Wer sich so richtig mit Luxusproblemen beschäftigen möchte, der besucht die Webseite von Bentley. Vielmehr den Konfigurator eines der drei aktuellen Kernmodelle Bentayga, Flying Spur oder Continental GT. Dort werden mit Bits und Bytes Autoträume visualisiert und allein die Auswahl der richtigen Außenlackierung zu einem Studienfach. Passt nun Peacock besser zum Lieblingsanzug, verträgt sich Radium mit der Innenraumfarbe Pillar Box Red? Fragen über Fragen, die sich die gut betuchte Kundschaft hier stellen lassen muss. Interessant: Gänzlich grässliche Farbkombinationen können im World Wide Web nicht dargestellt werden. Bei Risiken oder geschmacklicher Verirrung fragen sie Ihren Arzt oder Bentley-Fachberater.
„Unser“ Pressetestwagen dagegen kommt im schlicht eleganten Extreme Silver Satin daher, zeigt im Inneren eine ausgeprägte Bordeauxhaftigkeit und erhielt als Topping ein paar Pfund Karbonfasern spendiert. Das alles ist dann ziemlich gut zusammengesetzt und überhaupt gibt es an der Material- und Verarbeitungsqualität kaum etwas zu bemängeln. Wir hatten es bereits beim Test des V8-Continental geschrieben, wirklich störend sind nur die sichtbaren Gleichteile, entliehen aus anderen, eher unerlauchten Volkswagen-Produkten. Das kann nun einen Audi A3 hoch adeln, aber gleichzeitig einen Bentley Continental deutlich abwerten – je nach Betrachtungsweise. Jene Tatsache ändert allerdings nichts daran, dass das digitale Instrumentenkombi (ob nun in Crewe oder Ingolstadt eingesetzt) bestens abzulesen ist und das Volant satt in der Hand liegt. Apple CarPlay und Android Auto dürften aber mittlerweile gerne ohne Kabel funktionieren.
Aber wie so oft in der Luxusklasse: Auch bei einem Bentley Continental GT Speed (Kraftstoffverbrauch kombiniert: 13,5 l/100 km; CO2-Emissionen kombiniert: 308 g/km)² kommt es im Zweifel auf gänzlich andere Dinge an. Zum Beispiel auf das, was da vor dem Passagierabteil leise vor sich hin grummelt. Dort nämlich verrichtet der letzte Volkswagen-Zwölfzylinder seine Arbeit: Der altehrwürdige „V-V-Motor“ mit sechs Litern Hubraum als W12, in Auftrag gegeben vom einstigen VW-Patriarchen Ferdinand Piëch. Entwickelt Mitte der 1990er-Jahre aus zwei zusammengebauten VR-Sechszylindern, seit nunmehr knapp 22 Jahren im Handel, stetig weiterentwickelt und als vorletzte Eskalationsstufe (es kommt noch der 740 PS starke Bentley Batur) mit allradgetriebenen 659 PS und 900 Newtonmeter Drehmoment beseelt. Danach, spätestens im April 2024, wird Schluss sein mit der W12-Manufakturproduktion und zwischen Tegernsee, Königstein und Sylt müssen andere PS-Boliden herhalten. Meist mit weniger Hubraum, mit weniger Zylindern.
Klar könnte man auch weiterhin zu einem nicht elektrifizierten Rolls-Royce greifen. Die BMW-Tochter will schließlich noch bis zum Ende des Jahrzehnts auf große Motoren setzen. Die Wahrheit ist aber auch: Kaum ein Luxuscoupé in der Preisklasse jenseits der 220.000 Euro ist derart für die sehr schnelle und sehr bequeme Reise entwickelt worden wie der Bentley Continental GT Speed. Maximal 335 km/h soll der Brite schaffen, mangels angepasstem Reifendruck und ob der vorherrschenden Bedingungen begnügten wir uns dagegen mit einem Maximaltempo von kurzweiligen 270 km/h. Klingt in der heutigen Zeit absurd und unvernünftig? Ist aber Kraft der Gesetzgebung in Deutschland weiterhin möglich. Zumindest dann, wenn die Autobahnen zur nächtlichen Stunde ihre vier bis fünf Spuren unbeschränkt und ohne nennenswerten Verkehr freigeben.
Und so pendeln wir entspannt, mit einer Reisegeschwindigkeit zwischen 220 und 260 km/h, einem Arbeitstermin im Taunus entgegen, erkunden zwischen Wallberg und Feldberg die höheren Weihen der automobilen Gesellschaft. Und wahrlich: Es reift die Erkenntnis, dass der viele Hubraum im Vorderwagen doch einen erheblichen Komfort-Unterschied macht. Es ist die stets vorhandene Leichtigkeit des Antriebs, die begeistert. Dass so gefahren, trotz der teilweisen Abschaltung von sechs Zylindern, gut 15,5 Liter auf 100 Kilometer verbrannt werden, steht freilich auf einem anderen Blatt.
Andererseits: Für die dauerhaft schnelle Hatz ist dieser Wert auch nicht sonderlich eskalativ. Da kennen wir hubraumschwache Vierzylinder mit ähnlichen Verbräuchen. Wer es dagegen außerhalb Deutschlands mit der langen Reise gemäß der dort geltenden Verkehrsregeln versucht, wird knapp an der magischen 10-Liter-Grenze schrappen. Ebenfalls noch nicht eisbärenfreundlich, aber eben auch nicht ausufernd.
Anstelle der glaubhaften 3,6 Sekunden von null auf 100 km/h und der angepeilten Vmax ist es ohnehin der Drehzahlmesser, der stets die Blicke auf sich zieht. Anders als bei Rolls-Royce, wo es nur die "Power Reserve" gibt, will dich der Bentley Continental GT Speed immerzu im klaren darüber lassen, dass bis zur Nenndrehzahl von 6.000 Touren noch ziemlich, ziemlich viel Luft ist. So dreht der W12-Biturbo durch sein lang übersetztes Achtgang-Doppelkupplungsgetriebe bei Tempo 260 gerade einmal 3.000, auf der Landstraße gar ermüdende 1.300 Umdrehungen pro Minute. Wer in diesen Momenten allerdings nur millimeterweise das Gaspedal drückt, erntet in aller Regel eine nachdrückliche Beschleunigungsleistung. Du denkst Geschwindigkeit, der Continental GT Speed gibt sie dir. Immer! Dabei taugt der 4,85 Meter lange Wagen auch für schnelle Kurven, folgt bereitwillig den Lenkbefehlen der Allradlenkung, lässt erst spät sein Gewicht von 2,4 Tonnen schiebend über die Vorderachse spüren.
Dass an anderer Stelle auch die adaptive Luftfederung und die massiv großen Carbon-Keramikbremsen exzellente Dienste leisten, soll nicht unerwähnt bleiben. So gelingt es dem Fahrwerk, außer bei kurz hintereinander folgenden Querrillen, stets wolkige Fahrmomente abzuliefern. Per Drehregler wird die Fuhre härter, aber nicht unkommod. Und die riesigen Stopper hinter den 22 Zöllern? Sie verzögern das Reisecoupé kaum weniger vehement als das auch bei einem aktuellen Porsche 911 GT3 der Fall ist (Kraftstoffverbrauch kombiniert: 13,0-12,9 l/100 km; CO2-Emissionen kombiniert: 294-293 g/km²).
2024 beendet Bentley die W12-Produktion. Auch der hier getestete Continental GT Speed ist dann um eine Attraktion ärmer, wird, sofern es einen gleichlautenden Nachfolger geben wird, wohl maximal durch acht Zylinder befeuert. Druck haben freilich alle Motoren bei den Briten, doch ist es einzig der W12, der eine derart sanftmütige, entspannte und konstante Beschleunigungsorgie zu bieten hat. Größter Kritikpunkt am Bentley bleibt indes die im Interieur stets sichtbare Nähe zu anderen, deutlich günstigeren, Produkten aus dem Volkswagen-Universum. (Text und Bild: Thomas Vogelhuber)
*Herstellerangaben