In der Geschichte von Alfa Romeo markierte die Giulietta den Wendepunkt zum Massenhersteller auch in kleineren Fahrzeugklassen, nachdem mit dem noblen 1900 von 1950 bereits erste Großserienerfahrungen gesammelt worden waren. Zunächst debütierte die Giulietta als aufregend schönes Coupé in Bertonedesign und mit neu entwickeltem, 80 PS starkem 1,3-Liter-Doppelnockenwellenmotor. Damit machte die 165 km/h schnelle Giulietta Sprint nicht nur ihrem Namen Ehre, sie war sogar flinker und flotter als mancher Porsche und ideale Vorbotin für die Giulietta Berlina, die 1955 enthüllt wurde.
Diese erste kompakte Sportlimousine verkörperte in Form und Eigenschaften alles, was bis dahin nur von schnellen Coupés erwartet wurde: Leidenschaft, Fahrspaß und einen Hauch Exklusivität, nun aber kombiniert mit vier Türen und relativ erschwinglichen Preisen. Ein fast schon geniales Rezept, mit dem die Giulietta über ein Jahrzehnt lang Verkaufserfolge feierte. Dann musste sie der heute ebenfalls legendären Giulia weichen. 1977 erlebte die Giulietta ihre Wiedergeburt, jetzt als kantiger Keil mit der Technik der größeren Alfetta, aber auch mit rufschädigenden Qualitätsproblemen. Diese sollen für die 2010 präsentierte dritte Giulietta-Generation nur noch vergessene Vergangenheit sein.
Finanzierung per Lotterie
Zurück zu den Anfängen des Giulietta-Mythos. Damals war Alfa Romeo noch eine eigenständige Marke, wenn auch als Staatsunternehmen. Dafür genoss Alfa vorerst noch den Nimbus eines exklusiven Oberklasse- und Sportwagenherstellers, mit dessen automobilen Pretiosen sich wie schon in den goldenen Dreißigern fast nur die Reichen und Mächtigen schmückten. Zu wenige allerdings, um das Unternehmen dauerhaft in die Gewinnzone fahren zu lassen. So entwickelte Alfa Romeos neuer Chefkonstrukteur Orazio Satta Puliga die 1900-Baureihe für die italienische Oberklasse und die Giulietta für die Mittelklasse.
Zusammen mit dem damaligen Motorenguru Giuseppe Busso kreierte Puliga mit der Giulietta die erste Mittelklassebaureihe mit den Ambitionen eines reinrassigen Sportwagens. Nie zuvor debütierte ein leistungsstarker Doppelnockenwellenmotor aus Aluminium in einem so schnellen familientauglichen und relativ erschwinglichen Automobil. Kaum erschwinglich waren für Alfa Romeo allerdings die Entwicklungskosten. So kam es zu einer in der Automobilgeschichte wohl einzigartig phantasiereichen Finanzierung für eine neue Fahrzeugkonstruktion: Das Staatsunternehmen initiierte eine Lotterie, bei der die Teilnehmer als Hauptpreis den neuen Alfa Romeo gewinnen konnten.
Bestellung bei Bertone
Die Losverkäufe sorgten für ausreichend gefüllte Kassen, konnten aber zeitliche Verzögerungen bei der Entwicklung der Giulietta Berlina nicht verhindern. Um die Lotterieteilnehmer nicht um den für 1954 ausgelobten Preis zu bringen, gab die Alfa-Führung bei Bertone die Produktion einer Coupéversion in Auftrag. Qualifiziert hatte sich Bertone für diese Alfa-Bestellung durch die zuvor von Franco Scaglione entworfenen fledermausartigen Coupés BAT 5, 7 und 9 auf Basis des Alfa 1900. Tatsächlich erinnerte die neue Giulietta Sprint an diese BAT- (Berlinetta Aerodinamica Tecnica) Modelle, war aber doch so zeitlos elegant, dass sie als erstes Bertone-Großserienmodell bis ins folgende Jahrzehnt produziert wurde und unter dem Namen Giulia und mit größerem 1,6-Liter-Motor sogar noch eine zweite Karriere startete.
Auch die 1955 eingeführte Limousine entwickelte sich zu einem Bestseller, mit dem die Mailänder Marke zum Volumenhersteller wurde. Über 130.000 Einheiten entstanden in zehn Jahren allein von der Giulietta Berlina. Damit wurde die knapp vier Meter messende viertürige Limousine Ahnherrin aller modernen Familiensportler von den BMW 02-Modellen bis zum VW Golf GTI. Während die Giulietta Sprint mit ihren 65 PS starken Querstrom-Vierzylindern bereits die Basis-Porsche 356 distanzierte, brachten es spätere Veloce, SS- und SZ-Versionen sogar auf 90 PS oder 100 PS, genug um es mit allen zeitgenössischen Sportlern aufzunehmen und Kreise um die Konkurrenz zu fahren. Dies gelang der leichtgewichtigen Limousine sogar bereits mit bescheideneren 53 PS bis 74 PS. In Deutschland waren die schnellen kleinen Alfa ab 1958 fester Bestandteil des Straßenbildes, denn im Mai jenes Jahres übernahm NSU den Import und die Werkstattbetreuung der Limousinen, Coupés und Spider.
So teuer wie ein Porsche
Überraschend teuer waren die Italiener in Deutschland damals – schon die kleine Berlina TI kostete so viel wie ein Porsche 356 – aber dennoch unwiderstehlich wie die relativ beachtlichen Absatzzahlen bewiesen. Ganz besonders als offener Spider, dessen luftig-leichtes Sommerkleid diesmal nicht Bertone, sondern Erzrivale Pininfarina realisieren durfte. Beschleunigt hatte diesen ersten Spider-Erfolg Max Hoffmann, jener legendäre amerikanische Importeur europäischer Autos mit der untrügbaren Nase für Erfolg. Hoffmanns Verkaufstalent war besonders in Kalifornien und in New York so groß, dass italienische Giulietta-Bestellungen erst verzögert ausgeliefert wurden.
Nur ganz großen Automobilen ist es vergönnt, dass gleich drei Edel-Couturiers mit sportlichen Spezialkarosserien antreten und ins offizielle Lieferprogramm aufgenommen werden. Bei der Giulietta war Zagato der dritte im Bunde, der die Giulietta SZ mit einer leichten Alu-Haut ausstattete und als extrateure Alternative – Preis damals nur auf Anfrage - zur Giulietta SS von Bertone positionierte. Außergewöhnlich ist aber auch die Zeitlosigkeit der Formen des Sprint von Bertone und des Spider von Pininfarina - 1962 starten beide unter dem Namen der Giulietta-Nachfolgerin Giulia zur zweiten Karriere. Als Limousine werden von Giulia in 16 Jahren 572.000 Einheiten verkauft – genug um die Marke auf einen weltweiten Höhenflug zu katapultieren.
- Modellgeschichte
- Karosserien
- Preisbeispiele
1954: Weltpremiere für Giuletta Sprint
1955: Die Berlina (Limousine) wird eingeführt
1956: Debüt für Giulietta Sprint Veloce
1957: Sieg für die Giulietta bei der Korsika-Rallye. Giulietta Sprint Speciale und Giulietta Sprint Zagato werden vorgestellt
1960: Beim GT-Rennen in Spa-Francorchamps belegen Giuliettas die Plätze eins bis drei. Die gleichen Platzierungen erzielt die Giulietta bei der Rallye Neapel
1961: Sieg für die Giulietta bei der Rallye San Remo
1962: Die Giulia feiert als Nachfolgerin der Giulietta Weltpremiere. Produktionszeit bis 1978
1965: Die Giulietta wird aus der Produktion genommen
1977: Serienstart der Nuova Giulietta (Typ 116). Weltpremiere auf der IAA Frankfurt
1978: Mit 51.314 Einheiten belegt die Giulietta Platz zwei hinter dem Alfasud in der Alfa-Romeo-Verkaufsstatistik. Modecouturier Fiorucci präsentiert eine Giulietta-Studie mit blauen Rädern und breiten Beplankungen. Die ersten 999 Giulietta werden mit Signet von Niki Lauda ausgeliefert
1979: Eine 1,8-Liter-Variante mit 122 PS ergänzt die Motorenpalette. Neue 2,0-Liter-Version für Exportmärkte
1980: Erstes Sondermodell wird die Giulietta Super mit 2,0-Liter-Aggregat und 130 PS
1981: Auf der IAA feiert eine überarbeitete Giulietta Weltpremiere. Erstes Sondermodell exklusiv für den deutschen Markt ist die Giulietta 2.0 mit Dreiton-Lackierung
1982: Limitiertes Sondermodell Giulietta 2.0 ti
1983: Markteinführung der zweiten Faceliftversion der Giulietta mit zusätzlichen Motorvarianten, einem 82 PS leistendem VM-Turbodiesel aus der Alfetta und einer 170-PS-Turbovariante von Autodelta
1985: Spezielle 1,8-Liter-Giulietta für die italienische Polizei. Produktionsauslauf der Baureihe und Markteinführung des Giulietta-Nachfolgers Alfa 75
Alfa Romeo Giulietta Sprint; zweitüriges Sportcoupé mit Bertone-Karosserie, Motor: 1,3-Liter-Vierzylinder-Benziner mit 80 PS Leistung, Vmax 165 km/h; Produktionszeit 1954-1965.
Alfa Romeo Giulietta Sprint Veloce; zweitüriges Sportcoupé mit Bertone-Karosserie, Motor: 1,3-Liter-Vierzylinder-Benziner mit 90 PS Leistung, Vmax 180 km/h; Produktionszeit 1956-1962.
Alfa Romeo Giulietta Spider; zweitüriges Sportcabrio mit Pininfarina-Karosserie, Motor: 1,3-Liter-Vierzylinder-Benziner mit 80 PS Leistung, Vmax 165 km/h; Produktionszeit 1955-1962.
Alfa Romeo Giulietta Spider Veloce; zweitüriges Sportcabrio mit Pininfarina-Karosserie, Motor: 1,3-Liter-Vierzylinder-Benziner mit 90 PS Leistung, Vmax 180 km/h; Produktionszeit 1956-1962.
Alfa Romeo Giulietta Sprint Speciale; zweitüriges Sportcoupé mit Bertone-Karosserie, Motor: 1,3-Liter-Vierzylinder-Benziner mit 100 PS Leistung, Vmax 200 km/h, Produktionszeit 1957-1962.
Alfa Romeo Giulietta Sprint Zagato; zweitüriges Sportcoupé mit Zagato-Karosserie, Motor: 1,3-Liter-Vierzylinder-Benziner mit 100 PS Leistung, Vmax 200 km/h, Produktionszeit 1957-1962.
Alfa Romeo Giulietta Berlina bzw. Kombi; viertürige Limousine bzw. Kombi Promiscua von Carrozzeria Colli, Motor: 1,3-Liter-Vierzylinder-Benziner mit 53 PS Leistung, Vmax 140 km/h; Produktionszeit 1955-1963.
Alfa Romeo Giulietta TI Berlina; viertürige Limousine, Motoren: 1,3-Liter-Vierzylinder-Benziner mit 61 PS bzw. 74 PS Leistung, Vmax 155 km/h; Produktionszeit 1957-1965.
Alfa Romeo Giulietta; viertürige Limousine, Motoren: 1,3-Liter-Vierzylinder-Benziner mit 70 kW/95 PS Leistung bzw. 1,6-Liter-Vierzylinder-Benziner mit 09 PS bzw. 1,8-Liter-Vierzylinder-Benziner mit 122 PS bzw. 2,0-Liter-Vierzylinder-Benziner mit 130 PS, bzw. 2,0-Liter-Vierzylinder-Turbo-Benziner mit 70 PS, bzw. 2,0-Liter-Vierzylinder-Turbodiesel mit 82 PS, Vmax 158-190 km/h; Produktionszeit 1977-1985.
Alfa Romeo Giulietta Berlina (1958/59): ab 11.200 Mark
Alfa Romeo Giulietta Berlina TI (1959): ab 12.200 Mark
Alfa Romeo Giulietta Spider (1958/59): ab 14.380 Mark
Alfa Romeo Giulietta Spider Veloce (1959): ab 16.900 Mark
Alfa Romeo Giulietta Sprint (1958/59): ab 14.980 Mark
Alfa Romeo Giulietta Sprint Veloce (1959): ab 17.500 Mark
Alfa Romeo Giulietta SS (1959): ab 22.980 Mark
Alfa Romeo Giulietta 1.3 (1979): ab 16.490 Mark
Alfa Romeo Giulietta 1.6 (1979): ab 16.690 Mark
Alfa Romeo Giulietta Lusso 2.0 (1983): ab 22.350 Mark
Alfa Romeo Giulietta 2.0 Turbodelta (1982): ab 23.190 Mark
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Glückloser Nachfolger
Etwas was der auf der Frankfurter IAA 1977 präsentierten neuen Giulietta nicht gelang. Zu gewöhnungsbedürftig war ihre keilförmige Linie mit hohem Kofferraumabschluss und integrierter Spoilerlippe. Da konnte auch die aus der größeren Alfetta übernommene Transaxle-Bauweise mit De-Dion-Hinterachse, Werbeunterstützung durch Niki Lauda, eine heiße 170 PS starke Giulietta Turbodelta von Autodelta und ein 82 PS leistender Diesel von VM nicht mehr viel retten. Hinzu kamen fast endlose Qualitätsprobleme. So war 1985 nach 379.691 Einheiten Schluss, das große Alfa-Jubiläum wurde bereits mit dem gleichnamigen Nachfolger Alfa 75 zelebriert.
2010 sollen Romeo e Giulietta nach dem Willen der Unternehmensführung wieder ein Traumpaar werden, schließlich werden Absatzerfolg und Hochzeitschancen von Alfa in den nächsten Jahren vor allem auf der kleinen Sportlimousine basieren.