Es sind häufig die Schlüsselmomente, die mich einem Auto emotional näher bringen. Einer dieser Momente trug sich mit dem Audi e-tron GT (Stromverbrauch kombiniert: 21,6–19,9 kWh/100 km; CO2-Emissionen kombiniert: 0 g/km²) auf einer der vielen Autobahnen im Rhein-Main-Gebiet zu. Schon seit längerem hing mir dort, offenbar angestachelt vom aufreizenden Heck, ein Cupra Léon eben darin. Und dessen Fahrer wollte offenbar wissen, was so ein aktueller Elektroaudi querdynamisch zu leisten imstande ist.
So hielten wir beide auf die nicht in ihrer Geschwindigkeit begrenzte Autobahnüberleitung zu, die in eine relativ enge Rechtskehre mündete. Kurz rekuperiere (normalerweise bekannt als: bremse) ich an, platziere den Vorderwagen fast millimetergenau in Richtung Scheitelpunkt und komme mit quasi unveränderter Geschwindigkeit wieder aus der Kurve heraus. Den aufgemotzten Seat sah ich erst einige Sekunden später wieder im Rückspiegel - mehr oder weniger taumelnd.
Es war ein Schlüsselmoment, in dem ich dachte: Wow! Der e-tron GT hat tatsächlich die Fahrdynamik des auf gleicher J1-Basis stehenden Porsche Taycan geerbt. Und die folgenden beiden Testwochen sollten zeigen: In Details ist der Audi e-tron GT sogar besser als sein Bruder im Geiste. Sorry, Porsche.
Wobei man hier natürlich sagen muss: In der Preisklasse, in der e-tron GT und Taycan spielen, entscheidet meistens der persönliche Geschmack. Der Audi hat auch in der "zivilen" Version (also ohne das zusätzliche RS-Kürzel) den markigeren Auftritt im Vergleich zum Konzernbruder aus Stuttgart-Zuffenhausen. Er dreht Köpfe, lässt Finger zeigen und den ein oder anderen wohl verträumt die Web-Adresse der Audi AG auf seinem Smartphone eintippen.
Wer das macht, wird zunächst mit der Qual der Wahl konfrontiert. Tut es der "normale" e-tron GT, oder muss es der "RS" sein? Der günstigere e-tron GT ist technisch vergleichbar mit dem Porsche Taycan 4S (Stromverbrauch kombiniert: 25,4-20,4 kWh/100 km; CO2-Emissionen kombiniert: 0 g/km²), verfügt über 350 kW/476 PS bzw. unter Ausnutzung des Overboosts zeitweilig über 390 kW/530 PS.
Die Werksangabe nennt 4,1 Sekunden für die Beschleunigung aus dem Stand auf Landstraßentempo. Die Höchstgeschwindigkeit wird mit 245 km/h angegeben. Werte, die in allen Lebenslagen im Grunde ausreichen, wenn man ehrlich ist. Der RS erledigt selbstredend sämtliche Disziplinen etwas schneller und bietet 5 km/h mehr Höchstgeschwindigkeit. Ob man das braucht, muss man auch anhand des eigenen Bankkontos entscheiden.
Doch schon der e-tron GT quattro bietet zum selbstbewussten Basispreis von 99.800 Euro Annehmlichkeiten und ein Fahrgefühl, das im Grunde keine Wünsche offen lässt, wenn man der Elektromobilität offen gegenübersteht. Das Interieur wirkt Audi-typisch vertraut und dennoch wohltuend anders. Die sehr tiefe Sitzposition und die knappe, alcantarabezogene Hutze über dem Virtual Cockpit wirken sehr sportlich, die lederfreie Ausstattung auf den Sitzen und die offenporige Holzleiste hochwertig.
Weniger gefallen hat uns das Kunstleder an Armaturenbrett und Türbrüstungen sowie die glanzschwarz lackierte Mittelkonsole. Das Lenkrad wiederum verzichtet glücklicherweise auf die aktuell moderne Touch-Bedienung. Ob man das Audi-MMI kennt oder nicht: Seine Nutzung gelingt intuitiv und zügig, man verzichtet auf Sperenzchen und macht damit einen Punkt gegenüber dem immer noch nicht ganz einleuchtenden Infotainment im Porsche Taycan. Aber das nur als Randnotiz.
Keine Randnotiz soll das Fahren im Audi e-tron GT bleiben. Denn das ist - für ein Elektroauto - überraschend analog. Dieser Audi ist für den Selbstfahrer gebaut, was sich allein schon daran zeigt, dass einmal deaktivierte Fahrassistenten auch beim nächsten Start deaktiviert bleiben. Bereits die ersten Meter schaffen Vertrauen: Die Kombination aus tiefer Sitzposition, einem (auch im Comfort-Modus) knackig abrollenden Fahrwerk und einer sehr direkt abgestimmten Lenkung verbindet den Fahrer mit dem Auto. Sie lässt ihn teilhaben am Straßenzustand, lässt ihn den Kontakt zwischen Reifen und Asphalt spüren. Eine Eigenschaft, die viele Autohersteller offenbar immer mehr aus den Augen verlieren.
Dazu passt der extratiefe Schwerpunkt, der natürlich aus der 83,7 kWh (netto) großen Batterie resultiert. Sie führt dazu, dass der e-tron GT auf Autobahnen und Landstraßen sehr satt auf der Fahrbahn liegt und, dass er leer über 2,3 Tonnen wiegt. Immerhin führt das gewichtige Akkupack dazu, dass realistische Reichweiten um 400 Kilometer erreicht werden können.
Im Alltagsbetrieb liegt der Verbrauch des Audi e-tron GT sodann zwischen 19,9 und 23,9 kWh auf 100 Kilometer, geladen wird dank wegweisender 800-Volt-Technik. So ist es möglich am 300 kW-Schnelllader (DC) in 20 Minuten den Akku von 10 auf 80 Prozent aufzuladen. An städtischen Wechselstrom-Ladesäulen (AC) bleibt es dagegen bei einer maximalen Ladegeschwindigkeit von 11 kW, was die Standzeiten im Zweifel deutlich erhöht.
Schneller ist der Audi e-tron GT, wenn es um die Längsbeschleunigung geht. Bis 200 km/h ist der Vortrieb der umgerechnet 530 PS mehr als überzeugend. So überzeugend, dass man nicht das Bedürfnis nach einem RS hat. Auch der e-tron GT verfügt über das aus dem Porsche Taycan bekannte Zweiganggetriebe an der Hinterachse. Doch in der Regel fährt der e-tron GT im zweiten der beiden Gänge an. Nur, wenn man die Leistung per Kickdown abruft, kommt mit einem mechanischen Ruck der kurz übersetzte erste Gang zum Einsatz.
Der Audi e-tron GT ist ein Elektroauto nah an der Perfektion. Die Beschleunigungswerte sind auch als Nicht-RS über jeden Zweifel erhaben. Veritable Reise-Reichweiten sind dank der üppig dimensionierten Batterie und dem effizienten Stromverbrauch kein großes Problem. Die Verarbeitungsqualität ist gut, die Bedienung und Handhabung unkompliziert. Wer einen Elektro-Sportwagen mit vier Türen sucht, dürfte am e-tron GT somit kaum vorbeikommen - es sei denn, er mag den Porsche Taycan einfach lieber. Da kommt's dann wohl doch auf den ganz persönlichen Schlüsselmoment an. (Text: Maximilian Planker | Bilder: Hersteller)