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Prototype: Hochautomatisiertes Fahren bei BMW – Aus Freude am Fahrenlassen

Zwei kleine Antennen auf dem Heckdeckel und eine zusätzliche auf dem Dach fallen auf. Ansonsten sieht der 5er BMW aus wie jeder andere - doch das Exemplar, das an diesem Aprilmorgen mit laufendem Motor auf mich wartet, kann deutlich mehr als seine Brüder.

Er ist einer der wenigen Prototypen, die das autonome Fahren beherrschen. HAF heißt das aktuelle Entwicklungs-Stadium bei BMW; das steht für hochautomatisiertes Fahren. Eine Stufe darunter, das teilautomatisierte Fahren, ist bereits in Serie, dazu zählen die gängigen Fahrerunterstützungssysteme wie Spurhalteassistent oder adaptiver Tempomat - dabei behält der Fahrer aber stets die Oberhand und muss voll auf das Fahren konzentriert sein.

Der Schritt von der Teil- zur Hochautomatisation bedeutet, dass der Fahrer sich durchaus anderen Dingen zuwenden kann, und nur wenn es das Verkehrsgeschehen erfordert vom Auto zurück ans Steuer gerufen wird - im übertragenen Sinne natürlich, denn der Platz hinter dem Lenkrad darf freilich nicht leer bleiben.

Sensoren rundum

Bei unserer Testfahrt nahm dort Michael Aeberhard Platz, seines Zeichens “Teilprojektleiter hochautomatisiertes Fahren” und damit für die selbstfahrenden Autos bei BMW zuständig. Doch bevor es losgeht, erläutert Aeberhard die Hardware. Die Eingangs erwähnten, sichtbaren Antennen sind freilich nicht alles, was der 5er zum Selberfahren braucht.

In der Schnauze und am Heck sind zusätzliche Radarsensoren verbaut, wie man sie vom Abstandstempomat kennt, eine zweite Kamera hinter der Windschutzscheibe überwacht die Straße und rund um gibt es extra Ultraschallfühler und Lasersensoren, die den Nahbereich im Auge behalten; letztere kommen unter anderem auch beim selbsteinparkenden i3 zum Einsatz, den BMW auf der CES in Las Vegas zu Beginn des Jahres vorgestellt hat.

Ein Kofferraum voll Computer

Dazu kommen derzeit noch üppige Rechnereinheiten, die fast den gesamten Kofferraum ausfüllen und die Daten der Sensoren mit denen des GPS-System und den eigens für spezielle Teststrecken erstellten, hochdetaillierten Landkarten abgleichen und daraus die Handlungsempfehlungen für die Fahrzeugsteuerung ableiten und entsprechend umsetzen. Die ganzen Computer auf eine gut versteckbare Größe zu bringen, sei allerdings das kleinste Problem, so Aeberhard.

Ich nehme also auf dem Beifahrersitz Platz und kann außer einem großen Extra-Bildschirm und einem Notausschalter, wie ihn alle Prototypen brauchen, nicht viel feststellen, was anders wäre als bei anderen 5ern. Zunächst geht es auch ganz gewöhnlich los: Aeberhard pilotiert den BMW durch den morgendlichen Münchner Stadtverkehr. “Wir haben auch kleinere Teststrecken in der Stadt”, erklärt Aeberhard, doch wolle man sich zu diesem Zeitpunkt der Entwicklung erst einmal auf die hochautomatisierte Fahrt auf der Autobahn konzentrieren.

Erstmal auf Autobahnen

Das ist zum einen der einfachste Schritt, schließlich gibt es weder Gegenverkehr noch Fußgänger oder Ampeln, mit denen der künstliche Chauffeur konfrontiert wird. Zum anderen bietet der Automatismus hier auch den größten Vorteil - schließlich sind gerade längere Autobahnetappen die am wenigsten schönen Momente des Autofahrens. Schon in fünf bis sieben Jahren - konkret also beim übernächsten 7er - könnte es ein entsprechendes Fahrerassistenzpaket in der Sonderausstattungsliste geben, so Aeberhard, das dem Fahrer die lästigen Autobahnfahrten abnimmt - und das nicht teurer sein soll, als die derzeitige Top-Ausstattung, also rund 3.000 Euro.

Inzwischen haben wir die Autobahnauffahrt erreicht. Aebrhard lenkt den BMW noch durch die Einfahrt und schaltet dann per Tastendruck den Autopiloten ein. Jetzt übernimmt die Technik das Steuer und entscheidet sich gleich als erstes für einen Spurchwechsel. “Unser Auto hält sich an das Rechtsfahrgebot”, schmunzelt der BMWler. Überhaupt ist der 5er ein ausgesprochen ordentlicher und netter Zeitgenosse. Auf die Autobahn einfahrenden Autos gewährt er den Vortritt und lässt sie einfädeln, er drängt sich nicht in Lücken und hält sich exakt an das Tempolimit. Wie das später in der Serie aussieht, weiß Aeberhard noch nicht, doch ist ihm durchaus bewusst, dass man gerade auf der Autobahn schnell zum Verkehrshindernis wird, wenn man sich genau an das Limit hält; dem Auto zu erlauben, schneller zu fahren, ist rechtlich aber auch umstritten - wer kommt schließlich für etwaige Knöllchen auf?

Haftungsfrage

Überhaupt ist die Haftungsfrage noch einer der Pferdefüße des hochautomatisierten Fahrens, denn: Unfälle wird es auch in der Zukunft geben und für die muss einer die Schuld übernehmen. Bis sich Industrie und Gesetzgeber auf einen gangbaren Weg einigen, dürften noch ein paar Jahre vergehen. Aber natürlich ist der BMW versucht, so vorsichtig wie möglich zu agieren und berechnet quasi im Hinterkopf immer auch eine Exit-Strategie. Ein Plan B also, das heißt genügend Platz zum Bremsen oder aber eine freie Spur zum Ausweichen. Diese Notfallreserven sind vor allem später im Stadtverkehr wichtig, wo zum Beispiel jederzeit ein Fußgänger auf die Straße rennen könnte.

Wenn er gar nicht mehr weiter weiß, übergibt der 5er lieber wieder das Steuer an den Fahrer. Als es darum ging die Autobahn zu wechseln, merkte unser virtueller Fahrer, dass er nicht auf die rechte Spur kommt, da ihm die Abstände zwischen den Fahrzeugen zu eng erschienen. Mit einem Hinweis im Kombiinstrument hat er Aeberhard darauf hingewiesen, die Hände wieder ans Steuer zu nehmen - ein Eingriff war allerdings nicht nötig, da sich in letzter Sekunde eine passende Lücke auftat; andernfalls hätte ein akustische Signal dem menschlichen Fahrer mitgeteilt, dass es nun seine Aufgabe ist, die Situation zu retten.

Entspanntes Reisen

Auch hier arbeiten die Ingenieure weiter an einer noch besseren Lösung, vor allem für den Fall, dass der Fahrer das Steuer nicht übernimmt; dann wäre zum Beispiel eine automatische Notbremsung am Standstreifen denkbar. Nach ersten Erkenntnissen dauert es übrigens zwischen fünf und fünfzehn Sekunden, bis der Fahrer wieder in der Lage ist, die volle Kontrolle zu übernehmen, abhängig davon, ob er nur gemütlich da saß, nebenbei Kaffee trank oder vielleicht mit dem Smartphone spielte. Dementsprechend früh muss das Auto in Zukunft den Fahrer warnen.

Der sitzt bei unserer Testfahrt ganz entspannt am Fahrersitz und dreht sich zum Unterhalten immer wieder zu mir. Zwar schweift sein Blick beim Spurwechsel schon noch zur Sicherheit in den Spiegel, doch sein Vertrauen in die Technik ist spürbar groß. Und das zurecht: Abgesehen von einer kleinen Baustelle, die der BMW nicht kannte, musste Aeberhard nicht eingreifen. Und auch solche Ausnahmen sollen in Zukunft kein Problem mehr sein. Helfen können dabei zum Beispiel vorausfahrende Autos, die einen entsprechenden Hinweis, dass es ein Hindernis gibt, an einen Server schicken, der wiederum die anderen Autos informiert.

Rund-um-Sicht

So ließe sich auch die neue Spurführung mitteilen, denn mit den gelben Linien hat der 5er noch Probleme; derzeit hängt er noch zu sehr an seinen eingespeicherten Kartendaten. Doch in Zukunft soll auch die Kamera solche Situationen besser erkennen, denn es ist ohnehin nicht machbar, von allen Strecken hochdetaillierte Karten zu bekommen; der BMW ist also auf das angewiesen, was er sieht.

Apropos sehen: Neben der Kamera überwachen die Eingangs erwähnten Radar- und Lasersensoren den Bereich rund um das Auto, aufgeteilt in acht Felder. Erkennt die Technik in einem der Felder ein Hindernis wird dieses zunächst beobachtet, bis das künstliche Gehirn beschließt, dass reagiert werden muss.

Kurierbare Kinderkankheiten

Vor allem LKWs auf der rechten Spur stellen derzeit noch ein Problem dar: Sie werden teilweise in vier Feldern gleichzeitig entdeckt und der Rechner muss es schaffen, daraus einen einzigen LKW abzuleiten. Das führt dazu, dass unser 5er hin und wieder unerwartet bremst, aber dann doch gleich wieder merkt, dass er getrost weiterfahren kann; nicht wirklich störend und bis zur Serienreife sind solche Kinderkrankheiten sicher auskuriert.

Mit bis zu 130 km/h - schneller traut sich die Technik derzeit noch nicht zu werden - rollen wir schließlich wieder in Richtung München, überholen dabei andere Verkehrsteilnehmer und der BMW demonstriert, was vorausschauendes Fahren heißt: Da das System weiß, wenn eine Spur bald endet, ordnet sich der 5er schon frühzeitig neu ein und vermeidet somit kritische Situationen. Denn schließlich soll und wird das hochautomatisierte Fahren einen deutlichen Sicherheitsgewinn bringen.

“Zwar wird für den einzelnen Fahrer der Komfort im Vordergrund stehen”, mutmaßt der BMW-Ingenieur, doch gibt es erste Rechenszenarien, die mit steigendem Anteil selbstfahrender Autos deutlich sinkende Unfallzahlen vorhersehen. Ein wichtiger Schritt also auf dem Weg zum unfallfreien Fahren. Automatisiertes Fahren ist kein Hexenwerk, das beweist BMW einmal mehr mit dem 5er. Dass sich die Münchner zunächst der Autobahnfahrt angenommen haben, ist logisch und vernünftig, schließlich bieten diese Etappen auch das größte Potential, um den Fahrer zu entlasten und ist der Verkehr dort am übersichtlichsten.

Gasgeben und Bremsen, Spurwechsel und Überholvorgänge - all das ist für den 5er kein Problem. Und in Sachen Manieren können die meisten Autofahrer noch etwas von ihm lernen: Er drängelt nicht, hält sich ans Tempolimit und fährt vorausschauend und rücksichtsvoll. Das wird mit steigender Zahl selbstfahrender Autos auch einen deutlichen Sicherheitsgewinn bringen.

Was also für die Reichen und Schönen, für Politiker und Staatslenker schon längst Gewohnheit ist, wird in wenigen Jahren in Serie gehen: Per Tastendruck übernimmt der Chauffeur das Steuer und wir können uns entspannt zurücklehnen. Und auch wenn es derzeit noch kritische Stimmen geben, die dem Fahrspaß schon jetzt nachtrauern: Die Freude am Fahrenlassen wird sie am Ende überzeugen.

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