Doch jetzt, wo die Wogen sich ein wenig geglättet haben, ein jeder bereits mehr oder weniger Zeilen zum Porsche Taycan verfasst hat, wird es doch Zeit, mal ganz ohne verbissene Hektik auf dieses Auto zu blicken. Ob man dabei in Stuttgart-Zuffenhausen für das technologische Resultat von vielen Monaten Arbeit ebenfalls Beifall erhält, dürfte sich erst im Laufe der nächsten Monate herausstellen. Die Produktion ist bereits angelaufen, der Konfigurator steht bereit. Das Elektrozugpferd wird im Serienzustand also sehr bald von mehr oder minder kritischen Kunden unter die Lupe genommen werden kann. Wenn es nach Porsche geht, gleicht es natürlich der Suche nach der berühmten Nadel im Heuhaufen, möchte man Kritikwürdiges finden. Weshalb wir ganz nüchtern auf die neue Baureihe eingehen möchten.
Ein „Turbo“ ganz ohne „Turbomotor“
Ein wenig irritierend ist auch nach mehreren Wochen: Die Namensgebung. Porsche Taycan Turbo respektive Taycan Turbo S heißen die beiden Varianten, die es zum Marktstart geben wird. Von mehr oder weniger namhaften Autojournalisten dieser Erde hat man für diesen Schritt in Zuffenhausen ganz ordentlich Kritik einstecken müssen. Es scheint, als wolle man dort alte Wurzeln nicht vollständig kappen. Vielleicht ist auch ein gewisser Wiedererkennungsfaktor von Nöten, um den nicht ganz niedrigen Preis zu rechtfertigen (darauf gehen wir später noch ein). Auch wenn das einzig turboähnliche Bauteil an einem Taycan vielleicht dessen Klimakompressor ist. In subjektiver Hinsicht ist es aber seine Beschleunigung. Dafür ist es recht egal, ob man nun im vorläufigen Basismodell Turbo oder in dessen größerer Ausbaustufe Turbo S sitzt. Letzterer marschiert dank maximal 560 Kilowatt Leistung (mit Overboost, ansonsten 460 kW) in 2,8 Sekunden auf Tempo 100, der Taycan Turbo benötigt mit maximal 500 Kilowatt Leistung für diese Disziplin 0,4 Sekunden länger. Beide Modelle sind dank ihrer E-Motoren an Vorder- und Hinterachse allradgetrieben und sollen eine Höchstgeschwindigkeit von 260 km/h erreichen.
Die maximale Reichweite: Ordentlicher Durchschnitt
Derlei Beschleunigungsspirenzchen kennen wir ja bereits aus dem Hause Tesla und sie mögen für die Papierform von Bedeutung sein. Im echten Leben kennen wir keinen Fahrer eines Elektroautos, der dessen Sprintwerte regelmäßig auskostet. Die maximale Reichweite ist dort etwas mehr von Interesse. 412 Kilometer soll der Turbo S maximal mit einer Akkuladung schaffen, der Turbo mit 450 (jeweils nach WLTP gemessen) etwas mehr. Doch in beiden Varianten sind das Werte, die uns – mit Verlaub – nicht von unserem Schreibtischstuhl kegeln. Ein Renault Zoe wird mit ähnlichen Werten angegeben, nota bene bei halber Batteriekapazität. Und: Ein Tesla Model S erreichte derlei schon vor einigen Jahren, das aktuelle Performance-Modell überflügelt den Porsche hier mit einer Reichweitenangabe von 590 Kilometern deutlich.
Porsche selbst sagt dazu, dass die maximale Reichweite bei der Entwicklung des Taycan nicht an oberster Stelle im Lastenheft stand. Und auch wenn es sich wohl die meisten potentiellen Interessenten gewünscht haben, dass Porsche mit seiner Entwicklung neue Reichweitenrekorde aufstellt: Es ist hinreichend bekannt, dass es für den passionierten Langstreckenfahrer im Moment keine echte Lösung auf dem Elektroautomarkt gibt. Eine solche stellt auch der Taycan eben nicht dar. Porsche schnürt aus den technischen Möglichkeiten aber das wohl derzeit beste Paket.
Nicht nur die kolportierte Rundenzeit auf der Nordschleife des Nürburgrings von 7.42 Minuten zeigt das. Laut Porsche halten die Batterien auch mehrfache Voll“gas“manöver locker aus, ohne dass dies zu Leistungseinbußen führen würde. Was für ein mehr als aufwendiges Kühlsystem spricht. Porsche steckt außerdem viel Arbeit in die Weiterentwicklung des internationalen Ladenetzes. Auch sollen Taycan-Kunden dank des sogenannten Porsche Charging Services Zugriff auf über 100.000 Ladepunkte in Europa haben. Die Abrechnung des Ladevorgangs muss dann nicht mehr mit einer anbieterspezifischen Ladekarte vonstatten gehen, sondern erfolgt zentral über Porsche.
Mit 800 Volt Systemspannung ans Ziel
Und der Porsche Taycan möchte auch mit weiteren Schmankerln punkten. So beträgt die Systemspannung des Taycan 800 Volt. Dieser Neuerung sei Dank soll bei Idealbedingungen (Schnelllader mit Gleichstrom) innert fünf Minuten für 100 Kilometer Energie „nachgetankt“ werden können. Ziel ist es laut Porsche, irgendwann die Ladezeit so zu verkürzen, dass sie einem normalen Tankvorgang eines heutigen Verbrenners nicht mehr nachsteht. Mit einer maximalen Ladeleistung von 270 Kilowatt, die bislang jedoch seltenst von örtlichen Ladesäulen erreicht werden können. 80 Prozent der Kapazität der sogenannten Performance Batterie Plus des Taycan sollen heute schon bei diesen optimalen Bedingungen nach 22,5 Minuten erreicht werden.
Ihre Kapazität beträgt 93,4 Kilowattstunden. Energie wird ferner mittels Rekuperation gewonnen, beim Porsche Taycan mit bis zu 265 Kilowatt Leistung. Zum Vergleich: Der Audi e-tron rekuperiert mit maximal 220 Kilowatt. Bis zu 90 Prozent aller Bremsungen im Alltag sollen hierdurch alleine durch die Rekuperationsleistung der Elektromotoren erfolgen und gerade nicht über die herkömmlichen Bremsen. Bei letzteren vertraut der Taycan Turbo S übrigens serienmäßig auf die PCCB genannte Porsche Ceramik-Composite-Break, während der Taycan Turbo mit aus dem Cayenne bekannten Wolframcarbidbeschichteten Grauguss-Scheiben (PSCB) ausgerüstet ist.
Zwei Getriebe, drei Gänge
Nicht nur im Hinblick auf das Bordnetz geht Porsche neue Wege. So hält bei einem Elektroauto sehr innovativ ein Zweigang-Getriebe Einzug. Es sitzt zusätzlich zum Einganggetriebe des Vorderachsmotors an der Hinterachse und soll dem Taycan durch eine kurze Übersetzung des ersten Ganges noch bessere Beschleunigungswerte ermöglichen. Der zweite, länger übersetzte, Gang dient der Steigerung der Effizienz. Kritiker nannten das Auto aufgrunddessen schon „overengineered“, die meisten dieser Kritiker saßen in den USA. Also genau diejenigen, die die gesamte GT-Palette von Porsche genau für diese Ingenieursleistung hochloben.
Innenraum mit Powermeter statt Drehzahlmesser
Optisch bleibt der Taycan erwartungsgemäß nah an der Studie Mission-E, die bereits im Frühjahr dieses Jahres der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Die Abmessungen liegen in Höhe und Länge etwas unter den Werten des Standard-Panamera, sodass der Taycan noch stärker dem 911 Carrera ähnelt. Auch im Inneren geht man nur teilweise eigene Wege. Die Armaturentafel – nun vollständig digitalisiert – kommt ohne eigene Abdeckung aus. Das mittlere Display erinnert an die übrigen Konzernmodelle. Neu ist die nun auch auf einen Wählhebel verzichtende Mittelkonsole mit einer Touchscreen-artigen Bedienoberfläche, die wir so in Teilen auch schon aus Audi-Modellen kennen. Der besagte Wählhebel wurde dafür am Armaturenbrett schräg hinter dem Lenkrad platziert.
Beifahrer-Display und recyelter Polyester
Ebenso neu bei Porsche ist das optionale Beifahrer-Display nach dem Vorbild Ferraris, das dem Copiloten eigene Bedienmöglichkeiten von (seinem) Telefon und des Infotainment-Systems erlaubt. Im Interieur stehen neben der üblichen Leder- und Naturlederausstattung auch Materialien aus recyceltem Kunststoff zur Wahl, die das grüne Antlitz des Taycan abermals unterstreichen sollen.
Die Preise sind auf Turbo-Niveau
Preislich ordnen sich die Taycan Turbo-Modelle vergleichsweise ambitioniert ein. Mit 152.136 Euro für den Turbo respektive 185.456 Euro für den Turbo S wird nur knapp weniger als für vergleichbaren Panamera-Modelle verlangt. Ein von den bloßen Papierwerten vergleichbares Tesla Model S Performance wird mit 102.700 Euro eingepreist. Schwächere und dafür vermutlich im Hinblick auf die Reichweite ökonomischere Modelle des Porsche Taycan sollen im Laufe der nächsten Monate folgen. Dies gilt auch für die Umsetzung des Konzepts „Cross Tourismo“, der Ende 2020 auf den Markt kommen soll. Letzten Endes wird man auf eben jene schwächeren Modelle des Taycan warten müssen, um seinen Erfolg tatsächlich messen zu können. Ein Absatz von 20.000 Jahreseinheiten dürfte sich nur mit den kostspieligen Turbo-Varianten wohl kaum bewerkstelligen lassen. (Text: Maximilian Planker | Bilder: Hersteller)