Der Abarth 600 e auf einen Blick
- Zweites Elektroauto von Abarth
- Entwicklung durch Stellantis Rennsport-Abteilung
- 174 kW/240 PS bis 207 kW/280 PS Leistung
- Reichweite bis zu 322 km
- Sondermodell „Scorpionissima“ limitiert auf 1.949 Stück
- Grundpreis (Deutschland) ab 44.990 Euro
Der Sturm der Entrüstung, der über Abarth in den einschlägigen Foren hinwegfegte, als die Verbrenner-Ära für beendet erklärt wurde, wirkt auch heute noch nach. Hier in Balocco, der berühmten Teststrecke des Fiat-Konzerns vor den Toren Mailands, weht zwar kein Lüftchen, aber man ist bemüht bei der Vorstellung des zweiten Elektro-Abarths 600e die Luft aus der Debatte zu nehmen. Freilich nicht ohne mit dem Finger auf diejenigen zu zeigen, die für die Malaise verantwortlich sind. „Wir haben die Gesetzte nicht gemacht“, sagt Guillaume Clerc, Produktmanager von Fiat und Abarth, beleidigt in Richtung EU und Verbrenner-Verbot. Dann stellt er die rein rhetorische Frage: „Kann ein Elektro-Auto emotional sein“, um schließlich im besten Marketing-Englisch zu dem Schluss zu kommen: „The 600e ist the most Abarth ever!“
Wenn es um große Gefühle geht, dann hilft die große Geschichte
Kann ein Elektro-Auto ein echter Abarth sein? Was würde Karl Abarth dazu sagen? Sorry Carlo natürlich. Auf seinen italienischen Vornamen legte er Wert: der gebürtige Wiener, Gründer der sportlichen Kult-Marke, erfolgreicher Rennfahrer und genialer Konstrukteur. „King of Small Cars“ tauften ihn die Amerikaner als gleich zwei Abarths beim ersten GT-WM-Lauf in Sebring anno 1962 auf dem Treppchen landen. Am Steuer übrigens ein gewisser Bruce McLaren, der den favorisierten Dritten Stirling Moss (Austin-Healey-Sprite) deklassierte. Mit aufgemotzten kleinen Autos verdiente Abarth in den 50er und 60er Jahren richtig viel Geld.
Der Fiat 600 war die perfekte Basis für unzählige Abart(h)en – darunter auch ein gewisser 850 TC. 60 Jahre danach spielt der Oldtimer wieder eine bedeutende Rolle. Denn sowohl das Haifischmaul, das damals einen zusätzlichen Kühler beherbergte, als auch ein markanter Heckspoiler, der aus einer aufgestellten Motorhaube bestand, feiern im 600e Abarth ihre Auferstehung. Außerdem strotzt das Auto nur so vor (jetzt gelben) Abarth-Skorpionen. Ob auf Lenkrad, Felgen oder auf den Schürzen – das Sternzeichen, unter dem Carlo Abarth geboren wurde, ist allgegenwärtig.
Tiefer, breiter, Haifischschnauze: der Bulle von Turin
Nach dem Abarth 500e (hier im Test) schickt Stellantis also den zweiten Elektro-Stachel zur Kundschaft. Die fehlenden Emotionen, weil es in diesen Autos halt nicht mehr raucht und kracht, versucht man einerseits mit optischen Anleihen aus der Vergangenheit zu ersetzen. Aber auch technisch hat Fiat schwer aufgerüstet. Federführend bei der Entwicklung des 4,19 Meter langen Skorpions war neben den Abarth-Experten auch die Rennsport-Abteilung von Stellantis. „The most Abarth ever“ – dieser ambitionierte Anspruch schwebte über dem Projekt. Als Basis dient heute wie auch anno dazumal ein Fiat 600. Überarbeitet wurden alle Komponenten, die für eine gute Performance wichtig sind. Los ging es bei Karosserie und Aerodynamik. Der Skorpion liegt 25 mm tiefer, die Spur ist vorne 30 mm breiter, hinten 25 mm. Dazu kommen ein eckiger und durchströmter Dachkantenspoiler und die gestreiften schwarz Stoßfänger – schon sieht der 600er richtig bullig aus. Durch die charakteristische Haifischschnauze saugt der Abarth Luft ein, wichtig für das Thermomanagement, das ebenfalls angepasst wurde.
Anpassung wäre eine komplette Untertreibung, wenn man sich die Leistungssteigerung des E-Motors anschaut. Im Serienfahrzeug werkeln nur 156 PS. Beim Abarth sind es wahlweise 240 oder sogar 280 PS. Je nachdem, welches Modell man kauft. Der schärfere „Scorpionissima“ wird allerdings nur 1.949 Mal gebaut. Die Zahl ist eine Hommage an das Gründungsjahr der Marke. Natürlich ist der Ober-Skorpion um 0,3 Sekunden schneller beim Spurt auf die magische Tempo-100-Marke: 5,9 Sekunden sind es am Ende. Bei Drehmoment (345 Nm) und Top-Speed (200 km/h) liegen beide auf dem gleichen Niveau. Getestet wurde der Motor übrigens auf einem Prüfstand der Formel E mit einem echten Streckensimulator.
Fahrmodus „Scorpion Track“: Sogar das ESC hält sich zurück
Wer jetzt denkt: Logisch, bei so viel Leistung, da hat der Abarth sicher Allradantrieb. Weit gefehlt, die Power kommt ausschließlich auf die Frontachse. Um hier für eine saubere Traktion zu sorgen, setzen die Entwickler auf ein mechanisches Torsen-Sperrdifferenzial, das die Antriebsmomente zwischen den beiden Reifen verteilt. Und siehe da: Die Beschleunigung geht verlustfrei vonstatten, keine schubbernden Reifen auf der feuchten Fahrbahn – und aus den Kurven heraus beschleunigt der Abarth präzise und sauber. Die Lenkung ist vielleicht ein wenig schwergängig, aber dadurch hat man jederzeit genügend Rückmeldung von der Straße.
Was nicht verkehrt ist, weil man den 600e ordentlich durch die Kurven tanzen lassen kann. Der Nervenkitzel am Limit zu sein, wird vom ESC noch unterstützt, das im schärfsten Modus „Scorpion Track“ sogar kontrolliertes Driften erlaubt. Quietschende Reifen, pochende Herzen, schwitzende Hände – wem hier die Emotion fehlt, der sollte erwägen, eine Sitzung mit seinem Psychiater anzuberaumen wegen Verdachts auf Gefühllosigkeit. Beim Fahrwerk des Abarth 600e wurde eine steifere Aufhängung verbaut, ein zusätzlicher Stabilisator an der Hinterachse sorgt ebenfalls für mehr Steifigkeit. Zusammen mit dem tiefen Schwerpunkt liegt der Abarth satt auf der Straße, und obwohl die Karosserie mit 1,57 Metern für einen Sportwagen ziemlich hoch ist, haben wir in den Kurven kaum Wankbewegungen registriert.
320 Kilometer Reichweite – bitte nicht darauf verlassen
Ach ja, fast hätten wir es vergessen bei der doch recht sportlichen und spaßigen Ausfahrt auf dem heiligen Asphalt von Balocco: Der Abarth ist ja ein Elektro-Auto. Seine Batterie ist mit 51,5 kWh (netto) nicht sonderlich groß und soll für Reichweiten um die 320 Kilometer gut sein. Geschenkt ist, was da auf Papier steht, in der Praxis ist es bis zu einem Drittel weniger. Gerade wenn man den Abarth scheucht, was ja im Sinne des Erfinders ist. Deshalb sind die Verbrauchsangaben mit 18,6 kWh rein hypothetisch. Beim Aufladen geht es mit immerhin 100 kW zur Sache (DC). In 29 Minuten von zehn auf 80 Prozent – das ist eher Durchschnitt. Mit 11 kW dauert es knapp sechs Stunden und zu Hause einphasig mit 3,7 kW die ganze Nacht und den halben Tag (16 Stunden und 10 Minuten).
Erstes Fazit
Was hätte Carlo gesagt zum stärksten Abarth aller Zeiten? Hätte dem echten Wiener der Schmäh gefallen, den das Auto ausstrahlt mit solch extrovertierten Lackierungen wie „Acid Green“ oder „Hynotic Purple“? Wie hätte er den Soundgenerator gefunden, den es nur im „Scorpionissima“ gibt und der so klingt, als ob man einen Achtzylinder mit einem Raumschiff gekreuzt hätte? Wir wissen es nicht und werden es auch nie erfahren. Wir können nur sagen: Wenn Abarth schon elektrisch werden muss, dann geht es nur so. Cooles Design, lässige Digitalfeatures (Echtzeit-Drehmoment-Anzeige für jedes Rad) und ein knackiges Fahrwerk, das Spielraum lässt für Querdynamik. Allerdings: Das Vergnügen kostet mindestens 44.990 Euro für den schwächeren „Turismo“ und 48.990 Euro für den „Scorpionissima“. Spätestens hier dürfte sich Carlo im Grab umdrehen. Zumindest a bisserl. (Text: Rudolf Bögel | Bilder: Hersteller)