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Bericht: 40 Jahre VW Scirocco – Populär, doch kein Kult

Er war der warme Wüstenwind, wie ihn Wolfsburg dringend brauchte im wirtschaftlich eisigen Winter des Jahres 1974. Der Volkswagen Scirocco wurde nicht nur ein Bestseller bei den damals überaus populären kompakten Coupés.

Der Sportler war auch Vorbote des Golf und leitete als erste Wolfsburger Eigenentwicklung mit Frontantrieb die Erneuerung des VW-Programms ein. Ausgerechnet das Jahr der weltwirtschaftlichen Krise durch die Verknappung des Rohöls und entsprechend gestiegener Treibstoffkosten wurde für Volkswagen zum Schicksalsjahr mit einer kompletten Modellerneuerung. Im Juli 1974 lief im Werk Wolfsburg der letzte Käfer vom Band und bei Karmann in Osnabrück wurde das davon abgeleitete Sportcoupé Karmann Ghia in den Ruhestand geschickt. An die Stelle der antiquierten Heckmotortypen mit einer Ahnenreihe, die bis in die Vorkriegszeit zurückreichte, trat nun ein gänzlich neues Produktprogramm mit Quermotor und Frontantrieb.

Wind der Erneuerung

Nach den Vorboten K 70 (eine NSU-Entwicklung) und Passat (Parallelmodell zum Audi 80) war das Sportcoupé Scirocco die erste Eigenentwicklung im neuen Kapitel der Volkswagen-Historie. Ein Markstein, der Presse und Publikum bei der Premierenparty auf dem Genfer Salon völlig verblüffte. Hatte damals doch kaum jemand damit gerechnet, dass VW vor dem Golf eine sportliche Rakete als Ouvertüre für das moderne Modellfeuerwerk zünden würde. So stand der überraschend lancierte Scirocco anfangs in der Medienberichterstattung gar ein wenig im Schatten des gleichzeitig präsentierten Ford Capri II, der ebenso wie der VW das noch neue Konzept des so genannten Sportkombis mit praktischer Heckklappe aufgriff. Revolutionär war aber nicht der Ford, sondern der nach dem heißen Wüstenwind benannte Scirocco. Nur er verknüpfte technische Innovationen mit einem maßgeschneiderten italienischen Kleid und moderaten Preisen. Ein verführerisches Paket, das schon in der ersten Auflage über eine halbe Million Fans fand.

Genialer Giugiaro-Entwurf

Kein Wunder, bot der Scirocco doch bereits die Genialität des ersten Golf, diese jedoch in eleganterem Gewand. Wie beim Golf geschneidert von Giorgio Giugiaro, aber gebaut bei Karmann – schließlich wurde der Scirocco zum Kronprinz des zwei Jahrzehnte lang gebauten Karmann Ghia gekürt. Dieser wiederum galt als Urvater aller deutschen Traumcoupés fürs Volk, kombinierte er doch billige Käfer-Technik mit formaler Extravaganz. Ein großes Erbe, das der Scirocco jedoch souverän übernahm, ganz so wie der Golf wenige Monate später die Nachfolge des Käfers antrat. Die Absatzzahlen des Karmann Ghia konnte der Scirocco sogar deutlich übertreffen, dabei fehlte es ihm im Unterschied zu seinem Vorfahren nicht an direkten Rivalen. So gab es seit 1969 den Ford Capri als ersten erschwinglichen Familiensportler. Der Opel Manta folgte 1970, aber auch die Italiener (etwa mit Fiat 128 Sport-Coupé, Alfa Romeo Giulia 1300 GT oder Lancia Fulvia Coupé), Franzosen (Renault 15/17), Tschechen (Skoda S 110 R Coupé) und Japaner (Datsun 120 Y und 180 B Coupé, Mazda 818 und 616, Toyota Corolla Coupé und Celica) tummelten sich schon länger in der Klasse der bezahlbaren Coupés als der Volkswagen Scirocco für frischen Wind sorgte.

Nutzwert-Credo

Dabei brach der Scirocco nicht nur mit der Luftkühlungs-Heckmotor-Tradition des VW-Konzerns, er verabschiedete sich auch vom einfachen Starrachs-Layout mit Hinterradantrieb nach Opel- oder Ford-Vorbild. Stattdessen setzte er auf moderne Features wie Quermotor, Vorderradantrieb und vordere Einzelradaufhängung sowie eine hintere Verbundlenkerachse. Merkmal dieser Hinterachskonstruktion ist ein tiefliegender Querträger, der die Innenraum- und Gepäckraumgröße kaum beeinträchtigt. So bot der Scirocco auf gerade einmal 3,85 Meter Länge (50 Zentimeter kürzer als die deutschen Konkurrenten) und 2,40 Meter Radstand erstaunlich viel Platz für vier Passagiere, dazu für das Gepäck eine praktische Heckklappe. Auch formal war der Scirocco eine Überraschung, hatte Designer Giorgio Giugiaro doch auf die sonst so zeittypische extralange Motorhaube als Symbol von Männlichkeit und PS-Stärke verzichtet. Das Credo „Form follows Function“ und der damit verbundene hohe Nutzwert im Interieur war ihm wichtiger als optische Showeffekte.

Ganz nebenbei konnte der Scirocco so seinem Vorgänger Karmann Ghia folgen und überraschend viele weibliche Fans gewinnen. Tatsächlich versuchte der VW-Vertrieb gezielt, „junge Karrierefrauen“ zu begeistern und setzte dazu auf Markenbotschafter wie Erhard Keller, den olympischen Goldmedaillengewinner im Eisschnelllauf. Auch die Formel-1-Champions Jackie Stewart und Emerson Fittipaldi wurden bemüht, um die Stärken des Scirocco im Kampf um die Krone des besten aller Sportcoupés herauszustellen.

Wenig Leistung, wenig Gewicht

Pragmatisch, preiswert und dennoch erstaunlich flott präsentierten sich die Maschinen, die unter der kurzen Motorhaube des von 1974 bis 1981 bei Karmann gebauten Coupés arbeiteten. Die Basis bildete ein gerade einmal 50 PS leistender 1,1-Liter-Vierzylinder, der das nur 750 Kilogramm wiegende Fliegengewicht immerhin in 18 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100 befördern konnte. Zum Vergleich: Der Ford Capri II war in der Basis fünf PS stärker, benötigte aber fünf Sekunden mehr, brachte aber auch 1.010 Kilogramm auf die Waage. Die Vmax von 144 km/h war zwar bei der Vorstellung des Volkswagens irrelevant – es galt noch das Ölkrisenlimit von 100 km/h – aber für ein Sportcoupé so imageschädlich, dass die meisten Käufer ebenso wie bei der Konkurrenz stärkere Triebwerke bevorzugten. Dabei war der neu konstruierte Vierzylinder mit modernem Querstromzylinderkopf ein Meilenstein im VW-Modellprogramm als erste innovative Eigenentwicklung der VW-Techniker. So besaß der Scirocco in seiner anfangs stärksten Version den 85 PS leistenden 1,5-Liter-Vierzylinder des Audi 80, der den kantigen Volkswagen mit angedeuteter Keilform allerdings überaus temperamentvoll machte. 175 km/h Vmax und eine Beschleunigungszeit von elf Sekunden von Null auf 100 km/h setzte bei Scirocco-Konkurrenten wie dem Capri bereits die Bestellung eines 2,3-Liter-Sechszylinders mit mindestens 108 PS Leistung voraus. Auch der zweite Audi-Motor im VW war mit 70 PS Leistung noch ausreichend sportlich. Vor allem war er für preiswerteres Normalbenzin ausgelegt, dank Ölkrise noch ein wichtiger Kaufgrund.

  • Chronik
  • Technische Daten
  • Preise

1971: Am 12. Oktober verabschiedet Volkswagen bei einer Vorstandssitzung das Baukastensystem mit VW-Versionen von Audi 80 (Passat) und Audi 50 (Polo) sowie dem Marktstart des Entwicklungsauftrags 337 (Golf) am ersten August 1974. Ein Coupé auf Golfbasis sollte zusammen mit Giorgio Giugiaro und dem künftigen Produzenten Karmann realisiert werden. Schon Ende August hatte die Produktplanung ein solches Coupé empfohlen. Im November erhält Ital Design und damit Giugiaro das Startsignal und auch mit Karmann wurde VW einig. Eine Vertragsunterzeichnung mit Karmann erfolgt allerdings erst im Folgejahr

1972: Am 17. April wird das Außendesign des Scirocco verabschiedet und im September beginnt die Erprobung der Prototypen

1973: Ende des Jahres startet die Vorserienproduktion    

1974: Auf dem Genfer Automobilsalon feiert der Volkswagen Scirocco seine Weltpremiere, im April erfolgt der Marktstart. Dazu startet in Wolfsburg am 18. April eine Sternfahrt, bei der 1.000 Scirocco zu den Händlern ausschwärmen. Ein Wolfsburger Team unterstützt Karmann ab März bei Nachrüstarbeiten vor der Endkontrolle, weil Karmann die zugesagte Stückzahl nicht erreicht. Am 24. Oktober wird der 25.000ste Scirocco ausgeliefert, ab November erreicht die Tagesproduktion ihr Soll und der Scirocco steht in internen Qualitätsaudits vor Audi 50 und Golf. Im ersten Jahr werden 24.555 Scirocco verkauft

1975: Ab Januar mit optionaler Getriebeautomatik lieferbar. Im Oktober startet der Scirocco eine Motorsportkarriere mit Werksunterstützung auf Initiative durch die Fachzeitschriften „Sportfahrer“, „rallye racing“ und „Sportauto“. Eine Serie von 50 Cup-Scirocco wird aufgelegt. Insgesamt werden in diesem Jahr 58.942 Scirocco verkauft, 6.000 Einheiten mehr als geplant

1976: Am 11. April startet auf dem Hockenheimring der erste Lauf zum VW-Junior-Cup mit dem Scirocco. Erster Meister wird Manfred Winkelhock. Im Sommer wird der Scirocco GTI als neues Spitzenmodell mit 81 kW/110 PS eingeführt. Schon zum Beginn des Modelljahres startete ein 1,6-Liter-Motor mit 55 kW/75 PS als Ersatz für das bisherige 1,5-Liter-Triebwerk mit 51 kW/70 PS. Auch die 85-PS-Version dieses Motors wird durch eine 1,6-Liter-Maschine ersetzt. Für Luxus steht die neue GLI-Ausstattung

1977: Erstes Sondermodell ist der auf 2.000 Einheiten limitierte „schwarz-weiße Scirocco“. Es folgen bis 1980 die Sondermodelle „Scirocco CL“ mit weißen Zierstreifen und „Scirocco SL“ . Im September Facelift zur Mitte des Modellzyklus mit neuen Stoßfängern und um die Kotflügel herumgezogenen vorderen Blinkleuchten. Neues 51 kW/70 PS starkes Triebwerk ersetzt die bisherige 75-PS-Maschine. Insgesamt werden in diesem Jahr 87.902 Scirocco verkauft

1978: Neues optionales Aufstelldach, das herausgenommen und im Kofferraum verstaut werden kann

1979:  Facelift mit neuen Stoßfängern und Detailmodifikationen. Basismotorisierung ist jetzt ein 44 kW/60 PS starker 1,3-Liter-Benziner

1980: Ab August mit spritsparendem 4+E-Getriebe lieferbar

1981: Im Februar Produktionsauslauf nach 504.153 Einheiten. Auf dem Genfer Automobilsalon debütiert die zweite Generation des Scirocco  

Volkswagen Scirocco (1974-1979) mit 1,1-Liter-(37 kW/50 PS)-Vierzylinder-Benziner

Volkswagen Scirocco (1974-1975) mit 1,5-Liter-(51 kW/70 PS)-Vierzylinder-Benziner

Volkswagen Scirocco (1974-1975) mit 1,5-Liter-(63 kW/85 PS)-Vierzylinder-Benziner

Volkswagen Scirocco (1975-1977) mit 1,6-Liter-(55 kW/75 PS)-Vierzylinder-Benziner

Volkswagen Scirocco (1975-1976) mit 1,6-Liter-(63 kW/85 PS)-Vierzylinder-Benziner

Volkswagen Scirocco (1979-1981) mit 1,3-Liter-(44 kW/60 PS)-Vierzylinder-Benziner

Volkswagen Scirocco (1977-1981) mit 1,5-Liter-(51 kW/70 PS)-Vierzylinder-Benziner

Volkswagen Scirocco (1978-1981) mit 1,6-Liter-(63 kW/85 PS)-Vierzylinder-Benziner

Volkswagen Scirocco GTI (1976-1981) mit 1,6-Liter-(81 kW/110 PS)-Vierzylinder-Benziner

Volkswagen Scirocco L, 50 PS (1974) ab 9.995Mark

Volkswagen Scirocco TS, 85 PS (1974) ab 11.785 Mark

Volkswagen Scirocco L, 50 PS (1974) ab 10.040 Mark

Volkswagen Scirocco LS, 70 PS  (1974) ab 10.400 Mark

Volkswagen Scirocco TS, 85 PS (1974) ab 11.020 Mark

Volkswagen Scirocco L, 50 PS (1975) ab 12.225 Mark

Volkswagen Scirocco LS, 75 PS  (1975) ab 12.650 Mark

Volkswagen Scirocco TS, 85 PS (1975) ab 13.360 Mark

Volkswagen Scirocco GTI, 110 PS (1976) ab 16.125 Mark

Volkswagen Scirocco L, 50 PS (1978) ab 14.020 Mark

Volkswagen Scirocco LS, 70 PS  (1978) ab 15.000 Mark

Volkswagen Scirocco GT, 85 PS (1978) ab 15.520 Mark

Volkswagen Scirocco GTI, 110 PS (1978) ab 17.600 Mark

Volkswagen Scirocco L, 60 PS (1980) ab 14.680 Mark

Volkswagen Scirocco LS, 70 PS  (1980) ab 15.250 Mark

Volkswagen Scirocco GT, 85 PS (1980) ab 16.870 Mark

Volkswagen Scirocco GTI, 110 PS (1980) ab 19.430 Mark

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Ohne das Quäntchen Kult

Sportlich und dennoch preiswert war der erste Scirocco also und auch italienische Designattribute fehlten nicht. Dafür am Ende aber Emotionen, so wie sie technisch biedere Coupés à la Capri durch großvolumige Sechszylinder, lange Motorhaube und angedeuteten Hüftschwung kommunizierten. Ein Defizit, an dem der Scirocco trotz verschiedener Modellpflegemaßnahmen mit motorischer Aufrüstung beständig litt. So wartete der Scirocco GTI ab 1976 mit dem 110 PS kräftigem Einspritzer aus dem Golf GTI auf. Damit passierte das Volkscoupé die Tempo-100-Marke beim Standardsprint in unter neun Sekunden, wie Testberichte attestierten. Tatsächlich erklärte die Fachpresse den Volkswagen nun sogar zum Rivalen des mindestens 7.000 Mark teureren Porsche 924. Was der Scirocco aber nie war, denn dazu fehlte es ihm eindeutig an Prestige. Nicht einmal erfolgreiche Motorsporteinsätze bei einem neu geschaffenen Markenpokal konnten daran etwas ändern. Auch die verschiedenen, exklusiv ausgestatteten Sondermodelle und limitierte Sonderserien von Karossiers – darunter auch Cabriolet-Umbauten etwa von Crayford hielten den Scirocco zwar im Gespräch und gut im Geschäft. Ein Kultstatus, wie ihn Capri und Manta besaßen, blieb dem in Osnabrück gebauten Wolfsburger jedoch bis zum Schluss verwehrt.

Sogar als Youngtimer erlangte der Scirocco erst Liebhaberstatus als die Verschrotter die Bestandszahlen bereits auf ein Minimum reduziert hatten. Vielleicht war der erste Scirocco einfach zu sehr Golf, und damit zu perfekt für die Welt der jungen Wilden. (mh/sp-x)

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