Man darf sich keinen Illusionen hingeben: Auch wenn Thomas Ingenlath, CEO von Polestar, bei der Präsentation des SUV „3“ (Stromverbrauch kombiniert: 23,1-20,1 kWh/100 km; elektrische Reichweite: 560-610 km; CO2-Emissionen kombiniert: 0 g/km)² in Kopenhagen gerne den Start-up-Charakter seines Unternehmens betont – hinter dem Polarstern stehen mit Volvo und Geely zwei Unternehmen, die sehr wohl wissen, wie Autobauen im großen Stil funktioniert.
Polestar selbst soll in den Augen des ehemaligen VW-Designers zur nächsten großen Premiummarke aufsteigen, andere schreibenden Kollegen sehen in der schwedisch-chinesischen Autokooperative gar schon einen möglichen Porsche-Schreck am Horizont aufsteigen.
Polestar als Porsche-Schreck?
Ganz so schlimm wird es in absehbarer Zeit für die Schwaben zwar nicht kommen, doch auf dem Schirm haben sollte man Polestar auf jeden Fall. Mit der Limousine „2“ (den limitierten Plug-in Hybrid Polestar 1 lassen wir an dieser Stelle außen vor) im besonders schweren Corona-Jahr 2020 gestartet, freut sich der E-Auto-Hersteller mittlerweile über gut 67.000 verkaufte Einheiten. Tendenz steigend. Der Polestar 3 wiederum soll diesem Aufstreben weiter Flügel verleihen und dringt gut inszeniert, aber technisch mit eher bekannten Zutaten, vor allem in den Größen- und Preisbereich um BMW iX und Audi e-tron vor.
Ab 89.900 Euro soll das SUV im vierten Quartal 2023 erstmals zu Kunden rollen, bestellbar ist es ab sofort. Damit nehmen die Göteborger den kommenden Volvo XC90 vorweg, der zukünftig als EX90 auf gleicher Plattform aufbauen wird. Bereits bei der Präsentation des Polestar 3 wird betont, dass der Entwicklungs-Fokus nicht darauf lag möglichst viele Personen, sondern maximal bis zu fünf Insassen räumlich luxuriös von A nach B zu bewegen. Dementsprechend fehlt die Option auf eine dritte Sitzreihe, das Kofferraumvolumen (ohne 90 Liter Unterflurfach) liegt, dank der weit zurück versetzten Rücksitzbank, mit 384 Litern gerade einmal auf dem Niveau eines VW Golf.
Erste Sitzprobe im Polestar 3, Ausblick auf den Volvo EX90
Mehr „Peoplemover“ soll daher der Volvo EX90 werden, der das üppig dimensionierte Unterflurfach aller Voraussicht nach für zwei weitere Sitzplätze ausnutzen kann. Eine erste Sitzprobe im 4,90 Meter langen Polestar 3 wiederum zeigt, dass die Beinfreiheit in Reihe zwei zwar üppig ausfällt, die tiefe und steil angewinkelte Sitzfläche an sich aber schnell unbequem wirkt. Das gilt vor allem für größer gewachsene Fondpassagiere. Vorne hingegen wird Platz- und Sitzkomfort auf dem Niveau aktueller Volvo-SUV geboten, das hochgestellte Infotainment-Display samt Google Betriebssystem glänzt durch seine hohe Auflösung und sogar ein haptisches Bedienelement für die rudimentärsten Eingabebefehle hat es in die Mittelkonsole geschafft.
Der eingesetzte Materialmix im Vorserienfahrzeug entspricht bereits dem hohen Qualitätsgedanken von Polestar, an Farben und individuellen Ausstattungselementen wird jedoch weiterhin gespart. Viel mehr hat der Kunde die Gewissenswahl zwischen veganem „Bcomp“, einem Designwerkstoff aus Flachs, und Tierwohl-zertifiziertem Nappaleder. Besonders stolz sind sie bei Polestar derweil auf die neuentwickelte Bowers & Wilkins Soundanlage mit insgesamt 28 Lautsprechern, wovon allein drei nur für die Außenbeschallung von Fußgängern beim Langsamfahren zuständig sind. Was uns an dieser Stelle zu den Antriebs- und Fahrwerkskomponenten des Polestar 3 führt.
Starke Fahrleistung, gewöhnliche Batterietechnik
Zunächst wird es das SUV als „Long Range Dual Motor“-Variante mit einem 360 kW/489 PS starken Allradantrieb, bestehend aus je einem Elektromotor an der Vorder- und Hinterachse geben. Reichweite nach WLTP: Bis zu 610 Kilometer. Samt optionalem Performance-Paket (für 6.600 Euro) steigt die kurzfristige Maximalleistung auf 380 kW/517 PS und das Maximaldrehmoment von 840 auf 910 Nm, der Einsatzradius hingegen sinkt auf 560 Kilometer. Wie bei Polestar üblich wird auch das SUV 3 erst bei 210 km/h elektronisch abgeregelt.
Den Strom ziehen sich die beiden Permanentmagnet-Synchronmotoren aus einer großen, aber im technischen Aufbau mittlerweile gewöhnlichen 111 kW Lithium-Ionen-Batterie, über die CEO Thomas Ingenlath am Präsentationsabend in Kopenhagen nicht weiter sprechen will. Wohlwissend, dass der Polestar 3 dank der üppigen Akkukapazität, aber ohne wegweisende 800 Volt-Innovation, am Ende ein Leergewicht zwischen 2.584 und 2.670 Kilogramm auf die Waage bringen wird. Ob es da hilft, dass das Gewicht im Verhältnis 50 zu 50 zwischen Vorder- und Hinterachse verteilt wird, kann erst ein Fahrtermin im kommenden Frühsommer zeigen.
Polestar erstmals mit adaptiven Dämpfern und Luftfederung
Dieser wird zudem unter Beweis stellen, ob der Polestar 3 wirklich mit den versprochenen 250 kW am DC-Schnelllader Strom ziehen kann und wie gut die Abstimmung des Luftfahrwerks gelungen ist. Erstmals verzichtet der ehemalige Volvo-Tuner nämlich auf ein mittels Werkzeugeinsatz verstellbares Fahrwerk und reicht Luftbälge sowie adaptiv regelbare Dämpfer. Die maximale Bodenfreiheit beträgt so im Offroad-Modus bis zu 25 Zentimeter.
Sicherheitskonzept made by Volvo, Pollenfilter für Allergiker
Ob der Polestar 3 allerdings je ernsthaft auf unasphaltierten Geländepassagen eingesetzt wird, darf bezweifelt werden. Viel eher wird er im urbanen Gefilde zu sichten sein, dort wo gänzlich andere Gefahren lauern. Andere Verkehrsteilnehmer, Radfahrer, Fußgänger. Damit durch einen Polestar kaum mehr jemand zu Schaden kommt, weder im noch außerhalb des Fahrzeugs, fahren die Schweden in Kooperation mit dem Sicherheitsvordenker Volvo alles auf was Rang und Namen hat.
10 Airbags kümmern sich um die passive Sicherheit der Passagiere, der massive Einsatz von Ultraschall und Radartechnik soll dagegen Zusammenstöße aktiv verhindern oder zumindest abmildern. Mittels Lidar will Polestar zudem das automatisierte Fahren nach vorne treiben – sofern die Radareinheit ab 2023 auch wirklich bestellbar ist. Ebenfalls kümmert sich Polestar um die Belange aller Allergiker. Neuartige Luftfilter eliminieren 99,9 Prozent aller angesaugten Pollen, Feinstaubpartikel und Viren werden ebenfalls zu mehr als 95 Prozent aus der Außenluft gefiltert.
Erstes Fazit
Zu den wohlbekannten, aber neu angemixten Klängen von „Aquarius“ (Original von The 5th Dimension) startet und endet an diesem Abend im Oktober die Präsentation des Polestar 3 in Kopenhagen. Die Schweden feiern ihr erstes SUV beinahe wie den Aufbruch in eine neue Zeit. Keine Frage: Optisch, sicherheitstechnisch und auch in Sachen Antriebsleistung positioniert sich der Polestar 3 als eine interessante Alternative zu bekannten Elektroautos aus deutscher Produktion. Große Technologiesprünge bleiben jedoch aus und lassen den Polestar 3 am Ende als wohlbekanntes SUV-Konzept erscheinen, das lediglich neu angemixt wurde. (Text: Thomas Vogelhuber | Bilder: Hersteller)