Kein Wunder, dass die 1966 präsentierte Typenfamilie 142 bis 164 zusammen mit den vor 35 Jahren vorgestellten Weiterentwicklungen 242 bis 265 zu Archetypen aller Volvo avancierten.
Wie keine zweite Modellreihe prägten die kantig-kastenförmig gezeichneten und mit markanten Sicherheitsstoßfängern ausgestatteten Limousinen und Kombis das Image von Volvo als Hersteller fast unzerstörbarer, aber nüchtern-funktionaler Familienfahrzeuge.
DDR-Staatskarossen
Bis heute wurden von keinem anderen Volvo mehr Einheiten produziert als von den bis 1993 angebotenen Göteborger Mittelklasse-Klassikern, die mit Sechszylindertriebwerken und unter den Typenbezeichnungen 164 und 264 in der schwedischen Heimat und in der DDR sogar zu repräsentativen Staatslimousinen aufstiegen. Ebenso exklusiv waren die beim italienischen Starkarossier Bertone gefertigten 262 Coupés, mit denen Volvo vor allem in Nordamerika mehr Prestige und Anerkennung gewinnen wollte.
Zurück zu den Ursprüngen des kantigen Schweden, der im Winter 1965 seinen ersten spektakulären Medienauftritt zelebrierte. Damals fuhr den Erlkönigjägern ein scheinbar bizarr geformtes japanisches Auto mit Heckflossen und der Modellbezeichnung Mazuo ZT92 vor die Objektive. Tatsächlich war der 4,64 Meter messende Viertürer aber keine Vorhut der von den Zeitungen vermuteten Modelloffensive aus Nippon, sondern nur der noch wild getarnte Nachfolger für die neun Jahre zuvor eingeführte Bestseller-Baureihe Volvo Amazon.
Unverwechselbares Design
Wie der rundlich gezeichnete Amazon stammte auch die neue schwedische Mittelklasse aus der Feder des heute legendären Volvo-Designers Jan Wilsgaard. Diesmal allerdings musste Wilsgaard sich an strenge Vorgaben halten und ein neues unverwechselbares Markendesign entwickeln. Dazu zählten die schlichten, kantig-klassischen Linien ebenso wie ein drittes Seitenfenster.
Die technische Basis für die Serie 140 lieferte der Amazon, allerdings sollte der neue Volvo weitere Sicherheitsstandards setzen – dies vor allem mit Blick auf die Eroberung des amerikanischen Marktes. So besaß die Serie 140 nicht nur eine Sicherheitsfahrgastzelle mit Knautschzonen und Dreipunktsicherheitsgurten, sondern auch Prallschutzdetails wie mit Kunststoffen gepolsterte Armaturen und Beinräume sowie eine Sicherheitslenksäule mit Sollbruchstelle.
Sicherheits-Standards
Standards in der Mittelklasse setzte zudem die Bremsanlage mit Scheibenbremsen an allen vier Rädern und zwei separaten Bremskreisen. Handlich wie Kleinwagen waren die Familienfahrzeuge dagegen dank des fast einzigartig kleinen Wendekreises von 9,25 Metern, nur die notwendigen Lenkkräfte erinnerten nachdrücklich an das tatsächliche Format der schwedischen Flaggschiffe und die zunächst nicht serienmäßige Servolenkung.
Besonders als 144 – die dritte Ziffer der Modellbezeichnung symbolisiert die Zahl der Türen – galten die neuen Volvo auf vielen Märkten als exklusive Alternative zu den billigeren Mercedes 200. Im Mai 1967 folgte der zweitürige 142 in der Doppelrolle der preiswerten Einstiegsversion und der sportlichen Alternative. Dagegen stand der fünftürige Kombi 145 in der Tradition der schwedischen Familienfahrzeuge, die Kombis weltweit gesellschaftsfähig machten. Tatsächlich sollte mit der 140- und 240-Serie Nordamerika erstmals der wichtigste Markt für Volvo werden.
Paukenschlag
Dies galt auch für den Paukenschlag, mit dem Volvo 1968 in die Prestigeklasse großer Sechszylinder zurückkehrte. Mit zehn Zentimetern mehr Radstand und wuchtigem Kühlergrill wuchs der 144 zum 164 mit Drei-Liter-Triebwerk, der die gesellschaftlichen Aufsteiger vom Wechsel auf Mercedes-Benz S-Klasse, Jaguar XJ oder BMW 2800 abhalten sollte.
Und dies mit beachtlichem Erfolg, so etablierte sich der 164 auf dem Heimatmarkt als meistverkaufter Sechszylinder. In Nordamerika war die Nachfrage so groß, dass nicht einmal die Ölkrise von 1973/74 den schluckfreudigen Sechszylinder endgültig einbremsen konnte, der 164 blieb noch ein Jahr parallel zur Nachfolgebaureihe 240 im Angebot.
Unverwüstliche Vier-Zylinder
Die fast unverwüstlichen Vierzylinder – die 140er waren die weltweit ersten Pkw mit einem sechsstelligen Kilometerzähler – steigerten mit optionaler Benzineinspritzung ab 1971 ihr Leistungsvermögen von beschaulichen 100 PS auf damals bereits sportlich-starke 124 PS. Beim 164 ermöglichte die Injection übrigens sogar bis zu 175 PS – nie zuvor war ein Schwede so stark.
Äußerliches Erkennungszeichen der Evolution der 140er-Reihe bis zur Serie 240 waren vor allem die Stoßfänger, die wie Jahresringe an einem Baum in mehreren Stufen an Umfang zunahmen. Immer strengere amerikanische Sicherheitsvorschriften, aber auch die Signalwirkung für Werbeslogans wie „Sicherheit aus Schwedenstahl“ beschleunigten diese Entwicklung.
Schwedische Großfamilie
Mit Einführung der 240er- und 260er-Reihen entwickelten sich die kantigen Volvo endgültig zur Großfamilie. Die viertürigen 244 und 264, der zweitürige 242 und der Kombi 245 debütierten im Herbst 1974, der zweitürige 262 (nur für die USA) und der luxuriöse Kombi 265 folgten 1975, Fahrgestelle und Fahrzeuge für Krankenwagen-, Feuerwehr-, Lieferwagen- und andere Sonderaufbauten kamen zeitgleich in den Handel. Allein die Schrägheckprototypen 243 und 263 als Antwort auf das Saab 99 Combi Coupé schafften es nicht in die Serienproduktion.
Nach oben abgerundet wurde das Programm Ende 1975 und Anfang 1977 durch die beim italienischen Karossier Bertone endmontierten Versionen 264 TE und 262C. Dabei kam den um 73 Zentimeter verlängerten Top-Executive (TE)-Limousinen nicht nur die Rolle des Direktionsfahrzeugs zu, sondern auch die Aufgabe der Repräsentationslimousine besonders für Botschaften und Staatsführungen sozialistisch oder kommunistisch geführter Länder.
Gruppenarbeit statt Fließband
Die Rolle Schwedens als neutrales Land und die Ablösung der Fließbandarbeit durch das Experiment der Gruppenarbeit im Volvo-Werk Kalmar machten den 264 TE zur gefragten Alternative zur etablierten deutschen und britischen Nobelklasse. Dagegen wurde das von Bertone nach Skizzen von Wilsgaard und Sergio Coggiola gezeichnete Luxuscoupé 262C anlässlich des 50-jährigen Bestehen von Volvo vorgestellt. Mit einem eigenwilligen, fast schon skurillem Dachaufbau und stattlichen Preisen errang der exklusive, sportive Zweitürer in Europa nur Achtungserfolge, in den USA stärkte er aber Volvos Ruf als Premiumhersteller.
Unter der Haube aller Volvo 260 arbeitete ein neuer V6-Motor, der aus einer Gemeinschaftsentwicklung mit Peugeot, Renault und Volvo (PRV) hervorgegangen war und der den Volvo 265 zu einem der ersten europäischen Sechzylinder-Kombis aufsteigen ließ.
- Chronik
- Ausgewählte Preise
- Motorisierungen
1960: Im Juni beginnt die Entwicklung des Projekts 660 (=6/1960), des Nachfolgers der Baureihe Amazon/120
1962: Die Grundform der Projekts 660 wird verabschiedet. Kennzeichen sind kantige Linien und drei Seitenfenster
1965: Erlkönige mit dem Signet Mazuo ZT92 werden gesichtet
1966: Markteinführung des Volvo 144. Auszeichnung mit dem Titel „Auto des Jahres“ in Schweden
1967: Einführung des 142 im Mai, Produktionsstart des 145 im November
1968: Einführung des Sechszylinder-Modells 164. Einführung des neuen B20-Motors in Amazon und 140er-Baureihe, die meistverkauftes Auto in Schweden wird
1969: Einführung des Volvo 145 Express, einer Hochdachvariante des Kombis. Modellpflege für die 140er-Reihe, diese sind nun mit Kopfstützen vorne und Sicherheitsgurten auf allen Sitzen ausgestattet
1970: Die Produktion des Amazon wird nach 13 Jahren eingestellt.
1971: Einführung des schwarzen Grills mit Volvo-Diagonale. Präsentation des 175 PS starken Volvo 164 E mit elektronisch geregelter Benzineinspritzung
1974: Premiere der neuen Modellreihen 240 und 260
1975: Vorstellung des 265 mit Sechszylinder-Motor
1976: Die amerikanische Verkehrssicherheitsbehörde NHTSA wählt den 240 als Referenzfahrzeug für die Definition künftiger Sicherheitsnormen
1977: Volvo begeht den 50. Geburtstag des Unternehmens unter anderem mit der Vorstellung des 262 Coupé. Der exklusive 262C wird bei Bertone in Italien gebaut
1978: Sondermodell Volvo 244 DLS, auf 1000 Einheiten limitiertes Modell für die DDR mit der Front des Volvo 264, Preis 42.800 Mark der DDR
1979: Sechszylinder-Diesel D6 von Volkswagen wird im 240 eingeführt
1980: Der 155 PS leistende Volvo 240 ist der erste turbogeladene Volvo
1981: Der einmillionste Volvo für Nordamerika, ein silberner 245, läuft in Göteborg vom Band. Volvo wird in den USA der größte europäische Importeur
1982: Volvo 760 wird designierter Nachfolger der 240, der aber weiterproduziert wird
1984: Einführung des 740
1985: Volvo 240 gewinnt die Deutsche Tourenwagen Meisterschaft DTM
1986: Sieg in der Australischen Tourenwagenmeisterschaft. In Deutschland ist die Baureihe 240 mit geregeltem Dreiwegekatalysator erhältlich
1991: Das amerikanische Versicherungsinstitut IIHS bezeichnet den 240 als sicherstes Fahrzeug auf dem US-Markt. Debüt des 850 mit Frontantrieb und Reihen-Fünfzylinder als Nachfolger der Baureihen 240 und 740
1992: Einstellung der Produktion der 700er-Baureihe
1993: Einführung eines Kombis in die Modellreihe 850. Am 5. Mai läuft der letzte Volvo 240, ein Kombi der Sonderserie Polar, vom Band
Volvo 142 mit 100 PS (1967) ab 12.050 Mark
Volvo 142 mit 82 PS (1969) ab 10.800 Mark
Volvo 142 de Luxe (1973) ab 13.490 Mark
Volvo 144 mit 75 PS (1967) ab 11.450 Mark
Volvo 144 S mit 100 PS (1967) ab 12.250 Mark
Volvo 144 S mit 100 PS (1969) ab 12.400 Mark
Volvo 144 E de Luxe (1973) ab 16.165 Mark
Volvo 145 DL (1973) ab 16.885 Mark
Volvo 164 Overdrive (1969) ab 16.660 Mark
Volvo 164 mit 130 PS (1972) ab 21.200 Mark
Volvo 164 mit 130 PS und Automatik (1972) ab 22.200 Mark
Volvo 164 E (1973) ab 22.600 Mark
Volvo 242 DL (1976) ab 17.320 Mark
Volvo 244 DL (1976) ab 18.695 Mark
Volvo 245 DL (1976) ab 21.750 Mark
Volvo 262C (1980) ab 43.500 Mark
Volvo 264 GL Automatik (1976) ab 29.700 Mark
Volvo 240 GL Classic Limousine (1991) ab 32.900 Mark
Volvo 240 GL Classic Kombi (1991) ab 36.900 Mark
Volvo 142 mit 1,8- bzw. 2,0-Liter-Vierzylinder-Benziner (63 kW/85 PS bis 99 kW/135 PS)
Volvo 144 mit 1,8- bzw. 2,0-Liter-Vierzylinder-Benziner (63 kW/85 PS bis 99 kW/135 PS)
Volvo 145 mit 1,8- bzw. 2,0-Liter-Vierzylinder-Benziner (63 kW/85 PS bis 99 kW/135 PS)
Volvo 164 mit 3,0-Liter-Sechszylinder-Benziner (96 kW/130 PS bis 129 kW/175 PS)
Volvo 242/240 mit 2,0- bzw. 2,1- bzw. 2,3-Liter-Vierzylinder-Benziner (60 kW/82 PS bis 103 kW/140 PS)
Volvo 244/240 mit 2,0- bzw. 2,1- bzw. 2,3-Liter-Vierzylinder-Benziner bzw. mit 2,4-Liter-Sechszylinder-Diesel (60 kW/82 PS bis 99 kW/135 PS)
Volvo 245/240 mit 2,0- bzw. 2,1- bzw. mit 2,3-Liter-Vierzylinder-Benziner bzw. mit 2,4-Liter-Sechszylinder-Diesel (59 kW/80 PS bis 96 kW/131 PS)
Volvo 262 mit 2,7-Liter-Sechszylinder-Benziner (92 kW/125 PS)
Volvo 262C mit 2,7- bzw. 2,8-Liter-Sechszylinder-Benziner (95 kW/129 PS bis 114 kW/155 PS)
Volvo 264/260 mit 2,7- bzw. 2,8-Liter-Sechszylinder-Benziner (92 kW/125 PS bis 114 kW/155 PS)
Volvo 265/260 mit 2,7- bzw. 2,8-Liter-Sechszylinder-Benziner (92 kW/ 125 PS bis 114 kW/156 PS)
$("div#tabInfoboxContent").tabs();
## Sicherstes Fahrzeug der Welt
Sensationell war schließlich der 240 Diesel, den Volvo auf dem Pariser Salon 1978 vorstellte. Zwar stammte der 82 PS leistende Selbstzünder aus dem VW-Nutzfahrzeuge-Regal, die Schweden führten mit ihm jedoch die weltweit ersten Sechszylinder-Diesel-Pkw ein und dies im damals angeblich sichersten Fahrzeug der Welt. Jedenfalls ernannte die amerikanische Verkehrssicherheitsbehörde NHTSA die Serie 240 im Jahr 1976 zur Referenzbaureihe für ihre Sicherheitsforschung. Die Amerikaner befanden, dass der Volvo den besten Insassenschutz bot, eine Auszeichnung, die sie 1991 erneuerten.
Da hatte der 240 bereits mehrere Überarbeitungen erfahren und seine Modellnumerik auf die Endziffer Null umgestellt. Mit der neuen Einheitsbezeichnung 240 wollte Volvo ab 1980 auf die etwas größeren Nachfolger einstimmen, die 1982 und 1984 unter den Typenbezeichnungen 760 und 740 starteten. Entwickelt worden war die neue Klasse übrigens unter dem Entwicklungscode 1155, denn nach Ansicht maßgeblicher Volvo-Manager war es fünf vor Zwölf für einen Nachfolger der automobilen Methusalems 240 und 260.
Langstreckenläufer
Obwohl die neuen Flaggschiffe tatsächlich international für Furore sorgten, zeigten sich die scheinbar unsterblichen Volvo 240 ebenfalls in frischer Bestform, was die Absatzzahlen betraf. 1985 wurde das Motorenprogramm noch einmal erneuert und erst um 1990 gaben die Verkaufszahlen sehr deutlich nach. Dennoch schaffte es der Veteran seinen Nachfolger zu überleben, der 1992 eingestellt wurde. So lag es am 1991 vorgestellten Volvo 850 mit Frontantrieb und neuen Vierventilmotoren eine neue Ära einzuleiten und den längst legendären Langstreckenläufer 240 am 5. Mai 1993 in den Ruhestand zu schicken.