Viel Zeit haben die Ingenieure dafür nicht mehr: Schließlich soll der neue Mercedes als erstes Modell aus dem Baukasten für die Modulare Frontantriebs Architektur (MFA) bereits im September auf der IAA in Frankfurt den Generationswechsel am unteren Ende der Mercedes-Palette einleiten.
Das ist keine leichte Aufgabe. Denn eingefleischten Mercedes-Fahrern waren A- und B-Klasse bislang immer ein wenig fremd, passten nicht so recht in die Familie und hielten ein wenig die Stellung eines ungeliebten Stiefkindes. Und für alle anderen waren die beiden Hochdach-Modelle so spießig, dass sie als Alternative zu Audi A3 oder BMW Einser nicht im Traum in Frage kamen. All das soll jetzt besser werden, versprechen die Schwaben, und Vorstandschef Dieter Zetsche gibt beim Blick auf die neue A-Klasse bereits „A wie Angriff“ als Parole aus.
Während die A-Klasse der Shanghai-Studie „Concept A“ nach zu urteilen tatsächlich zu einem fast schon italienischen Verführer wird, ist der Sprung bei der B-Klasse auf den ersten Blick deutlich geringer. „Das muss auch so sein“, sagt Engel und verteidigt den kompakten Raumriesen. Schließlich will er damit die seit 2005 immerhin fast 700.000 Bestandskunden abholen und in die neue Fahrzeuggeneration mitnehmen. Während die A-Klasse erobern will, soll die B-Klasse vor allem bewahren. „Alle Qualitäten des aktuellen Modells wird man deshalb auch beim neuen wiederfinden“, verspricht Engel.
Bewährte Qualitäten bleiben
Was er damit meint, kann man bereits bei der ersten Sitzprobe in seinen Prototypen erleben: So bleibt es zum Beispiel beim hohen Dach, beim leichten Einstieg und beim guten Ausblick. Und es bleibt beim üppigen Platzangebot. Obwohl die B-Klasse laut Engel „nur marginal wachsen wird“, bietet sie sogar mehr Platz als früher. Denn der bisherige Sandwichboden wird künftig nur noch für Varianten mit Batterie- oder Brennstoffzellenantrieb eingezogen.
Bei allen anderen Motorvarianten sitzt man etwas tiefer und hat daher noch mehr Kopffreiheit. Das hat auch Einfluss auf das Fahrgefühl, erläutert eine Entwicklerin: „Man sitzt nicht mehr auf, sondern im Auto und bekommt deshalb ein besseres Gespür für die Straße.“ Trotzdem kauert man nicht so tief auf dem Asphalt wie in einem Einser oder einem A3 und behält Überblick.
Mehr Platz als die S-Klasse
Und im Fond sitzt man fast so gut wie in der S-Klasse – zumindest, wenn man dem Maßband vertraut. „In einigen Dimensionen schlagen wir mit der B-Klasse unser Flaggschiff“, sagt eine Entwicklerin stolz. Außerdem bietet die B-Klasse mehr Möglichkeiten für Lademeister: Der Kofferraum wirkt spürbar größer, und auf Wunsch liefern die Schwaben nun auch verschiebbare Einzelsitze für den Fond.
Soweit zu den alten Tugenden. Doch sobald Engel mal kurz die Tücher lupft, die während der Testfahrt noch das Interieur verhüllen, kann man auch in der B-Klasse einen neuen Geist spüren: Der ans Lenkrad gerückte Schalthebel für die Automatik erinnert an die S-Klasse, die turbinenförmigen Ausströmer für die Lüftung kennt man vom SLS und das Ambiente ist endlich so vornehm, wie man es bei einem Schätzpreis von 25.000 Euro aufwärts auch erwarten darf.
Jüngerer Anstrich
Aber Mercedes kann nicht nur in Holz und Leder. Um dem Auto einen jüngeren Anstrich zu geben, haben die Schwaben auch ein paar Metall-Konsolen mit Rallye-Gravur vorbereitet und bunte Farbpakete in Planung. Am schnellsten erkennt man den Aufbruch in die Zukunft aber am Monitor für Navi & Co. Er steht nicht nur frei auf der Mittekonsole wie der Flatscreen daheim im Wohnzimmer, während der Fahrt wischt Engel darauf auch durch die Plattencover wie sonst nur auf einem iPod, und ist sogar online mit Twitter und Facebook verbunden.
Was man beim aufmerksamen Blick ins Cockpit auch erkennen kann, sind die Anzeigen für bald ein Dutzend Assistenzsysteme. „Wir bieten fast alles, was man aus C- und E-Klasse kennt“, sagt Engel: Verkehrszeichenerkennung, Müdigkeitswarner, Spurführungshilfe, selbst eine Abstandskontrolle mit Notbremsfunktion sind künftig auch bei der B-Klasse an Bord.
Bekannte Motoren
Aber nicht nur die Elektronik stammt von den großen Geschwistern: Weil der Sandwichboden für die konventionellen Modelle passé ist, passen jetzt unter die Haube auch die normalen Motoren. „Wir bedienen uns aus der aktuellen Aggregate-Familie“, sagt Engel noch ein wenig kryptisch und meint damit vor allem die Vierzylinder aus der C-Klasse. Geplant sind Diesel und Benziner, die ein Spektrum von gut 100 bis etwas über 200 PS abdecken sollen.
Wo sich das Design zwischen der drögen Langeweile des aktuellen Modells und dem sportlichen Schnitt der A-Klasse-Studie einpendeln wird, lässt Engels Prototyp allenfalls vermuten. Denn natürlich sind alle charakteristischen Karosserieelemente noch mit dicken Polstern getarnt. Nur dass die B-Klasse wohl die kesse Stupsnase von SLS und CLS übernimmt und dass sie eine charakteristische Sicke auf der Seite hat, das kann man auch dem Erlkönig schon ansehen.
Erwachsen geworden
Auch über das Fahrverhalten will Engel noch nichts verraten, und der Platz hinter dem Lenkrad bleibt für die Gäste noch tabu. Allerdings wirkt die B-Klasse auch vom Sozius aus deutlich leiser, entspannter und erwachsener als früher – eben so, wie man es bei einem Mercedes erwartet. Ob sie aber tatsächlich besser durch die Kurven schneidet und das breite Grinsen im Gesicht des Entwicklers echt ist, wenn er die Autobahnausfahrt besonders flott nimmt, das wird erst eine eigene Testfahrt zeigen.
Vorher jedoch muss Engel schnell die Koffer packen und hinter seinen Autos her nach Laredo fliegen. Schließlich soll irgendwann im Sommer in Rastatt und wenig später auch im neuen MFA-Werk in Ungarn die Produktion beginnen. Viel ruhiger dürfte es für den Baureihenchef aber auch danach nicht werden. Bis nächstes Jahr muss auch die A-Klasse fertig sein. Und wenn Engel damit durch ist, blinken im Kalender bereits die nächsten Projekte: Da es auf der MFA-Plattform diesmal auch eine kleine Limousine im Stil des CLS und einen handlichen Geländewagen mit dem Arbeitstitel BLK geben soll, hat der Baureihenchef noch ein paar turbulente Jahre vor sich. (red/SP-X)