Mehr noch, der kleine Klappscheinwerfer-Keil blieb Kult fast bis zum Jahr 1989, als Mazda mit dem MX-5 den klassischen Roadster revitalisierte. Seine Langzeit-Karriere hatten Presse und Publikum beim eher leisen Debüt des X1/9 nicht erwartet. Stand die Messe-Enthüllung des scharf gezeichneten Zweisitzers mit dem Namenskürzel eines Prototyps doch im Schatten kantiger Supercar-Präsentationen wie Maserati Khamsin, Lancia Stratos, Alfetta Spider oder Iso Varedo.
Zum Erfolgsmodell entwickelte sich der kleine X1/9 mit anfangs gerade einmal 75 PS starkem 1,3-Liter-Motor erst, als Fiat im folgenden Frühjahr die globale Vermarktung des Frischluftsportlers ankündigte. Dank Targa-Dach und Keilform sollte der neue Zweisitzer sogar auf dem schwierigen amerikanischen Markt für Furore sorgen wie ein Ferrari. Rufnamen wie "poor man`s Ferrari" oder "Volks-Ferrari" waren eher respektvoll, denn spöttisch gemeint.
Verkaufsfördernder Rosttod
Auch den Diskussionen um mögliche künftige Sicherheitsauflagen für Cabriolets konnte der Targa gelassen entgegen sehen. Zudem wartete die große Fan-Gemeinde des 850 Spider auf einen modernen Nachfolger ihres betagten Heckmotormodells. Auf den eigenwillig geformten X1/9 ließen sich viele Fahrer des von Bertone zeitlos schön gezeichneten 850 Spider aber erst ein, nachdem ihr Fiat den damals noch üblichen, altersbedingten Rosttod gestorben war und ein allgemein grassierendes Roadstersterben alle neuen, erschwinglichen Zweisitzer dahingerafft hatte.
Tatsächlich konnte der Kontrast zwischen den Konturen des 850 Spider und des X1/9 kaum größer sein. Gezeichnet und gebaut wurden die Karosserien beider Fiat bei Bertone. Einer Carrozzeria, die ebenso wie der wichtigste Konkurrent Pininfarina als verlängerte Werkbank großer Konzerne diente und auf Auslastung der Produktionsanlagen durch immer neue Coupés und Cabrios angewiesen war.
Der Keil-Kreative
Bertones schärfste Waffe im Kampf um Kundenaufträge war Marcello Gandini, der 1965 zum Chefdesigner ernannt wurde. Gandini formte aus Keilen kunstvolle Meisterwerke und bereicherte die Sportwagenwelt bereits mit seinem Erstlingswerk, dem Lamborghini Miura von 1966, um ein ultimatives Speedsymbol. Alfa Carabo, Lamborghini Countach, Lancia Stratos und Maserati Khamsin waren die nächsten Meilensteine, mit denen Gandini als Chefdesigner der Carrozzeria Bertone Geschichte schrieb.
Zum ersten Massenmodell in Keilform avancierte aber der Fiat X1/9. Der zweisitzige Sportwagen mit abnehmbarem Dachteil sollte bei Bertone neue Auslastung der Bänder bewirken, nachdem der noch von Gandinis Vorgänger Giorgetto Giugiaro gezeichnete Fiat 850 Spider seine siebenjährige Bestsellerkarriere beendet hatte. Was damals noch niemand ahnte: Der X1/9 sollte Bertone zur eigenständigen Automobilmarke aufsteigen lassen, denn ab 1982 erfolgten Produktion und auch Vertrieb des flotten Fiat unter dem traditionsreichen Signet des Karossiers.
Gleichteile-Strategie
Geradezu genial war der Coup, mit dem Firmenchef Nuccio Bertone den Produktionsauftrag für den kleinen Sportwagen errang. Fiat entwickelte Ende der 1960er Jahre seine erste Frontantriebsplattform für die kompakte Modellreihe 128. Einer italienischen Tradition folgend, sollten schöne Coupés und Cabriolets für den kleinen Geldbeutel die neue Volumenbaureihe des Turiner Automobilgiganten begehrenswerter machen. Diesmal wollten die Konzernstrategen die extravaganten Karosserievarianten allerdings parallel zur Limousine produzieren und von den gleichen Bändern rollen lassen. Eine Absicht, die sie mit den Typen 128 Sport und 128 3P Berlinetta später tatsächlich realisierten. Nur das ursprünglich geplante kleine Cabriolet wurde nicht umgesetzt, nachdem auf dem Turiner Salon 1969 eine spektakuläre Studie allen anderen potentiellen Messestars die Show stahl.
Bertones Formenkünstler Marcello Gandini präsentierte den Autobianchi Runabout mit dem Antrieb des Fiat 128. Den ultraflachen, rassigen Mittelmotor-Racer kennzeichnete eine scharfkantige Keilschrift, die auf die Salonbesucher ähnlich unwiderstehlich wirkte wie die Supersportwagen der Zwölfzylinder-Liga. Für Frischluft sorgte das Konzept einer Barchetta, für Sicherheit ein massiver Targabügel und für den Status einer reinen Stilstudie ohne ernste Produktionsabsichten stand der Name Autobianchi, damals eine Fiat-Tochter. Wenige Monate später waren Fiat und Bertone handelseinig, aus dem Autobianchi Runabout entstand ein neuer Fiat Spider mit dem gleichermaßen mysteriösen wie markanten Namen X1/9.
Gar nicht kryptisch
Dabei verbirgt sich hinter diesem schlicht und einfach der Entwicklungsname. "X1" symbolisiert die 1969 eingeführten neuen Plattformen. "X1/1" war das erste Projekt, der Fiat 128, "X1/9" war das neunte Projekt, nachdem aus dem vorhergehenden Fiat-Mittelmotor-Projekt "X1/8" (zeitlich verzögert) der Lancia Beta Montecarlo hervorging. Die Fertigung der Karosserien des X1/9 erfolgte im modernen Bertone-Werk Grugliasco bei Turin, die Endmontage des Fahrzeuge im historischen Fiat-Werk Lingotto. Die Antriebstechnik des X1/9 stammte aus dem Coupé 128 Sport, das ebenfalls 1972 in Serie ging und ungleich billiger als der X1/9 war.
Fiat verlangte 11.285 Mark für den X1/9, 40 Prozent mehr als für das gleichstarke 128 Coupé und fast 2.000 Mark mehr als Triumph für den Roadster Spitfire berechnete. Andererseits: Der Mittelmotorkonkurrent Matra 530 kostete auch nicht mehr als ein X1/9. Spätestens nach 1979, also in den freudlosen Jahren der Produktionseinstellung fast aller Cabrios, war der Fiat mit seiner auffälligen schwarzen Motorhaube hinter dem Targabügel und zwei Kofferabteilen nahezu ein Sonderangebot für Frischluftfans.
- Chronik
- Motorisierungen
- Produktionszahlen
1969: Auf dem Turiner Salon debütiert die Bertone-Studie Autobianchi Runabout, der Urvater des späteren X1/9. Serienbeginn für den Fiat 128, der die Antriebstechnik des X1/9 liefert
1972: Im Oktober Produktionsstart für den Fiat X1/9, Serie 1300 AS
1973: Am 7. Mai deutsche Markteinführung des X1/9. Ende des Jahres Markteinführung in den USA, dem größten Markt für den X1/9. Dort mit nur 66 PS leistendem, aber emissionsärmeren Motor
1974: X1/9 Abarth Prototipo fährt 1974/75 bei verschiedenen Rallyes in Italien und Frankreich Erfolge ein, wird aber nicht in der Rallye-WM eingesetzt. Stattdessen wird vom Fiat 131 eine Rallyeversion entwickelt
1975: Einführung der Motorsportversion Icsunonove Dallara mit Kunststoffkarosserie, 1,3-Liter-Motor mit Vierventiltechnik und Einspritzung und Leistungswerten ab 190 PS. Start in der Gruppe 5 nach Produktion einer Homologationsserie von 30 Einheiten
1976: Fiat X1/9 Exclusiv mit 73 PS Leistung und optischen Modifikationen
1977: Im Pariser Nachtclub Lido wird das Sondermodell Lido vorgestellt in schwarzmetallic und weißer Alcantara-Innenausstattung
1978: Im Oktober beginnt die Produktion des überarbeiteten Fiat X1/9, Serie 1500 AS. Neuer Motor, Fünfgang-Getriebe, neues Interieur, andere Stoßfänger und modifizierte Motorhaube. Weltpremiere auf der Birmingham Motorshow
1982: Serienstart für den Bertone X1/9, Typ 1500 AS IN Serie mit markanter Zweifarblackierung. Fiat zieht sich aus dem USA-Geschäft zurück und schließt das Werk Lingotto. Komplette Produktionsverlagerung des X1/9 zu Bertone und Vertrieb des Sportwagens unter der Marke Bertone
1984: Der X1/9 wird auf verschiedenen Märkten optional mit geregeltem Drei-Wege-Katalysator, aber geringerer Leistung lieferbar, in Deutschland ab Mai 1985
1986: Alcan in Montreal/Kanada baut fünf X1/9 Prototypen mit Aluminiumkarosserie
1987: Mit dem Sondermodell Gran Finale verabschiedet sich die Rechts-Lenker-Version des X1/9
1988: Produktionsende
1990: Letzte Lagerfahrzeuge aus den USA werden in Deutschland verkauft
X1/9 1300 (1972-1976), 1,3 Liter-Vierzylinder-Benziner mit 55 kW/75 PS bzw. mit 54 kW/73 PS (ab 1976).
X1/9 1500 (1978-1988), 1,5 Liter-Vierzylinder-Benziner mit 63 kW/86 PS bzw. mit 57 kW/77 PS und geregeltem Drei-Wege-Katalysator (ab 1984).
Fiat und Bertone X1/9 Gesamtproduktion (1972-1988): ca. 166.000 Einheiten, davon 50.262 Fiat X1/9 1300 (75 PS) von Oktober 1972 bis März 1976, 47.736 Fiat X1/9 Exclusiv 1300 (73 PS) von April 1976 bis August 1978, 700 Fiat X1/9 Lido 1300 (73 PS) von März 1977 bis August 1978, 51.403 Fiat X1/9 1500 Five Speed (86 PS) von September 1978 bis März 1984, 14.928 Bertone X1/9 1500 Typ 84/84 S (86 PS) von Januar 1984 bis März 1986, 11.348 Bertone X1/9 1500 Katalysator (77 PS) von Januar 1984 bis März 1986, 5.691 Bertone X1/9 1500 (86 PS)/ 1500 Katalysator (77 PS)/Gran Finale von April 1986 bis Juni 1988
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Langes Leben
Eine Sonderstellung besaß der Sportwagen auch in anderer Hinsicht. So überlebte der X1/9 seinen Technikspender Fiat 128 und sogar fast dessen Nachfolger Fiat Ritmo, dem er verschiedene technische Auffrischungen wie eine Leistungssteigerung auf 86 PS verdankte. Der von den Medien "Baby-Ferrari" genannte Flitzer überstand sogar den 1982 beschlossenen Rückzug von Fiat aus den USA, dem weltweit wichtigsten Absatzmarkt für Modelle wie den X1/9.
Ebenso wie Pininfarina, damals verantwortlich für die Fertigung des Fiat 124 Spider, entschied sich Bertone dafür, den Vertrieb seiner Sportwagen fortan unter eigener Marke zu übernehmen. Mehr noch: Auch die komplette Produktion mit Endmontage des X1/9 musste nun bei Bertone erfolgen, da das Fiat-Werk Lingotto geschlossen wurde. Bertone nutzte die Gelegenheit für eine gründliche Modellpflege des Keils, der mit neuen Farben und technischen Modifikationen in die letzte Runde startete.
Selten gewordenes Kultobjekt
Als die Produktion Mitte 1988 endgültig auslief, reichten die Vorräte vieler Fiat-Händler noch für zwei Jahre. Ein rabattgestützter Abverkauf war allerdings nicht notwendig, schließlich verkürzten die letzten X1/9 Neuwagen die Wartezeit bis zur Markteinführung des Mazda MX-5. Der Japaner wiederum inspirierte Fiat zu einem eigenen Roadster-Relaunch, den die Italiener 1995 mit der Barchetta zelebrierten. Den Kultstatus des X1/9 erreichte diese jedoch nicht.
Trotz der langen Produktionszeit ist der X1/9 aus dem Straßenbild nahezu verschwunden und tummeln sich auf dem Gebrauchtmarkt leider nur noch wenige Exemplare.