Ins kollektive Gedächtnis der Generation Golf brannte sich der Italiener jedoch vor allem als tragischer Held, der schon im Schauraum die rostigen Spuren schlechter Stahlqualität präsentierte. Als Alfa Romeo im Jahr 1980 endlich das Problem der braunen Pest gelöst hatte und den kompakten Limousinen zudem die bis dahin fehlende Heckklappe spendierte, war der Ruf bereits ruiniert und der neue Alfa 33 machte sich startklar, die Nachfolge des Alfasud anzutreten. Was den Alfasud nicht davon abhielt, bei den Produktionszahlen einen Allzeitbestwert in der Unternehmensgeschichte aufzustellen. Über eine Million Einheiten wurden als zwei- und viertüriger Limousine, extravagantem Kombi Giardinetta mit holzvertäfeltem Laderaum sowie keilförmigem Coupé Sprint verkauft. Diese beachtliche Gesamtzahl konnten nicht einmal über 700 Streiks verhindern, die immer wieder Produktionspausen im neuen Alfasud-Werk bei Neapel erzwangen.
Dabei nahm das erste Volksauto der italienischen Marke wesentliche Merkmale der erst zwei Jahre später lancierten neuen Wolfsburger Volkswagen-Generation vorweg. So konzipierte Entwicklungschef Rudolf Hruska den Alfasud als Fronttriebler mit kompakt bauendem Boxermotor und damals beispielhaft großem Raumangebot für Passagiere und Gepäck.
Der erste gänzlich neue Alfa Romeo seit dem Typ 1900 aus dem Jahr 1950 setzte Maßstäbe in der unteren Mittelklasse - ähnlich wie es anschließend dem variablen Golf gelang.
Giugiaros Geniestreich
Zum genialen Wurf wurde der Alfasud aber erst durch das Design von Giorgetto Giugiaro, der kurz zuvor sein Atelier Italdesign gegründet hatte. Die zeitlos gefälligen Schräghecklinien der 3,89 Meter kurzen Limousine und die scharfkantigen Konturen des Coupés Sprint bescherten Giugiaro die Lorbeeren, die ihn endgültig zum Designer der Volkswagen-Modelle Golf und Scirocco qualifizierten. Dies obwohl die Serienversion des Alfasud Sprint erst 1976 und damit zwei Jahre nach dem Scirocco in Produktion ging. Andererseits blieb der kompakte Keil der Mailänder Marke wesentlich länger aktuell als der Wolfsburger Wüstenwind – erst nach 13 Jahren fiel der letzte Vorhang für das kleine Coupé von Alfasud, das bis zum Schluss auch durch Erfolge bei Rundstreckenrennen und Markenpokalen Beifall erzielte.
Ähnlich gewaltig wie die Produktionsumstellung, die Volkswagen beim Wechsel vom Käfer auf den Golf bewältigen musste, wirkte auf den Staatskonzern Alfa Romeo die Auflage der Regierung, für den Alfasud ein eigenständiges, neues Werk zu errichten. Gedacht war die Fabrik als wirtschaftliches Förderprogramm für den strukturschwachen Süden des Landes. In nur anderthalb Jahren wurden in Pomigliano d’Arco bei Neapel neue Produktionsanlagen erbaut. Alfa Romeo war der Standort im Mezzogiorno zwar nicht unbekannt, denn dort hatte die Mailänder Marke bereits Flugmotoren und auch Lizenzmodelle wie Renault Dauphine und Renault 4 gefertigt.
Rekordhalter beim Streiken
Skeptisch betrachtete Alfa Nord aber die Perspektiven einer formal unabhängigen Alfasud S.p.A. und die geplanten großen Produktionsvolumina für das neue Werk neben der alten Flugmotoren-Fabrik. Vielleicht lag es auch daran, dass viele der neu einzustellenden Arbeiter erst geschult werden mussten. Eine nicht unberechtigte Skepsis, wie sich rasch zeigen sollte. Waren es bis zum Serienstart der Alfasud Limousine im April 1972 vor allem britische Automobilhersteller, die durch streikfreudige Mitarbeiter für Meldungen in den Wirtschaftsnachrichten sorgten, stand nun Alfa Romeo mit fast wöchentlichen Streikmeldungen in den Schlagzeilen. Überdies galt die kontinuierliche Abwesenheitsquote von etwa 20 Prozent der Mitarbeiter als unrühmlicher Europarekord, bei einem Fußballspiel der Nationalmannschaft sollen sogar 40 Prozent der Arbeiter gefehlt haben. Der tatsächliche Fahrzeugausstoß lag deshalb bis Anfang der 1980er Jahre kontinuierlich mindestens ein Drittel unter den geplanten Werten.
Damit noch nicht genug der Negativmeldungen. Korrosionskummer hatten in den 1970er Jahren fast alle Hersteller, besonders wenn der Stahl wie bei Alfa Romeo aus russischen Werken stammte, die westeuropäischen Schrott recycelten. So arg wie die Italiener traf es aber wahrscheinlich keine zweite Marke. Zu lange zögerte Alfa mit der umfassenden Bekämpfung des Problems, außerdem machten Irrwege wie die Ausschäumung der Hohlräume des Alfasud alles noch schlimmer. Denn der in die Hohlräume gespritzte Schaum wurde nach und nach porös und zog mehr Feuchtigkeit als zuvor an. Erst im Zuge eines umfassenden Facelifts zum Modelljahr 1981 wurde endlich vieles besser, da jedoch hatte die Marke bereits einen Imageschaden genommen, der über Jahre anhielt. „Alfa Rosteo“ oder „Rostet schon im Prospekt“, lästerten Presse und Publikum über die schönen Südeuropäer.
- Chronik
- Wichtige Motoren
- Produktionszahlen
1967: Entwicklungsstart für ein neues Einstiegsmodell der Marke, das zudem in neuem Werk in Süditalien produziert werden sollte
1968: Gründung der formal unabhängigen Alfasud S.p.A. Am 28. April erfolgte die Grundsteinlegung im neuen Werk Pomigliano d’Arco bei Neapel
1971: Auf dem Turiner Salon feiert der Alfasud als neues Einstiegsmodell der Marke Weltpremiere. Zwei- und viertürige Prototypen. Als erster Alfa Romeo mit Frontantrieb
1972: Im April Start der Serienproduktion als viertürige Limousine
1973: Im Oktober Einführung einer zweitürigen Karosserievariante (Alfasud ti)
1975: Vorstellung und Produktionsanlauf für die Kombiversion Giardinetta
1976: Im September geht das dreitürige Coupé Sprint in Serie. Neu für den Sprint ist ein 1,3-Liter-Boxermotor, der wenig später auch in den Limousinen eingesetzt wird
1978: Präsentation eines 1,5-Liter-Boxermotors für Limousine und Sprint
1979: Spitzenmotorisierung ist das 1,5-Liter-Triebwerk mit nunmehr 95 PS
1980: Die Motivation und Arbeitsfähigkeit der Mitarbeiter im Alfasud-Werk bereitet dem Konzern neue Sorgen. Eine angebliche tägliche Abwesenheitsquote von 20 Prozent der Mitarbeiter ist Europarekord, bei einem Fußballspiel der Nationalmannschaft sollen sogar 40 Prozent der Arbeiter gefehlt haben, 20 Prozent der Belegschaft sollen von der Krankenkasse eine körperliche Behinderung bescheinigt bekommen haben, knapp fünf Prozent seien sogar Invaliden. Der mögliche Fahrzeugausstoß betrage deshalb nur noch 455 Fahrzeuge, 30 Prozent weniger als Autos verkauft werden und produziert werden könnten. Facelift für die gesamte Alfasud-Baureihe, dabei Vorstellung der Alfasud-Limousinen mit Heckklappe
1981: Marktstart für die Alfasud-Limousinen mit Heckklappe
1983: Zum Modelljahr 1984 Einstellung der Alfasud-Limousinen. Sprint 1.5/1.5 QV mit 1,5-Liter-Motor und jetzt 105 PS
1987: Einführung des 1,7-Liter-Boxermotors im Sprint, der zuvor bereits im Alfasud-Nachfolger Alfa 33 debütierte
1988: Jetzt auch Version mit geregeltem Drei-Wege-Katalysator für den Sprint im Angebot
1989: Ende des Jahres läuft das Coupé Sprint aus
Alfasud/Giardinetta (1972-1980) mit 1,2-Liter-Vierzylinder-Motor (46 kW/63 PS)
Alfasud ti/ti 1.2 (1973-1979) mit 1,2-Liter-Vierzylinder-Motor (50 kW/68 PS)
Alfasud ti (1976-1977) mit 1,3-Liter-Vierzylinder-Motor (55 kW/75 PS)
Alfasud ti 1.3 (1978-1980) mit 1,4-Liter-Vierzylinder-Motor (55 kW/75 PS)
Alfasud Super 1.3 (1977-1980) mit 1,3-Liter-Vierzylinder-Motor (50 kW/68 PS)
Alfasud Super 1.3 (1978-1982) mit 1,4-Liter-Vierzylinder-Motor (52 kW/71 PS)
Alfasud Giardinetta (1978-1980) mit 1,4-Liter-Vierzylinder-Motor (52 kW/71 PS)
Alfasud Super 1.5/ti 1.5 (1978-1980) mit 1,5-Liter-Vierzylinder-Motor (62 kW/84 PS)
Alfasud1.3 (1980-1983) mit 1,4-Liter-Vierzylinder-Motor (55 kW/75 PS)
Alfasud Super 1.5/ti 1.5 (1980-1983) mit 1,5-Liter-Vierzylinder-Motor (62 kW/84 PS)
Alfasud ti1.3 (1980-1983) mit 1,4-Liter-Vierzylinder-Motor (63 kW/86 PS)
Alfasud ti 1.5/1.5 QV (1980-1983) mit 1,5-Liter-Vierzylinder-Motor (70 kW/95 PS)
Alfasud ti 1.5 QV (1983) mit 1,5-Liter-Vierzylinder-Motor (77 kW/105 PS)
Alfasud Sprint (1977-1978) mit 1,3-Liter-Vierzylinder-Motor (55 kW/75 PS)
Alfasud Sprint (1978-1979) mit 1,4-Liter-Vierzylinder-Motor (58 kW/79 PS)
Alfasud Sprint 1.5 (1978-1979) mit 1,5-Liter-Vierzylinder-Motor (62 kW/84 PS)
Alfasud Sprint 1.5 QV (1979-1983) mit 1,5-Liter-Vierzylinder-Motor (70 kW/95 PS)
Alfasud Sprint Veloce 1.3/Sprint 1.3 (1979-1987) mit 1,4-Liter-Vierzylinder-Motor (63 kW/86 PS)
Sprint 1.5/1.5 QV (1983-1987) mit 1,5-Liter-Vierzylinder-Motor (77 kW/105 PS)
Sprint 1.7 QV (1987-1988) mit 1,7-Liter-Vierzylinder-Motor (87 kW/118 PS)
Sprint 1.7 QV i.e. Kat. (1988) mit 1,7-Liter-Vierzylinder-Motor (77 kW/105 PS)
Alfasud-Baureihe insgesamt (1972-1989): 1.028.258 Einheiten, davon
Alfasud (1972-1984): 900.925 Einheiten
Alfasud Giardinetta (1975-1982): 5.899 Einheiten
Alfasud Sprint (1976-1989): 121.434 Einheiten.
Alfasud Zulassungen in Deutschland (mit Giardinetta 1972-1984): 109.985 Einheiten
Alfasud Sprint Zulassungen in Deutschland (1976-1988): 7.150 Einheiten
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Fuhr sich in viele Herzen
Dabei fuhren Alfasud und Alfasud Sprint als Neuwagen in Vergleichstests den meisten Wettbewerbern davon. Besonders am Anfang seiner insgesamt 17 Jahre währenden Karriere distanzierte der geräumige und fahrdynamisch überlegene Alfasud in den Eigenschaftswertungen konservative Konkurrenten wie Opel Kadett und Ford Escort, aber auch mit Avantgardisten wie dem Citroën GS konnte es das stets vergleichsweise preiswerte Einstiegsmodell der Marke mit der Schlange im Signet aufnehmen. Tatsächlich liebten viele Kompaktklasse-Käufer den italienischen Temperamentsbolzen mit den soundstarken und zunächst maximal 63 PS freisetzenden Boxermotoren so leidenschaftlich, dass sie bereit waren, seine Defizite hinzunehmen. Dazu zählte neben den Qualitätsmängeln auch das Fehlen einer praktischen Heckklappe.
Zwar konnten der 1975 eingeführte zweitürige Kombi Giardinetta und das ein Jahr später folgende Coupé Sprint mit dieser mittlerweile im Wettbewerbsumfeld verbreiteten Ladeluke aufwarten, die Alfasud-Limousinen erhielten die hintere Tür jedoch erst im reifen Alter von neun Produktionsjahren. Zeitgleich spendierte Alfa Romeo seinem Kleinsten eine Leistungskur mit erweiterter Motorenpalette, die nun von 75 bis 105 PS reichte. Nur eine Studie blieb dagegen der von Zagato für die berühmt-berüchtigte Rallye-WM-Gruppe-B vorgesehene Sprint 6V mit 2,5-Liter-V6-Mittelmotor. Offen für Neues blieb der italienische Kompaktklasse-Pionier aber bis zum Schluss: Ende der 1980er Jahre gab es den Sprint sogar mit geregeltem Drei-Wege-Katalysator.
Müßig alle Spekulationen, wie sehr die langanhaltende Pech- und Pannenserie der Karriere des Alfasud schadete. An die Stückzahlen des kleinen Neapolitaners konnte jedenfalls kein Nachfolger anknüpfen, die Fans feierten den Fronttriebler mit den drehfreudigen Boxermotoren als erfolgreichstes Modell der Marke mit dem Cuore Sportivo.