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Bericht: 90 Jahre Fiat in Deutschland – Von Mäusen und Millionären

Einen Namen gemacht hatte sich Fiat in Deutschland bereits Anfang des 20. Jahrhunderts. Damals übernahm Kaiser Wilhelm II. ein herrschaftliches Automobil aus der 1899 gegründeten Fabbrica Italiana Automobili Torino, kurz Fiat, in seinen Fuhrpark.

Begeistert hatten den Monarchen die Grand-Prix-Triumphe der roten Fiat-Racer als härteste Rennrivalen der Hoflieferanten Mercedes und Benz. Zum großen kommerziellen Erfolg wurden für Fiat hierzulande allerdings erst spätere Helden des Alltags wie der frühe Großserien-Typ 501 (ab 1919) oder der Ballila (ab 1932) als erstes erschwingliches Fließbandmodell aus Italien – und aus Württemberg. Vier Kaufleute gründeten dazu am 5. Mai 1922 die Deutsche Fiat Automobil-Verkaufs-Aktiengesellschaft mit Sitz in München. Von Beginn beabsichtigte die Importgesellschaft auch die Produktion von Automobilen in einem deutschen Montagewerk. Die Chance dazu ergab sich während der Weltwirtschaftskrise von 1929. Fiat hatte sich kurz zuvor als Großaktionär in die Neckarsulmer Fahrzeugwerke AG (NSU) eingekauft und konnte jetzt von den wirtschaftlich ins Schlingern geratenen NSU-Werken eine neu aufgebaute Fertigungsanlage in Heilbronn übernehmen.

Strategisch war der Aufbau einer deutschen Montagelinie und die Beauftragung deutscher Zulieferer damals eine weitsichtige Entscheidung, denn nur so konnte in den folgenden Jahren eine Ächtung als ausländischer Hersteller vermieden werden. So trugen alle in Heilbronn gefertigten Modelle das Markensignet NSU/Fiat der eigens gegründeten NSU Automobil AG. Erst 1959 musste die Markenbezeichnung in Neckar geändert werden, denn NSU nahm mit dem Prinz wieder die Produktion eigener Pkw auf.

Der Taxi-Trick

Populär wurden die Italiener deutscher Provenienz durch eine geschickte Marketingkampagne: In Berlin, wo inzwischen der Hauptsitz der Importgesellschaft war, gründete Fiat ein eigenes Droschkenunternehmen und setzte 2.000 Fahrzeuge als Taxi ein. Schnell galten Fiat Automobile als zuverlässig, sportlich und sparsam in den Unterhaltskosten.

Ein Ruf, den der legendäre Fiat 500 "Topolino" ab 1936 als damals meistverkaufter Kleinwagen der Welt geradezu zementierte. Das Mäuschen mobilisierte Italien bis ins hinterste Dorf Siziliens und fand auch in Deutschland eine enthusiastische Fangemeinde. "Der Wagen mit höchsten Qualitäten" textete die deutsche Fachpresse und NSU-Fiat übernahm das Lob in seine Werbeanzeigen für den Nachkriegs-Topolino 500 C, der von 1951 bis 1955 in Heilbronn vom Band rollte.

Erfolgreicher Importeur

Noch einmal zahlte sich der deutsche Produktionsstandort für Fiat aus. Während andere Importeure sich im Wirtschaftswunderland der 1950er Jahre schwer taten, konnten die Italiener Erfolge einfahren, die denen der  deutschen Hersteller kaum nachstanden. Die moderne Kompaktklasse 1100 Neckar beziehungsweise Europa (1953-1965) sowie die Kleinwagen 600 und 600 Jagst (1956-1970) wurden in Heilbronn sogar in sechsstelliger Auflage gefertigt. Hinzu kamen aus Italien der Kultwinzling Nuova 500 (ab 1957) und die schnelle Mittelklasse 1300/1500 in modischem Trapezdesign (ab 1961), die Fiat auch als Hersteller anspruchsvoller Sportlimousinen etablierte. Sogar die Sechszylinder der Typen 1800 und 2100 (ab 1959) fanden in der Heimat von BMW und Mercedes Akzeptanz.

Damit nicht genug. Im folgenden Jahrzehnt wurde Fiat zu einer wirtschaftlichen und modellpolitischen Macht, der scheinbar alles gelingen wollte. Von Kleinwagen (500, 600 und 850) bis zu Luxuslimousinen (Typen 2300 und 130), vom winzigen Cabrio (Typ 500 Weinsberg aus dem neu erworbenen deutschen Karosseriewerk Weinsberg) bis zum noblen Designercoupé (2300 S von Ghia), vom kleinen Spider (850) bis zum Sportwagen mit Ferrari-Motor (Dino), von Familienfahrzeugen (Multipla und Familiale) bis zum Geländewagen (Campagnolo), Fiat war allgegenwärtig. Keine andere Marke der damaligen Autowelt konnte es mit dem Fiat-Modellprogramm aufnehmen.

124: Eine Erfolgsnummer

Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte die Offensive der Turiner mit der Vorstellung des Typs 124. Der kompakte Viertürer wurde nicht nur in den Fiat-Werken vielfacher Produktionsmillionär, als Lada beziehungsweise Shiguli avancierte er ab 1970 sogar zum meistgebauten Volksauto Russlands. Und kehrte auf diesem Umweg zurück in die Bundesrepublik und in die DDR. Auch andere Fiat-Lizenzbauten bereicherten auf diese Weise den Markt, so lieferten etwa Seat (Spanien), Zastava (Jugoslawien) und Polski-Fiat (Polen) ihre Modelle nach Deutschland. Dagegen ging in Heilbronn allmählich eine Ära zu Ende. Nach insgesamt 412.000 Einheiten lief 1973 die Lizenzproduktion aus.

Noch einmal sollte Fiat die richtigen Autos zur richtigen Zeit haben, denn die erste Ölkrise von 1973/74 brachte nicht wenige Konzerne in Bedrängnis. Mit Frontantrieb, Quermotor und Heckklappe wurde der Fiat 127 ein Prototyp des modernen Kleinwagens und als europäisches "Auto des Jahres 1972" gewürdigt. Ein Titel, den zwei Jahre zuvor bereits der größere Frontantriebstyp 128 gewonnen hatte. Beide Baureihen beschleunigten den vorerst letzten ganz großen Höhenflug der Italiener in Deutschland. 1971 knackte Fiat Deutschland erstmals die Milliarden-Marke beim D-Mark-Umsatz und übernahm zugleich den Vertrieb des neuen Konzernmitglieds Lancia. Allerdings: Die Schatten an der Wand waren unübersehbar: Massive Qualitätsprobleme vor allem durch Rost, stärkerer Wettbewerb und einsame Helden der Mittelklasse wie die Modelle 131 und 132 ließen die Verkaufszahlen in Deutschland innerhalb weniger Jahre um über ein Drittel einstürzen.

Tolle Kisten

Erst die "tolle Kiste" der 1980er Jahre, der Panda, brachte eine Wende. "Richtig ist, dass der Panda von Leichtlohngruppen und leitenden Angestellten gefahren wird", textete die frechste Werbekampagne des Jahrzehnts. "Unrichtig ist, dass es sich dabei ausschließlich um schräge Vögel handelt". Tatsächlich wurde der Panda ein klassenloser Zweitwagen. Auch der kompakte Ritmo und der kleine Uno konnten noch einmal punkten in einer immer schwierigeren automobilen Landschaft. Mehr denn je war Fiat ein Kleinwagenspezialist geworden, der mit größeren Modellen außerhalb Italiens glücklos agierte.

Daran änderten nicht einmal technische Revolutionen wie der erste Diesel-Direkteinspritzer im Croma von 1987 etwas. Dafür wurde im gleichen Jahr Alfa Romeo als schöne, sportliche Tochter in das Fiat-Imperium integriert. Andererseits drängten ab den 1980er Jahren auch die deutschen Konzerne und die Asiaten immer stärker in die kleinen Klassen. Zurück in die Zukunft lautete deshalb das Motto für den etwas angeschlagenen italienischen Kleinwagen-Giganten kurz vor der Jahrtausendwende. Mit aufregenden Sportwagen wie dem bis zu 250 km/h schnellen Coupé Fiat und der Barchetta als Herausforderer des Mazda MX-5, aber auch mit dem skurrilen Familientransporter Multipla besann sich Fiat auf alte Tugenden. Vorreiter einer völlig neuen Kleinwagengeneration wurde dagegen die scharfkantig gezeichnete zweite Generation des Punto, die die Leichtigkeit des italienischen Seins mit neuer Produktqualität kombinierte.

  • Chronik
  • Pkw-Modellreihen nach 1945
  • Produktion in Heilbronn

1899: Am 11. Juli 1898 wird die Gründungsurkunde der "Fabbrica Italiana Automobili Torino", kurz Fiat, unterzeichnet

1902: Fiat nimmt den Export auf und gründet Werksniederlassungen. Als erster Auslandsmarkt wird Frankreich beliefert, es folgen England und Deutschland. Der prominenteste deutsche Fiat-Kunde dieser Zeit ist Kaiser Wilhelm II.

1922: Am 5. Mai Gründung der Vertriebsgesellschaft "Deutsche Fiat-Automobil-Verkaufs-Aktiengesellschaft" in München. Geschäfts-Gegenstand: "Die Herstellung und der Handel mit motorisch betriebenen Fahrzeugen, sowohl für den Luxus, als auch für geschäftliche Zwecke"

1926: Sitz der Aktiengesellschaft wird nach Berlin verlegt

1927: Piero Bonelli wird neuer Vorstandsvorsitzender von Fiat Deutschland. Er wird bis 1971 diese Position ausüben und damit über vierzig Jahre die Geschicke der vorübergehend größten ausländischen Marke in Deutschland bestimmen

1929: Fiat produziert in Deutschland. Für zwei Millionen Reichsmark kaufen die Italiener das Heilbronner Zweigwerk der Neckarsulmer Fahrzeugwerke AG (NSU). Bereits zwei Jahre zuvor beteiligte sich Fiat bei NSU finanziell. Gegründet wird die NSU-Automobil AG, die Autos unter der Marke "NSU/Fiat" und ab 1959 unter dem Namen „Neckar“ produziert

1938: Mit 7.155 Zulassungen erzielt Fiat in Deutschland die bisher besten Verkaufszahlen. Dabei verzeichnet das Unternehmen einen Umsatz von 1,7 Millionen Reichsmark. Mit dem Erwerb der Karosseriewerke Weinsberg baut NSU/Fiat eine zweite Produktionsstätte auf

1947: Nach dem Zweiten Weltkrieg wird Heilbronn Sitz der deutschen Fiat-Niederlassung. Im gleichen Jahr werden die ersten in Deutschland montierten Nachkriegs-Fiat ausgeliefert. Gebaut wird unter anderem der Fiat Topolino aus der Vorkriegszeit (Marktstart 1936)

1959: Weil NSU wieder Automobile fertigt, wird der Markenname der in Heilbronn produzierten Fahrzeuge in Neckar geändert. Die NSU Automobil AG wird in Neckar Automobil AG umfirmiert

1960: Namensänderung in Deutsche Fiat AG

1962: Erstmals verkauft Fiat mehr als 100.000 Fahrzeuge in einem Kalenderjahr in Deutschland

1968: Eine Million Fiat Automobile fahren auf den deutschen Straßen

1969: Produktionsende für Autos unter dem Markenzeichen Neckar. Seit Kriegsende wurden in Heilbronn über 360.000 Autos gebaut

1970: Die Karosseriewerke in Weinsberg werden verkauft. Dort wurden zum Schluss vor allem Wohnmobile gefertigt

1971: Erstmals übersteigt der Deutschland-Umsatz von Fiat eine Milliarde Mark. In diesem Jahr übernimmt Fiat den Vertrieb der Marke Lancia

1972: Inbetriebnahme des Neuwagenzentrallagers in Kippenheim. Nur neun Jahre dauert es, bis der einmillionste Fiat über dieses Lager ausgeliefert wird

1980: Umfirmierung von „Deutsche Fiat AG“ zu „Fiat Automobil AG“

1987: Alfa Romeo wird als weitere Marke in den Fiat-Konzern integriert

1990: Fiat eröffnet in Berlin die neue Regionalleitung Ost für die neuen Bundesländer

1992: Seit diesem Jahr werden auch Fahrzeuge der Marke Alfa Romeo von der deutschen Fiat Automobil AG verkauft

1996: Fiat Deutschland bezieht eine neue Zentrale in Frankfurt, Sitz der Gesellschaft und weiterer Standort bleibt Heilbronn

1999: Das ehemalige Produktionsgelände in Heilbronn wird verkauft

2002: Die Zentrale von Fiat Deutschland zieht innerhalb Frankfurts um

2007: Der Firmensitz wird offiziell nach Frankfurt verlegt. Namensänderung in Fiat Group Automobiles Germany AG. In diesem Jahr entsteht außerdem der Geschäftsbereich Fiat Professional für leichte Nutzfahrzeuge

2011: Im Zuge der Übernahme der Chrysler LLC durch die Fiat S.p.A. übernimmt die Fiat Group Automobiles Germany AG den Vertrieb der Marke Jeep in Deutschland

2012: Fiat ist seit 90 Jahren mit einer eigenen Gesellschaft auf dem deutschen Markt präsent. Die Deutschlandzentrale ist verantwortlich für den Vertrieb von sechs Marken: Fiat, Fiat Professional, Abarth, Alfa Romeo, Lancia und Jeep

1947-1955: Fiat 500 C "Topolino"

1950-1958: Fiat 1400

1952-1955: Fiat 8V

1952-1958: Fiat 1900, Fiat Campagnola

1953-1970: Fiat 1100/1200

1955-1973: Fiat 600/770

1957-1975: Fiat 500

1959-1968: Fiat 1800/2100/2300

1960-1972: Fiat 500 Giardiniera

1961-1966: Fiat 1300/1500

1961-1968: Fiat 2300, Fiat 2300 S Coupé

1961-1968: Fiat 1500 / 1500 C/ 1500 Cabriolet

1964-1981: Fiat 850 N, 850 Coupé, 850 Spider, Fiat 850 T, Fiat 900 T, Fiat 900 E

1966-1975: Fiat 124 Limousine

1966-1985: Fiat/Pininfarina 124 Spider

1966-1973: Fiat Dino

1967-1976: Fiat 124 Coupé

1967-1972: Fiat 125

1969-1976: Fiat 130

1969-1983: Fiat 128

1971-1987: Fiat 127

1971-1977: Fiat 130 Coupé

1972-2000: Fiat 126, Fiat 126 BIS

1972-1988: Fiat/Bertone X1/9

1972-1981: Fiat 132

1974-1984: Fiat 131

1974-1979: Fiat 133

1978-1988: Fiat Ritmo

1980-2003: Fiat Panda

1981-1986: Fiat Argenta

1983-1995: Fiat Uno

1983-1989: Fiat Regata

1985-1996: Fiat Croma

1988-1995: Fiat Tipo

1990-1996: Fiat Tempra

1991-1998: Fiat Cinqecento

1993-1999: Fiat Punto, 1. Generation

1994-2000: Coupé Fiat

1994-2002: Fiat Ulysse

1995-2001: Fiat Bravo und Brava

1995-2005: Fiat barchetta

1996-2002: Fiat Marea

1998-2009: Fiat Seicento

1999-2010: Fiat Multipla

1999-2007: Fiat Punto, 2. Generation

2001-2008: Fiat Stilo

2003-2011: Fiat Idea

2003-2012: Fiat Panda, 2. Generation

2005-2010: Fiat Croma, 2. Generation

Seit 2005: Fiat Grande Punto, Punto Evo, Punto

Seit 2006: Fiat Sedici

Seit 2007: Fiat Bravo

Seit 2007: Fiat 500

Seit 2011: Fiat Freemont

Seit 2012: Fiat Panda, 3. Generation

NSU/Fiat 500 C (1951-1955): 9.064 Einheiten

NSU/Fiat 1400, 1900 (1953-1954): 116 Einheiten

NSU/Fiat 1100 und Neckar 1100/Europa (1953-1965): 140.082 Einheiten

NSU/Fiat bzw. Neckar 600/Jagst (1956-1970): 171.355 Einheiten

NSU/Fiat bzw. Neckar 500 Weinsberg (1959-1963): 6.050 Einheiten

Neckar 850 SD, Adria (1965-1967): 6.619 Einheiten

Neckar bzw. Fiat Millecento (1100) (1966-1968): 19.649 Einheiten

Fiat 124 (1967-1972): 18.979 Einheiten

Fiat 125 (1968-1972):13.033 Einheiten

Fiat 128 (1970-1973): 27.088 Einheiten

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Kleine Autos, große Verkaufszahlen

Mit gleich zwei neuen Minis konnte Fiat im 21. Jahrhundert Meilensteine der Modellgeschichte setzen: Während die geräumige zweite Generation des Panda viel Kleinwagen zu niedrigen Kosten bot und ein Millionenseller wurde, eroberte die Neuerfindung des Cinquecento europäische Städte und amerikanische Highways. Den 90. Jahrestag des Deutschlandstarts feiert die heutige Fiat Group Automobiles Germany AG im neuen Firmensitz in Frankfurt am Main. An der Spitze der Importcharts ist die Marke Fiat in Deutschland zwar längst nicht mehr, dafür ist das Unternehmen jetzt auch für den Vertrieb von Fiat Professional (Transporter), Abarth, Jeep, Lancia und Alfa Romeo verantwortlich. Vor allem wissen die Italiener wieder, wo ihre Stärken liegen: Kompakte Autos mit Nutzwert zu günstigen Preisen – aber nie ohne einen Hauch Dolce Vita.

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