Doch bevor in der luftigen Kammer ab Mitte 2013 der Luftwiderstand neuer Autos optimiert wird, haben die Stuttgarter mit dem CLA einen neuen Meilenstein gesetzt: Sein Cw-Wert von 0,22 ist eine klare Ansage. Beginnt ein neues Aerodynamik-Wettrüsten? Man kann sie nicht anfassen, nicht sehen und doch steht sie im Weg: die Luft. Zwar dachte in den Anfangstagen des Automobils noch keiner über Cw-Werte oder Stirnflächen (A) nach, doch schon in den Zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts beschäftigte sich Edmund Rumpler mit der optimalen Form. Das Ergebnis seiner Forschungsarbeit: Der Rumpler-Tropfenwagen mit einem Cw-Wert von 0,28. Nicht einmal zwanzig Jahre zuvor kam der Mercedes-Simplex noch auf stattliche 1,05 - bei einer Stirnfläche von rund drei Quadratmetern (siehe Kasten).
Jaray, Kamm und Schlör
Mit den 30er Jahren verbinden Aerodynamiker die Namen Paul Jaray und Wunibald Kamm. Nach Jarays Erkenntnissen wurden der Tatra 77, Maybach Zeppelin und Mercedes-Benz 200 konstruiert und Kamm entwickelte 1939 auf Basis des Mercedes 170 V den K2. Der Tüftler schnitt den spitz zulaufenden Bürzel einfach ab, das machte das Auto kürzer und den Kofferraum besser nutzbar, ohne Nachteile zu haben. Das später nach ihm benannte Kamm-Heck war geboren.
Cw
Spricht man über Aerodynamik, fallen immer wieder die Begriffe Cw-Wert und Stirnfläche. Beide haben damit zu tun, doch keiner ist allein wirklich aussagekräftig.
Der Cw-Wert ist der Luftwiderstandsbeiwert und ein Maß für aerodynamische Formgüte eines Autos. Die Stirnfläche (A) ist die Querschnittsfläche eines Autos; quasi der Schatten, den das Auto auf eine gerade Wand wirft, wenn man es direkt von vorne beleuchtet. Wirklich Auskunft über den Luftwiderstand gibt erst das Produkt (CwA) aus beiden Werten: Je kleiner dieser Wert, desto besser.
Vorläufiger Spitzenreiter in Sachen Cw-Wert war das „Göttinger Ei“, ein ebenfalls 1939 entworfenes Projektfahrzeug des Ingenieurs Karl Schlör, dass leider nur noch als Zeichnung existiert. Schlör war es gelungen, den Cw-Wert auf 0,18 zu drücken, bei einer Stirnfläche von 2,54 Quadratmetern.
Neuer Schwung mit der Ölkrise
War Benzin zu Beginn des letzten Jahrhunderts noch ein teures Gut, verbilligte sich der Ölpreis nach dem ersten Weltkrieg rapide und bis in die 70er Jahre war Aerodynamik eher ein Spielfeld findiger Tüftler, wie etwa Messerschmitt, dessen Kabinenroller zwar keinen herausragenden Cw-Wert hatte, aber eine sensationelle Stirnfläche von nur 0,99 Quadratmeter; das Produkt aus beiden liegt also bei äußerst niedrigen 0,39. Doch selbst der VW Käfer war nur pseudo-stromlinienförmig (CwA 0,88 Quadratmeter) und amerikanische Straßenkreuzer versuchten nicht einmal den Anschein von Winschlüpfigkeit zu erwecken (CwA bis zu 1,8 Quadratmeter).
Erst die Ölkrise(n) ab den 70er Jahren machten die Aerodynamik wieder interessant. Denn: Weniger Luftwiderstand geht unweigerlich mit weniger Verbrauch einher. Audi 100 und Mercedes W124 hießen die Cw-Stars der 80er Jahre, mit Werten von knapp 0,30. Eine Zahl, die noch heute als kritische Marke gilt, die zu unterbieten ist. Vor allem Limousinen und Kompaktmodelle liegen inzwischen deutlich darunter, bei den Geländewagen (wegen ihrer großen Stirnfläche) und Sportwagen (breite Reifen, große Luftöffnungen, mehr Abtrieb) sind die Schritte dagegen kleiner.
Bessere Aerodynamik, weniger Verbrauch
Was eine Senkung des Cw-Werts bringt, lässt sich anhand der Mercedes-Benz B-Klasse aufzeigen. Mit der aktuellen Generation sank der Luftwiderstandsbeiwert von 0,30 auf 0,24, bei ähnlicher Stirnfläche. Das alleine spart im europäischen Messzyklus (Durchschnittsgeschwindigkeit 34 km/h) bei ansonsten gleichen Bedingungen 0,2 Liter Benzin je 100 Kilometer. Im etwas realitätsnäheren Mercedes-Messzyklus (circa 55 km/h durchschnittlich) spart die neue B-Klasse schon 0,5 Liter. Und die Hochrechnung zeigt: Bei 200 km/h sinkt der Verbrauch um satte zwei Liter je 100 Kilometer - das entspräche einem Mindergewicht von einer Tonne bei identischem Cw-Wert.
An aerodynamischer Optimierung - im Windkanal aber auch vor allem am Computer - kommt heute kein Hersteller mehr vorbei. Nicht nur wegen des Spritverbrauchs. Mit einer möglichst windschlüpfigen Form geht auch eine geringere Geräuschentwicklung einher. Außerdem wird bei den Sturm-Versuchen daran gebastelt, dass Regen und Schmutz während der Fahrt nicht quer über die Scheiben abfließen, sondern in geregelten Bahnen - möglichst so, dass der Fahrer immer freie Sicht hat.
Keine Einheitsform
Die Befürchtung, die man vor einigen Jahrzehnten hegte, alle Windkanal-Autos würden zukünftig gleich aussehen, hat sich zum Glück nicht erfüllt. Daran wird auch der neue Windkanal nichts ändern, den Daimler im Sommer eröffnen wird. Auf was wir uns in gar nicht allzu ferner Zukunft - nicht nur bei Mercedes - aber einstellen müssen: Autos ohne Außenspiegel. Denn die beiden Ohren sind den Aerodynamik-Fachleuten ein Dorn im Auge.