäßen Antrieb gehört selbstverständlich auch ein entsprechend exklusiver Innenraum. Wie weit die Kundschaft ihre individuellen Wünsche treiben kann, davon überzeugten wir uns zunächst in der Dekorabteilung. Prinzipiell ist fast alles möglich: Die Wahlmöglichkeiten reichen von klassisch lackiertem Nussbaum über offenporige Akazie und sogar altersschwache Mammutbäume, die von selbst umfallen müssen, da sie in der Regel nicht gefällt werden dürfen, bis hin zum eingangs erwähnten Steinfurnier.
Dieses Furnier stammt aus Indien, ist nur ein Zehntel Millimeter dick und sogar lichtdurchlässig, was weitere Individualisierungen ermöglicht. Das 200.000 Jahre alte Gestein wird anschließend auf Trägerplatten aus Aluminium aufgebracht. Wem das noch nicht handfest genug ist, der kann beispielsweise im Flying Spur die hinteren Türtafeln auch mit massiven Holzeinlegern in 3D-Optik bestücken lassen.
Das Leder für Continental und Co. stammt nicht etwa aus Süddeutschland, Österreich, der Schweiz und Norditalien (so wie es Rolls-Royce bevorzugt), sondern aus Skandinavien. Dort sei die Lederqualität (weniger Insekten) noch besser, lässt man uns bei Bentley wissen.
Neben Holz, Stein und Aluminium kommt auch eine beeindruckende Menge Leder zum Einsatz. Die Kuhhäute stammen aus Skandinavien, werden penibel auf Schadstellen kontrolliert und anschließend überwiegend per Hand weiterverarbeitet. Dabei legen die Briten großen Wert auf aufwendige Ziernähte, die – wie könnte es anders sein – ebenfalls per Hand eingearbeitet werden. Selbstverständlich können auch komplexe Stickereien und individuelle Muster realisiert werden. Schick ist, was der betuchten Kundschaft gefällt.
Bei der Ledergestaltung sind kaum Grenzen gesetzt. Vor allem farblich kann sich der Kunde voll austoben. Als weitere Extras gibt es verschiedene Ziernähte, Muster oder Stickereien.
Wie fährt sich der Bentley Continental GTC Mulliner W12?
Wie ein offenherziges Gedicht auf Rädern – so könnte man das Erlebnis mit einem Bentley beschreiben. Es ist das eine, zu sehen, wie ein solcher Bentley gebaut wird, doch das andere ist es, ein solches Fahrzeug in Reinkultur zu erleben. Am besten tut man dies auf Straßen, die man gut kennt. Zurück in Deutschland hatten wir dazu noch einmal die Gelegenheit. Wie bereits erwähnt, wird der letzte von insgesamt rund 105.000 gebauten W12-Modellen die Werkshallen bei Bentley im April 2024 verlassen.
Seit Ende Dezember 2023 werden keine neuen W12-Bestellungen mehr angenommen. Lackiert in unschuldigem "Dove Grey", lässt das viersitzige Cabriolet seine Potenz von 659 PS und beeindruckenden 900 Nm bei 1.500 U/min kaum erahnen. Sehr geschmeidig setzt sich der 2,5-Tonner beim sanften Streicheln des Gaspedals in Bewegung – der Sprint von null auf 100 km/h gelingt im Bestfall in nur 3,7 Sekunden. Die Höchstgeschwindigkeit wird bei waghalsigen 335 km/h erreicht. Und natürlich fahren wir auch zur Winterzeit offen – so viel Spaß muss sein!
Trotz aller Leistungsreserven: Das Bentley Continental Cabrio ist vor allem zum Reisen, nicht zum Rasen gedacht. Gediegen bewegt, kann man auch alle Vorzüge des offenen Gran Turismo wirklich auskosten.
Ambitioniert über Landstraßen bewegt, fließen gut und gerne 18 Liter je 100 Kilometer durch die Einspritzdüsen. Doch diese sorgen nicht nur für Vortrieb, sondern erzeugen gleichzeitig einen sehr beeindruckenden W12-Sound. Während wir von München aus gen Süden gleiten (der Zwölfzylinder läuft im Spritsparmodus bis 3.000 U/min zwischenzeitlich auf nur sechs Zylindern), lassen wir den Fahrmodus auf „Bentley“ und steuern zum Mittagsstopp das Nordufer des Tegernsees an.
Hier fühlt sich das Continental Cabriolet ganz zuhause, auch wenn es durchaus passieren kann, dass einem zwischen Gmund und Kreuth noch deutlich teurere Fahrzeuge entgegenkommen. Auf dem Weg Richtung Achenpass und Sylvensteinspeicher wechseln wir in den Sportmodus. Der luftgefederte GTC liegt jetzt noch verbindlicher auf dem Asphalt, das Achtgang-Doppelkupplungsgetriebe serviert blitzschnell die Gänge, und der W12 hängt immerzu vehement am Gas. Gute Arbeit, Bentley Girls and Boys in Crewe!
Wir sagen zum Abschied leise Servus. 2024 wird der letzte Bentley Continental GTC mit einem W12-Motor die Werkshallen in Crewe verlassen.
Fazit
Wir geben offen zu, dass wir Bentley in gewisser Weise unterschätzt haben. Als schnell und exklusiv haben wir ihre Fahrzeuge schon immer wahrgenommen. Doch erst der Besuch in den Werkshallen in Crewe hat unseren Blick dafür geschärft, mit welcher Liebe zum Detail und mit welchem Qualitätsbewusstsein auf der Insel Autos gebaut werden. Besonders sichtbar wird dies, wenn die Fahrzeuge während der Produktion zusätzlich durch die Hände der Mulliner-Mannschaft gehen. Innerhalb des VW-Konzerns nimmt Bentley damit, selbst im Vergleich zu Porsche, eine Ausnahmestellung ein. Das beweist auch eindrucksvoll das von uns gefahrene Continental Cabriolet by Mulliner mit einem der letzten gebauten W12-Motoren. (Text und Bild: Thomas Vogelhuber | Weitere Bilder: Hersteller)
Technische Daten - Bentley Continental GTC Mulliner W12*
- Modell: Bentley Continental GTC Mulliner W12
- Motor: Zwölfzylinder-Biturbo, 5.950 ccm
- Leistung: 659 PS (485 kW) bei 6.000 U/min
- Drehmoment: 900 Nm zwischen 1.500 und 5.000 U/min
- Antrieb: Allrad, 8-Gang-DKG
- Verbrauch kombiniert: 14,1 l/100 km²
- CO2-Emissionen kombiniert: 320 g/km²
- Beschleunigung (0–100 km/h): 3,7 s
- Höchstgeschwindigkeit: 335 km/h
- Abmessungen (L/B/H): 4,85 m/1,96 m/1,40 m
- Gewicht: ca. 2.500 kg
- Grundpreis Bentley Continental GTC Mulliner W12: ab 305.210 Euro
*Herstellerangaben