Schaffe ich es, einen ersten Testbericht über den neuen Audi e-tron GT zu schreiben, ohne zumindest einmal dessen Bruder im Geiste aus Zuffenhausen zu erwähnen? Du weißt schon, die erste Elektrolimousine von Por… Nun, ich probiere es. Denn Vergleiche zwischen dem Audi e-tron GT, gebaut in Neckarsulm, und dem technischen Stiefbruder aus der gut 50 Kilometer entfernten Nachbarstadt wird es in den kommenden Tagen über Gebühr geben (Stromverbrauch kombiniert: 21,6–19,9 kWh/100 km; CO2-Emissionen kombiniert: 0 g/km²).
Sie braucht es aber eigentlich nicht, denn der Audi e-tron GT fährt als viertürige E-Limousine in der preislichen Oberklasse derzeit einsam an der Spitze voraus. Daimler und BMW haben ihm nichts entgegenzusetzen, Tesla scheitert an der Qualität und Zuffenhausen patzt beim Bediensystem. Im Audi e-tron GT und dessen potenter RS-Variante regieren dagegen weiterhin echte Schalter. Ganz offensichtlich lässt man sich beim Innenraumkonzept kein k(n)opfloses Design vorschreiben – auch nicht von der VW-Konzernspitze in Wolfsburg.
Weiterhin gibt es normalgroße Bildschirme und wahlweise einen sehr feinen veganen Innenraum. Wenn ich hierbei die Wollsitze von Volvo als Referenz heranziehe und meine, dass das zum Teil aus Recyclingmaterialien bestehende Audi-Gestühl ohne Echtleder noch ein Stück wertiger daherkommt, dann ist das ein Lob sowohl nach Schweden als auch in Richtung der Audianer. Das Lenkrad wird bei der lederfreien Option indes mit Alcantara bezogen.
Somit sitzt du nicht nur erstklassig im Audi Gran Turismo (GT), du kannst ihn auch ebenso einfach bedienen. Weshalb eine Limousine heute immer als viertüriges Coupé oder GT tituliert werden muss, bleibt dagegen ein Geheimnis der jeweiligen Marketing-Abteilung. Vielleicht will man sich so für einen zu kleinen Kofferraum (405 Liter hinten plus 85 Liter im „Frunk“), die winzige Kofferraumluke sowie den bescheidenen Einstieg in die zweite Sitzreihe entschuldigen.
Letzteres macht auch nach dem dritten Versuch noch keinen wirklichen Spaß, was man von der eigentlichen Sitzposition im Fond nicht behaupten kann. Trotz 1,94 Meter Körperbau sind die Platzverhältnisse hinten noch angenehm. Die Füße rasten in der „Foot Garage“, dem Plätzchen für die Schuhgröße 46 unterhalb der Vordersitze, ein und selbst das Haupthaar schleift nur dezent am immer dunklen Dachhimmel. Es ist dann allerdings doch anzunehmen, dass auch eine elektrische GT-Limousine meist zu zweit und mit eher handlichem Gepäck beweget wird.
Vorbei sind offensichtlich die Zeiten, als V8- und V12-Motoren für standesgemäßen Vortrieb sorgen durften. Heute und morgen sollen es potente E-Antriebe richten. Im System 350 kW/476 PS und 630 Nm leisten die beiden an der Vorder- und Hinterachse platzierten permanenterregten Synchronmaschinen, im 2,5-sekündigen Boost-Mode stehen sogar 390 kW/530 PS und 640 Nm bereit. Ein 2-Gang-Getriebe an der Hinterachse fungiert als Mittler zwischen niedrigen und hohen Geschwindigkeiten. In 4,1-4,5 Sekunden geht es von 0 auf 100 km/h, elektronisch abgeregelt wird bei Tempo 245.
Wie jene Zahlen erahnen lassen, haben die beiden Motoren leichtes Spiel mit der immerhin 2,4 Tonnen schweren Fuhre (650 Kilo entfallen auf den im Fahrzeugboden montierten Lithium-Ionen-Akku) und selbst vor Kurven muss die Limousine nicht kapitulieren. Der elektrische quattro-Allrad mit Hinterachsdifferenzialsperre, Allradlenkung und die bei Audi neu eingeführte Dreikammer-Luftfederung halten den e-tron GT auf faszinierende Weise in der Spur. Wenngleich viele dieser fahrdynamischen Schmankerl extra bezahlt werden müssen, ab Werk gibt es immerhin eine sehr mitteilsame Lenkung und natürlich einen ausgesprochen leisen Innenraum.
Für etwas Kleingeld kann sich ein jeder den e-tron Sportsound hinzubestellen. Eine Sache, die es eher weniger braucht und viel interessanter ist doch, wie sehr die beiden E-Maschinen bei gleichmäßiger Fahrweise zu pulsieren scheinen. Beinahe entsteht der Eindruck, man bewege einen Audi mit altgedientem Torsen-Differenzial, wenngleich solch mechanische Verbindungen bei einem E-Auto natürlich nicht mehr bestehen.
Zur langstreckentauglichen Abstimmung von Fahrwerk, Lenkung und E-Maschinen passt es dann natürlich auch, dass der Audi e-tron GT ab Werk mit bis zu 270 kW Gleichstrom geladen werden kann. Beim ersten Test schaffte ich bei Ionity zwar nur einen Peak von etwa 160 kW, der Akku zeigte aber auch noch einen Füllstand jenseits der 30 Prozent an. Unter 20 Prozent soll es dann flotter gehen, ordentliche Plusgrade und eine vorkonditionierte Batterie vorausgesetzt.
Das Thema Verbrauch konnte auf den ersten Testkilometern in und um Hamburg derweil nur angeschnitten werden. So pendelte die Digitalanzeige zwischen 24,5 und 30 kWh auf 100 Kilometer, wobei freie Autobahnabschnitte durchaus mit 200 km/h und mehr genommen wurden. Nimmt man den unteren der beiden Werte, so ergeben sich mit der netto 83,7 kWh großen Batterie rein rechnerisch Reichweiten um 340 Kilometer. Audi selbst gibt eine WLTP-Reichweite von mindestens 452 Kilometer zu Protokoll.
Der Audi e-tron GT führt die Marke mit den vier Ringen endlich wieder zum "Vorsprung durch Technik" zurück. Eine Sache, die die e-tron SUVs bisher nicht geschafft haben. Den entscheidenden Unterschied macht die vollwertige Elektro-Plattform J1, die überdies erfahrbare (Winter-)Reichweiten jenseits der 340 Kilometer realistisch macht. Daneben ist der e-tron GT quattro hochwertig verarbeitet, leistungsstark und erfreulich einfach zu bedienen. Auf die Stimmung drückt dagegen der mehr als selbstbewusste Basispreis um 100.000 Euro. Dennoch: Als Gesamtwerk macht es in dieser Fahrzeugklasse derzeit keiner besser. (Text und Bild: Thomas Vogelhuber)