Meine ersten Testfahrten in und um Las Vegas entwickelten sich zu einem Schaulaufen der Superlative. Las Vegas, Hotel Bellagio: Kehlig bollernd schleiche ich mit dem R8 vor den Haupteingang, stelle den Wagen ab, will ein, zwei Fotos schießen. Noch bevor ich aussteige hat sich eine Menschentraube um die fast zwei Meter breite Flunder gruppiert. Fotoapparate werden gezückt, es folgt das Blitzlichtgewitter.
Nur kein Neid
Highway 515, stadtauswärts: Mit 55 Meilen (also nicht mal 90 km/h) cruise ich auf der Mittelspur dahin - und entschleunige den Verkehr. Rechts und links ziehen Stretchlimousinen, monströse SUVs und gepimpte Reisschüsseln an mir vorbei. Um dann die Geschwindigkeit soweit zu verringern, dass der Audi R8 langsam wieder die Führung übernimmt. Beim erneuten Vorbeifahren sehe ich begeisterte Gesichter, der eine oder andere Fahrer streckt den Daumen nach oben, einer schreit herüber: „Oh man, what a car!“
Ich lerne zwei Dinge. Erstens: Neid ist den Amerikanern fremd. Zweitens: Das Design weckt Begeisterung, obwohl es im Grunde rein funktional ist. Es dient dem optimalen Kompromiss zwischen geringem Luftwiderstand und maximalem Abtrieb. Der Unterboden ist vollverkleidet, Diffusoren an der Front, den Radhäusern und am Heck sorgen für einen Unterdruck zwischen Auto und Asphalt, der R8 saugt sich regelrecht auf der Straße fest.
(Un)heimlich leicht
Unsichtbar ist ein weiteres Highlight des neuen R8, der Space Frame unter der Aluminium-Karosserie. Die ist mit 210 Kilogramm nicht nur rund 40 Prozent leichter als eine Stahlkonstruktion, sondern auch deutlich steifer - Voraussetzung für höchste Fahrpräzision. An anderer Stelle gibt sich Audi offenherzig: Eine große Heckscheibe gibt den Blick frei auf den Mittelmotor, der hinter der Fahrerkabine platziert ist. Der Vorteil dieser Anordnung: ein tiefer Schwerpunkt und eine optimale Gewichtsverteilung.
Wie im RS4 schöpft der V8-Benzindiekteinspritzer kräftige 420 PS aus 4,2 Liter Hubraum, dreht giftig bis 8.250 U/min und liefert dennoch ein hohes Drehmoment über ein weites Drehzahlband. Das maximale Drehmoment von 430 Nm steht von 4.500 bis 6.000 Touren an, 90 Prozent davon zwischen 3.500 und 7.500 Umdrehungen. Im R8 wird der Motor mittels einer Trockensumpfschmierung mit Öl versorgt, die auch bei extremer Querbeschleunigung noch ihren Dienst tut.
The Way of Speed
Las Vegas Motor Speedway: Auf der Rennstrecke muss der R8 zeigen, ob er den Erwartungen an einen Sportwagen gerecht wird. Per Flagge wird die Strecke freigegeben - 4,6 Sekunden später überspringt die Tachonadel die 100-km/h-Marke, nach elf Sekunden wischt die Nadel über die 200-Markierung. Schluss ist erst bei 301 km/h. Bob und Pete, zwei Stealth-Bomber Piloten von der nahe gelegenen Nellis Air Force Base, nicken anerkennend mit dem Kopf. Und die Jungs verstehen wirklich was von Geschwindigkeit…
Nächste Disziplin: der Slalom. Ohne spürbare Seitenneigung schlägt der R8 Haken um die Hütchen. Das empfehlenswerte, optionale Magnetic-Ride Fahrwerk (€ 1.740) hält die Karosserie stets in der Waagerechten: Magnetische Partikel in der Dämpferflüssigkeit sorgen innerhalb von Millisekunden für die nötige Härte - je nach Fahrsituation. Bei schnellen Richtungswechseln legt der R8 eine Agilität an den Tag, die unter Allradsportwagen ihresgleichen sucht. Untersteuern ist kein Thema, die Viscokupplung schickt die Motorkraft hauptsächlich an die Hinterachse, die wiederum mit einem Sperrdifferenzial ausgerüstet ist.
Mit Sicherheit Spaß
So lassen sich mit dem R8 unglaubliche Kurvengeschwindigkeiten erreichen. Wer den spektakulären Auftritt liebt, kann per Gasbefehl den breiten Hintern lustvoll wackeln lassen. Dafür muss das ESP nicht einmal deaktiviert werden, in einer Zwischenstufe lässt sich die Schlupfregelung abschalten. Der extrem hohe Grenzbereich und das spät eingreifende ESP lassen aber auch mit komplett aktiviertem Sicherheitsnetz schnellste Runden zu.
Das optionale sequentielle Schaltgetriebe namens R Tronic wechselt in der Sport-Stellung die Gänge schneller als selbst der geübte Profi mit einem Handschaltgetriebe. Per Wippen am Lenkrad hat man jederzeit die Möglichkeit, selbst den Schaltzeitpunkt zu wählen. Beim Herunterschalten gibt das System schließlich Zwischengas - auch akustisch ein Erlebnis, wenn der röhrende Achtzylinder kurz heißer aufschreit.
Alltagsqualitäten
Valley of Fire, östlich von Las Vegas: Hier bewegen wir den Sportwagen auf ganz normalen Straßen, mit Geschwindigkeits- beschränkungen, die dem Potential diametral entgegenstehen. Hier wird das Tempo vor jeder Kurve auf Kriechgeschwindigkeit limitiert, damit auch ja nichts aus dem Kaffeebecher schwappt. Gondelt man nun in Zeitlupe durch den Nationalpark, lernt man den R8 von einer ganz anderen Seite kennen - und schätzen.
Einmal mehr ist es das Fahrwerk, das begeistert. In der Normalstellung spricht es ausgesprochen sanft auf Bodenunebenheiten an, filtert Schlaglöcher ungemein weg. Auch die R Tronic leistet ihren Beitrag zum entspannten Fahren, indem sie im Standard-Modus die Gänge lange hält. So kann der bei niedrigen Touren satt bollernden V8-Motor sein hohes Drehmoment voll zur Geltung bringen. Schließlich fällt das Platzangebot im bestens verarbeiteten Innenraum positiv auf, von Enge keine Spur. Hinter den ausreichend bequemen Sitzen lassen sich zwei kleine Golfbags verstauen, das Gepäckfach in der Fronthaube fasst klassenübliche 100 Liter.
Fazit
Was für ein Einstand: Audi katapultiert sich mit dem neuen R8 auf Anhieb in die erste Liga der Sportwagenhersteller. Es ist das breite Spektrum, das am 104.400 Euro teuren Tiefflieger begeistert: Der R8 ist einerseits ein rennstreckentauglicher Bolide mit großartigen Fahrleistungen und beeindruckenden Fahreigenschaften. Andererseits bietet er viel Reisekomfort und Luxus.
Damit ist der erklärte Konkurrent schnell ausgemacht. Er heißt Porsche 911 Carrera 4S, kostet rund 10.000 Euro weniger und hat schon seit Generationen den sportlichen Nimbus inne, den Audi gerade aufbauen will. Andererseits ist der Ingolstädter Debütant schlicht schneller. Und unschlagbar, was den Showeffekt betrifft - nicht nur in Las Vegas.