Hier besinnt man sich im Herbst 2010 auf 75 recht wechselvolle Jahre mit vielen Höhepunkten, und schmiedet nach den großen Brüchen der jüngeren Vergangenheit munter weiter an einer radikalen Erneuerung. Anlass genug für einen Blick vor und zurück.
Seit Star Wars und Herr der Ringe wissen wir, dass jede Geschichte auch eine Vorgeschichte hat. So wie bei Jaguar, dessen Ursprung deutlich weiter als 75 Jahre zurückliegt. Übrigens wurde Jaguar als Markenname offiziell erst nach dem zweiten Weltkrieg verwendet. Zuvor hieß die Marke eigentlich SS, was phonetisch allerdings zu nah an einer deutschen Nazi-Soldateska war und nach dem Weltkrieg in der britischen Öffentlichkeit wohl nicht sonderlich gut ankam.
Doch kommen wir zu den Ursprüngen: In Blackpool gründete William Lyons mit seinem Partner William Walmsley die Firma Swallow Sidecars, die ab 1922 Motorradgespanne mit torpedoförmigen Seitenwagen herstellte. Vier Jahre später zog die Firma in eine größere Werkstatt und erweiterte ihr Angebot auf Karosserie-Reparaturen für Autos.
1935 wird der Name Jaguar eingeführt
Nur ein weiteres Jahr danach begann man zunächst auf Basis des Austin Seven komplette Karosserien zu bauen. Später entstanden auch Karosserien für die Firma Standard, die in Coventry ihren Sitz hatte. Dorthin zog Swallow 1928. Für Standard produzierte Swallow nachfolgend sogar ein eigenes Chassis. Dieser Swallow-Standard wurde dann unter dem Markennamen SS und der Modellbezeichnung „I“ in den Markt gebracht. SS war das Kürzel für Swallow und Standard, ohne allerdings in der Abkürzung die Reihenfolge der beiden Firmennamen festzulegen. Eine Reihe weiterer Modelle unter der Marke SS folgten.
Als offizielle Geburtsstunde der Marke Jaguar wird die Präsentation des SS Jaguar 2 ½ Litre am 21. September 1935 im Londoner Mayfair Hotel ausgegeben. Zwar hieß die Marke zu dieser Zeit noch SS, das neue Modell trug allerdings damals erstmalig den Beinamen Jaguar. Es folgten weitere SS-Jaguar-Modelle, die sich durch gehobene Leistung und Komfort auszeichneten, jedoch günstiger als vergleichbare Modelle der Mitbewerber wie Bentley waren. Als besonders legendär gilt der Roadster SS 100. In der Vorkriegszeit produzierte SS Limousinen, Sportwagen und Cabriolets in verschiedenen Leistungsstufen, von denen einige für ihre Zeit richtig schnell unterwegs waren. Ach, und schön waren diese Ur-Jaguare außerdem noch.
Neustart nach dem Krieg
Im zweiten Weltkrieg wurde Swallow, wie fast die gesamte britische Industrie, verstärkt in die Rüstungsproduktion eingebunden. Die Entwicklung neuer Modelle stockte und ab 1940 wurde die Autoproduktion sogar eingestellt. Erst nach 1945 wurde die Produktion der Vorkriegs-Modelle auf Basis der rückblickend Mark IV genannten Baureihe unverändert fortgeführt. Parallel wurde in Coventry mit der Entwicklung neuer Modelle begonnen. Das ideologisch belastete Markennamen-Kürzel SS verschwand und Jaguar blieb übrig.
1948 brachte Jaguar die Limousine Mark V, der eine Weiterentwicklung der Vorkriegsmodelle SS Jaguar 1 ½ Litre und SS Jaguar 2 ½ Litre war. Erster echter Nachkriegs-Jaguar und Nachfolger des Roadster-Modells SS 100 war der XK 120, ein eleganter Leichtbau-Zweisitzer mit dem neuen XK-Motor, der eine Höchstgeschwindigkeit von 120 Meilen pro Stunde ermöglichte, was umgerechnet fast 200 km/h sind. Später folgten noch die Modelle XK 140 und XK 150.Letzterer wurde durch den legendären E-Type abgelöst.
Engagement im Sport, Engagement beim Luxus
Als Hersteller schneller Autos machte sich Jaguar in den 1950er Jahren zudem im Motorsport einen Namen. Mit den reinen Rennfahrzeugen C-Type und D-Type heimsten die Briten mehrere internationale Erfolge ein und legten das Fundament für ihren guten Ruf, wenn es um Autos für den ambitionierten Fahrstil ging. Auch bei sportlich akzentuierten Limousinen, wie den besonders stilvollen Mark II, der den 1955 vorgestellten 2.4 ersetzte, konnte Jaguar im Oktober 1959 auch seinem Namen als Luxusmarke mehr Bedeutung verleihen.
Der Zukauf der Marke Daimler im Jahr 1960 sollte dem Thema Luxus bei Jaguar zusätzliches Gewicht verleihen. Doch verkam Daimler zu einer Marke ohne echtes Profil. Noch bis 1964 wurden der Roadster SP 250 und bis 1968 die Limousine Majestic produziert. Letztere löste 968 der DS 420 ab, der fortan oft als Staatskarosse eingesetzt wurde. Bis 1992 baute Jaguar den DS 420 in sehr geringer Stückzahl. Alle anderen Daimler-Modelle waren lediglich Ausstattungsvarianten von Jaguar-Limousinen. Obwohl ein besonders traditionsreicher Name der britischen Autobauindustrie, wurde die Marke Daimler Anfang 2009 eingestellt.
E-Type - die Legende
1961 präsentierte Jaguar mit dem E-Type seine wohl größte Sportwagen-Legende, die heute als Oldtimer der wohl begehrteste Jaguar überhaupt ist und der es in den 1990er Jahren sogar in die ständige Ausstellung des New Yorker Museum of Modern Art schaffte. Seine Formgebung wird auch heute noch als modern empfunden und bietet noch immer ein hohes Halsverdreher-Potenzial. Auch die Fahrleistungen sind aus heutiger Sicht noch beachtlich: 241 km/h Topspeed und sieben Sekunden für den Standardsprint – in den 1960er Jahren gehörten die E-Type-Fahrer einem elitären Kreis an.
Mit dem XJ folgte 1968 eine weitere Jaguar-Legende, die neben sportlichen Fahrleistungen vor allem einen vornehm-eleganten Luxus versprühte. Der Viertürer zeichnete sich neben seiner besonderen Aura noch durch ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis aus, was unter anderem seiner selbsttragenden und damit kostengünstigen zu produzierenden Karosserie zu verdanken war. 1971 folgte dann im XJ der Antriebshammer V12. Der klangvoll fauchende Zwölfender sorgte sowohl im XJ als auch im E-Type für viel Bohei und verschaffte der Marke viel Prestige. Bis 1992 wurde der XJ in insgesamt drei Generationen produziert. Ab 1994 kamen dann die Nachfolger-Baureihen X300, X308, X350, die sich optisch stets an den Ur-XJ orientierten, bis schließlich der heutige X351 das Thema Design beim XJ völlig neu interpretierte.
Schwierige Jahre
Doch zurück zu den 1970er Jahren, die für Jaguar nicht allein aufgrund der Ölkrise zu einer besonders schwieriges Dekade wurden. So sehr das Prestige von einigen Superlativen und Design-Ikonen profitierte, so sehr litt die Marke an der Zugehörigkeit zu British-Leyland. Unter diesem Firmenzusammenschluss verschlechterte sich die Qualität der Produkte so dramatisch, dass selbst bei treuen Kunden der Unmut und Skepsis überhandnahm. In den frühen 1970er Jahre dankte dann noch der Firmengründer William Lyons ab und kam das Produktionsende des E-Type. Jaguar durchlebte schwierige Jahre und kämpfte mit sinkenden Absatzzahlen.
Daran änderte auch der elegant und eigenständig gezeichnete Nachfolger des E-Type, der 1975 einführte XJS, zunächst wenig. Anfang der 1980er-Jahre sank die Produktionszahl des Coupés sogar auf ein unrentables Niveau und dachte man intensiv über ein Baustopp nach. Doch der neue Jaguar-Chef John Egan, unter dessen Regie Jaguar aus den Firmenzusammenschlüssen British-Leyland und der späteren Austin Rover Group herausgelöst wurde, konnte dank vieler Verbesserungen und Weiterentwicklungen den XJ-S wieder auf eine insgesamt immerhin 21 Jahre dauernde Erfolgsspur führen.
Kapriziöse Superlative
1983 folgte zudem auf Basis des XJ-S eine offene Targa-Variante, die erst Ende der 1980er Jahre durch ein auf Basis des XJ-S entwickeltes, verwindungssteifes Vollcabriolet abgelöst wurde. Ebenfalls zu dieser Zeit und kurz vor der Übernahme von Ford entstand der XJR-S mit Zwölf-Zylinder 6,0-Liter-Maschine, die mit ihren 330 PS furiose Fahrleistungen bot und bei den PS-Jüngern für feuchte Träume sorgte. Dank der absurden Komplexität des Motors bescherte der Antrieb jedem Automechaniker hingegen Albträume. Ein Motortausch beim XJR-S dauerte zwei Mann-Tage, bei einem normalen Auto reicht in der Regel ein halber Mann-Tag.
Fast fünf Milliarden D-Mark zählte Ford 1989 für sein britisches Nobeljuwel und hegte große Pläne, die Jaguar sowohl einige beachtliche Erfolge bescherte, aber auch für einige Irrungen sorgte. Besonderes aufsehenerregend war 1991 der XJ 220 – eine rund eine Million D-Mark teure Superflunder, die 220 Meilen schnell werden sollte, diesen Wert in der Realität jedoch verfehlte. Auch die Verkaufszahlen des aus heutiger Sicht recht absurd anmutenden Über-Fliegers blieben mit 286 Exemplaren unter den Erwartungen. Und dann hatte dieser Irrläufer noch mit enormen Qualitätsproblemen zu kämpfen. Der schnellste Jaguar aller Zeiten war als Imageträger eher ein Flopp.
Die Retro-Jahre
Dafür trumpfte Jaguar unter Ford-Regie mit überzeugendem Retro-Design auf und konnte die elegante Formensprache der Vergangenheit in den neuen Modelle in bisweilen kongenialer Weise wieder aufleben. Mitte der 1990er Jahre fuhr Jaguar sogar in die Gewinnzone. Sowohl die 1994 eingeführte Neuauflage der XJ-Limousine und der den E-Type huldigende XK fanden großen Anklang. Diese beiden Modelle bildeten den Übergang zum nächsten großen Erfolg mit dem 1999 eingeführten S-Type, der sich optisch am Mark II der 1960er Jahre orientierte. Neben der besonderen Mischung aus Sportwagen und eleganter Limousine und einer nach der Modellpflege 2002 sogar überzeugenden Qualität war es vor allem das gute Preis-Leistungs-Verhältnis des S-Type bei aristokratisch-distinguierter Aura, die das Image der Marke Jaguar positiv befruchteten.
Doch mit dem Erfolg wagte man bei Jaguar einige fragwürdige Tabubrüche, die dem Image wiederum abträglich waren. So kam 2001 mit dem X-Type ein Kompaktmodell im S-Type-Retro-Look, das technisch auf dem Ford Mondeo basierte und mit hohen Aufpreis in den Markt sogar als Kombi gebracht wurde. Der teure Jaguar-Mondeo passte weder hinsichtlich Image noch Qualität zur britischen Nobelmarke und blieb auch bei den Stückzahlen hinter den Erwartungen zurück. Einen Nachfolger des 2009 eingestellten X-Type wird es nicht mehr geben.
Nagel statt fauchen
Ein weiterer Tabubruch, der sich allerdings als Glücksgriff erwies, war die Einführung des Dieselmotors. Vor allem die potenten V6-Aggregate, zunächst im S-Type, trafen den Geschmack vieler Kunden. Die laufruhigen Aggregate sorgen bis heute mit viel Drehmoment für einen ordentlich Bumms und hohe Endgeschwindigkeiten bei verhältnismäßig niedrigem Verbrauch. Das Fauchen haben die Diesel-Katzen allerdings verlernt.
Das Ende der Liaison mit Ford läutete auch das Ende der Retro-lastigen Designs ein. Heute bezeichnet Jaguar die in den 1990er Jahren eingeschlagene Linie als Retro-Falle, aus der sich die Marke nunmehr erfolgreich befreit hat. Doch dürften einige Jaguar-Fans dies auch bedauern, denn dieses besondere britische Nostalgie-Flair sucht man in den aktuellen Baureihen vergeblich.
Endgültiger Abschied vom Retro-Design
Ende 2005 stellte Jaguar den neuen von Ian Callum gezeichneten XK vor. Gut zwei Jahre später folgt die Präsentation des S-Type-Nachfolgers XF. 2008 verkauft Ford Jaguar zusammen mit der Offroad-Marke Land Rover an den indischen Tata-Konzern. Unter Tata-Regie geht es unverändert weiter mit dem Abschied von der Retro-Optik. 2009 wird als letzter Nostalgie-Jaguar der XJ durch den durch und durch modern wirkenden Nachfolger ersetzt.
2010 ist ein Jahr, in dem die optisch runderneuerte Marke sich ihrer Tradition besinnen darf und vor allem mit starken Sondermodellen wie dem wild fauchenden und hochdynamischen XKR 75 auf eine glorreiche Historie aufmerksam machen will. Echte Modell-Neuheiten gibt es allerdings keine. Erst für das nächste Jahr steht wieder ein Modellwechsel an. So folgt 2011 das Facelift des XF, der sich optisch stärker an den neuen XJ orientieren wird und zudem LED-Tagfahrlichter und sogar einen Vier-Zylinder-Diesel bekommen wird. Später im Jahr soll sogar eine Kombiversion des XF folgen. Noch etwas ferner in der Zukunft liegt die Einführung eines kleinen Sportwagen-Modells unterhalb des XK, der wohl 2012 kommen dürfte. Die neue Baureihe soll auf einer verkürzten Plattform der nächsten XK-Generation aufbauen und als Coupé und Roadster angeboten werden.
E-Antriebe künden sich an
Darüber hinaus forscht man bei Jaguar intensiv am Antrieb der Zukunft, weg von den besonders emotional klingenden aber auch durstigen Acht-Zylinder-Benzinern. So wird es wohl auch bei Jaguar zu einer Hybridisierung und Elektrifizierung der Antriebe kommen. Die Range-Extender-Studie XJ Limo-Green oder die elektrische Leichtbau-Studie C-X75 zeigen auf, wohin die Reise in den nächsten Jahre gehen dürfte. Der XJ Limo-Green verbraucht zwar nur fünf Liter Sprit auf 100 Kilometer, doch mit dem E-Antrieb und einem Drei-Zylinder-Stromgenerator dürfte das emotionale Antriebsmoment weitgehend verloren gehen. Immerhin macht die Studie C-X75 Hoffnung auf eine hochdynamische Zukunft mit E-Antrieben. Und auch optisch sowie hinsichtlich ihrer Leichtbau-Maßnahmen soll die C-X75-Studie Ausblick auf künftige Jaguar-Modelle geben. Diese klingen dann vielleicht weniger aufregend, dürften aber weiterhin ganz nach Katzenart besonders elegant und blitzschnell unterwegs sein.