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Bericht: 50 Jahre Mercedes-Benz 600 – Größenwahn

Was der sogenannte Adenauer-Mercedes vom Typ 300 begonnen hatte, musste sein Nachfolger als Mercedes-Benz 600 vor 50 Jahren vollenden: Einen automobilen Hyperlativ definieren, gegen den alle Konkurrenten klein, betulich oder betagt wirkten.

„Haben Sie nicht noch was Größeres?“, soll Bundeskanzler Konrad Adenauer gefragt haben, als ihm ein Mercedes 300 SE als Dienstwagenersatz für seinen bisherigen Benz angeboten wurde. Tatsächlich hatten die Stuttgarter noch eine kolossalere Klasse im Köcher, ihre repräsentativen Aufgaben konnte die neue Staatskarosse des Modells Mercedes 600 allerdings erst mit Adenauers Nachfolger, Ludwig Erhard, antreten.

4 Porsche oder 15 Käfer

Immerhin konnte Konrad Adenauer die spektakuläre Weltpremiere des neuen Statussymbols für alle Mächtigen und Machthungrigen auf der Frankfurter IAA vor 50 Jahren noch in seiner Funktion als Kanzler kommentieren und den sich auf eine Länge von 6,24 Meter streckenden 600 Pullman als großen Botschafter der deutschen Wirtschaft bezeichnen.

Zu Recht, denn länger war weltweit keine andere Serienlimousine und auch kostspieliger war außerhalb Deutschlands keiner der Konkurrenten aus der Liga von Bentley S3, Rolls-Royce Phantom V, Cadillac Fleetwood oder Lincoln Continental. 63.500 Mark berechnete Mercedes hierzulande anfangs für den 600 Pullman, dafür gab es bereits vier Porsche 356 oder 15 VW Käfer.

Statussymbol und Schwergewicht

Groß war das Mercedes-Flaggschiff übrigens auch laut zusätzlicher, inoffizieller Modellbezeichnung. Und mit dem „Großen Mercedes“ sollte an die Tradition des Typs 770 von 1930 angeknüpft werden, also kreierten die Konstrukteure der Marke mit Stern ein Auto als Statussymbol für Politik und Prominenz, das zugleich Technologieträger war. Hydraulisch verstellbare Sitze, Fensterheber und Kofferraumdeckel, Türen mit Zuziehhilfe, unterdruckgesteuerte Zentralverriegelung, Luftfederung, verstellbare Teleskopstoßdämpfer, Autotelefon, Klimaanlage und ein Fernseher (ab 1972 sogar mit dem ersten Videoabspielgerät) gehörten ebenso dazu wie ein Karosserieprogramm nach Maß.

Neben der viertürigen Limousine gab es unter anderem vier- und sechstürige Pullman-Versionen, vier- und sechstürige Landaulets sowie Coupé-Studien. Als neues politisches und gesellschaftliches Schwergewicht brachte der 600 mit einem zulässigen Gesamtgewicht von bis zu 3,4 Tonnen fast ebenso viel Kilogramm auf die Waage wie damalige Standard-Lkw.

Sportliche Talente danke V8-Motor

Eine Sensation waren deshalb die sportiven Fahrtalente des Riesen, der sich mit einer kantigen, chrombehangenen Karosserie wie ein Klotz gegen den Wind und gute Cw-Werte stemmte. Was keiner anderen feudalen langen Luxuslimousine gelang, ermöglichte im Mercedes-Benz 600 ein neuer 6,3-Liter-V8 mit Benzineinspritzung und 250 PS Leistung.

Abgesehen von einem Rennmotor aus den 1930er Jahren war die monumentale Maschine der erste Mercedes-V8 überhaupt und bildete nun die Basis für eine ganze Familie von Achtzylindern. Das maximale Drehmoment war mit 500 Newtonmetern doppelt so hoch wie beim Mercedes 300 SE und lag bereits bei 2.800/min an.

25 bis 30 Liter

Solche Werte konnten sonst nur amerikanische Muscle Cars erreichen, denen der größte Mercedes auch bei den Verbrauchswerten Paroli bot. Zwischen 25 und 30 Liter pro 100 Kilometer zog der Typ 600 laut zeitgenössischer Testberichte aus seinem 115-Liter-Tank. Amerikanischer Stil war auch die Fußfeststellbremse, die die bisher bei Mercedes übliche, konventionelle Handbremse ersetzte.

Keine Chance hatten dagegen Cadillac, Chrysler oder Lincoln, wenn es um die Fahreigenschaften ging. Der Mercedes 600 schlug sie und auch die noblen Engländer in allen Vergleichstests der angelsächsischen Fachpresse, beste Basis für eine Erfolgsstory als populäres Promi-Fahrzeug in jenen Ländern.

Beliebter als Bentley

Tatsächlich liebten sogar die Briten den Benz zeitweise mehr als Bentley oder Rolls-Royce, obwohl die heimischen Nobelkreuzer mindestens 25 Prozent weniger kosteten als der deutsche Herausforderer. Spätestens seit Königin Elizabeth II. bei ihrem Deutschlandbesuch im Mercedes 600 Pullman Landaulet chauffiert wurde, galt der größte Mercedes als gesellschaftsfähig in „good old England“.

Mercedes hatte sein Ziel erreicht: Nicht nur, dass der 600er auf der Autobahn mit Vmax- Tempi jenseits der 200-km/h-Marke vor 50 Jahren fast alle Limousinen und die meisten Sportwagen „verblies“, mit seiner über eine Hochdruckpumpe betriebenen, sogenannten Komforthydraulik bot er seinen Passagieren ein neues Fahrgefühl des „Über-den-Dingen-Schwebens“, wie es ein Bonner Botschafter damals formulierte.

Immenser Wartungsaufwand

Was anfangs noch niemand ahnte, die Komplexität der Komforthydraulik erforderte immensen Wartungsaufwand, an dem zuvor der Erfinder einer Zentralhydraulik, Lincoln, mit dem Modell Continental Mark I von 1939 bereits negative Erfahrungen gesammelt hatte. Dennoch: Der Mercedes 600 setzte dem deutschen Wirtschaftswunder einen Stern auf, mit dem sich schnell der ganze Globus schmückte. Politische Prominenz allerdings nur, soweit ein Fahrzeug aus den USA oder aus Großbritannien ideologisch inakzeptabel oder nicht groß genug schien.

Entsprechend schillernd liest sich die Liste der Halter oder Eigentümer des deutschen Paradefahrzeugs: Sowjetführer Leonid Breschnew ist seit 1966 ebenso dabei wie Japans Kaiser Hirohito, Rumäniens Staatschef Nicolaie Ceaucescu, Jugoslawiens Staatspräsident Josip Tito, Ugandas Staatführer Idi Amin, König Hassan von Marokko und Präsident Bourguiba von Tunesien, nicht zu vergessen der chinesische Staatslenker Mao Zedong mit elf Exemplaren, Schah Reza Pahlavi von Persien mit 20 Einheiten, Präsident Mobutu von Zaire mit 23 Wagen sowie arabische Monarchen mit bis zu 100 Fahrzeugen.

  • Chronik
  • Motorisierungen
  • Preisbeispiele

1960: Am 4.Oktober erfolgt die endgültige Vorstandsfreigabe für die Baureihe W 100 anhand eines Gipsmodells im Maßstab 1:1

1962: Im März Produktionsauslauf für den Mercedes 300 d

1963: Auf der Frankfurter IAA feiert der Mercedes-Benz 600 Weltpremiere.

1964: Im September beginnt die reguläre Serienfertigung. Insgesamt rollen im ersten Jahr 99 Mercedes-Benz 600 und acht 600 Pullman aus den Ferigungshallen

1965: Die Produktionszahlen erreichen mit 345 Mercedes 600 und 63 Pullman in diesem Jahr ein Allzeithoch. Zweitüriges, viersitziges Coupé entsteht als Machbarkeitsstudie in zwei Einheiten

1966: Sowjetführer Leonid Breschnew nimmt einen Mercedes 600 in seinen Fuhrpark aus Regierungsfahrzeugen auf neben Zil und Tschajka. Weitere prominente Eigentümer werden der chinesische Staatslenker Mao Zedong mit elf Exemplaren, Schah Reza Pahlavi von Persien mit 20 Einheiten, Präsident Mobutu von Zaire mit 23 Wagen, arabische Monarchen mit bis zu 100 Fahrzeugen, Rumäniens Staatschef Nicolaie Ceaucescu, Jugoslawiens Staatspräsident Josip Tito, Ugandas Staatschef Idi Amin, König Hassan von Marokko und  Präsident Bourguiba von Tunesien mit mindestens einem Fahrzeug, aber auch Papst Paul VI. und Film-, Show- und Unternehmergrößen wie John Lennon, Elvis Presley, Liz Taylor, Jack Nicholson, Aristoteles Onassis, Coco Chanel, Johannes von Thurn und Taxis,  Herbert von Karajan, Udo Jürgens, Mireille Mathieu oder Peter Hofmann

1967: Der neue Rolls-Royce Silver Shadow erweist sich als erster erfolgreicher Rivale, der die Verkaufszahlen des Mercedes-Flaggschiffs einbrechen lässt auf 138 Limousinen und 21 Pullman

1968: Der Mercedes 300 SEL 6.3 wird mit der Maschine des Typs 600 vorgestellt. Produktion bis September 1972

1969: Der Mercedes 600 erfreut sich bei Prominenz und Politik noch einmal besonderer Popularität. 279 Limousinen und 57 Pullman und Landaulet werden in diesem Jahr ausgeliefert

1972: In den USA initiiert die EPA-Behörde im Herbst neue Abgasgesetze, die dazu führen, dass der offizielle Export des Mercedes 600 in die USA eingestellt wird

1973: Die erste Ölkrise führt zu einem drastischen Absatzrückgang bei allen Luxusautos, so auch beim Mercedes 600, dessen jährliche Produktionszahlen fortan unter 100 Einheiten liegen

1974: Als Auswirkung der Ölkrise werden nur 24 „kurze“ Mercedes 600 und 28 Pullman hergestellt

1977: Die Produktion von rechtsgelenkten Mercedes 600 wird eingestellt

1978: Mit 40 Einheiten erreicht die Jahresproduktion einen Tiefststand

1979: Auch in Deutschland ist der Mercedes 600 nur noch auf besondere Bestellung lieferbar, im regulären Verkaufsprogramm wird er nicht mehr genannt

1981: Im Mai wird die Langversion aus der Produktion genommen. Am 10. Juni endet die Fertigung der Baureihe W 100 endgültig, die letzten beiden Fahrzeuge bleiben in Unternehmensbesitz. Insgesamt wurden 2.677 Mercedes 600 gebaut, davon 2.190 Limousinen, 304 viertürige Pullman-Limousinen, 124 sechstürige Pullman-Limousinen, 47 viertürige Landaulets, 12 sechstürige Landaulets und zwei Coupés. 44 Mercedes-Benz 600 wurden in gepanzerter Form ausgeliefert. Ein Drittel der Gesamtproduktion wurde in die USA exportiert

Mercedes-Benz 600 mit 6,3-Liter-(184 kW/250 PS)-V8-Motor, Vmax 207 km/h, 0-100 km/h in 10 Sekunden

Mercedes-Benz 600 Pullman mit 6,3-Liter-(184 kW/250 PS)-V8-Motor, Vmax 200 km/h, 0-100 km/h in 12 Sekunden  

Mercedes-Benz 600 (1964) ab 56.500 Mark

Mercedes-Benz 600 Pullman (1964) ab 63.500 Mark

Mercedes-Benz 600 (1968) ab 57.600 Mark

Mercedes-Benz 600 Pullman (1968) ab 64.700 Mark Mercedes-Benz 600 (1970) ab 63.800 Mark

Mercedes-Benz 600 Pullman (1970) ab 71.300 Mark

Mercedes-Benz 600 (1973) ab 87.300 Mark

Mercedes-Benz 600 Pullman (1973) ab 98.800 Mark

Mercedes-Benz 600 (1974) ab 99.900 Mark

Mercedes-Benz 600 Pullman (1974) ab 114.400 Mark

Mercedes-Benz 600 (1975) ab 110.500 Mark

Mercedes-Benz 600 Pullman (1975) ab 127.100 Mark

Mercedes-Benz 600 (1977) ab 133.500 Mark

Mercedes-Benz 600 Pullman (1977) ab 153.200 Mark

Mercedes-Benz 600 (1978) ab 144.100 Mark

Mercedes-Benz 600 Pullman (1978) ab 165.500 Mark

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Für Popstars und Päpste

Traditioneller Mercedes-Fahrer war aber auch Papst Paul VI, der seinen 600 parallel zum Vorgänger 300 nutzte. Aber auch der Geldadel und Show- wie Filmstars setzten auf den größten Stern: John Lennon, Elvis Presley, Liz Taylor, Jack Nicholson, Aristoteles Onassis, Herbert von Karajan, Udo Jürgens oder Mireille Mathieu, sie alle wollten nicht auf den dicken Benz verzichten. In den bunten Blättern war der Mercedes 600 beliebtestes Fotofahrzeug, allerdings nicht häufigstes.

Denn die Verkaufserwartungen konnte das von der Presse als „bestes Auto der Welt“ bezeichnete Fahrzeug nicht erfüllen. Insgesamt entstanden in 17 Jahren nur 2.677 Mercedes 600, während es der Vorgänger vom Typ 300 noch auf 11.430 Einheiten brachte. Entsprechend seiner numerischen Bezeichnung schwebte der Typ 600 optisch, technisch und kalkulatorisch so weit über dem gesellschaftlichen Alltag, dass er für fast alle westlichen Regierungen zu protzig und prunkvoll wirkte und auch nur wenige deutsche Privatkunden zugriffen.

Bescheidene Bundesregierung

Nicht einmal die deutsche Bundesregierung kaufte das Superauto, sondern beschied sich mit dem preiswerteren Baureihe W 108 – die es übrigens ab 1968 auch mit dem Motor des Typs 600 gab. Nur für hohe Staatsbesuche mietete die Bundesregierung beim Hersteller 600 Pullman Limousinen und Landaulet. Das Exportgeschäft lief solange gut, bis Rolls-Royce einen neuen Silver Shadow einführte (1967/68) und verschärfte Abgasvorschriften in den USA (1972) sowie die erste Ölkrise (1973) die Verkaufszahlen schmelzen ließen.

Unbezahlbar waren bis zum 1981 erfolgten Produktionsauslauf der Prestige- und Imagegewinn, den die Marke Mercedes-Benz aus der Baureihe W100 zog. Der Mercedes 600 strahlte so hell wie kein anderes Auto der Königsklasse und übertrug diesen Glanz auf die erschwinglicheren Baureihen. Und auch heute sind die Modelle noch sehr gefragt: Die wenigen Exemplare in der Gebrauchtwagenbörse von AutoScout24 reichen preislich von einhundert- bis zweihunderttausend Euro. (mg/sp-x)

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