Er machte Raum zum Programm, vor allem aber verband seine "Monospace" genannte Einvolumen-Karosserie erstmals das Platzangebot eines Transporters mit dem Komfort einer Limousine. Vielleicht war es deshalb nur konsequent, dass Renault 1992 das Beste aus diesen Konzepten kombinierte. Diesmal mit einem charmanten Mini, der durch die Monospace-Bauweise im Innenraum zum Maxi wurde. "Twingo, der macht die Welt verrück", kündigte die Renault-Werbung den neuen Kleinwagen an. Nicht ganz zu Unrecht, verzauberte der 3,43 Meter kurze Stadtflitzer das Premierenpublikum auf dem Pariser Salon doch nicht nur durch seine innere Größe und bunte Farben, sondern auch mit Schweinwerfern in Form fröhlich blickender Kulleraugen. Die charmante Frontgestaltung nach den Formen des Kindchenschemas machte den Twingo begehrenswert und ließ über anfängliche Defizite wie den jahrzehntealten Vierzylinder hinwegsehen.
Modische Sondermodelle und technische Auffrischungen bescherten dem schicken Star in der Zwergenparade aus Nissan Micra, Ford Ka oder Citroen Saxo ein langes Leben. Fast 2,5 Millionen Käufer konnte der kleine Renault in 15 Jahren gewinnen, davon über 500.000 in Deutschland, erst dann zeigte sich die zweite Twingo-Generation in neuem Jugend-Stil. Ein ultimatives Trendmobil wie der Ur-Twingo ist der erwachsener wirkende Neue nicht mehr, große Erfolge kann er aber dennoch bis heute einfahren.
Wie ein Haustier
"Twingo wird für viele wie ein Haustier sein", erklärte der Renault-Chefdesigner und Kleinwagen-Projektleiter Patrick Le Quément als er den finalen Prototypen X-06 seinem Konzernchef Raymond Lévy präsentierte. Mit einem Mini-Budget von 700 Millionen Dollar hatte Le Quément ab 1987 aus einem seit einem halben Jahrzehnt dahindümpelnden Projekt in nur vier Jahren einen unverwechselbaren Cityflitzer mit niedlichem Gesicht geformt und zur Serienreife gebracht.
Außen war der Twingo kürzer als fast alle Konkurrenten – so maß er etwa 27 Zentimeter weniger als das spätere Konzernschwestermodell Nissan Micra. Dennoch überraschte er mit Platz für bis zu vier Passagiere. Möglich machten dies der lange Radstand, ungewöhnlich breite Türen für bequemen Einstieg und eine um 17 Zentimeter verschiebbare Rücksitzbank zugunsten größerer Beinfreiheit im Fond. Umzugs- und möbelhaustauglich wurde der Twingo durch das maximal 955 Liter fassende Gepäckabteil.
Unkonventioneller Gallier
Als frech-fröhlicher Verführer gab sich der unkonventionelle Gallier auch im Cockpit, das von einer zentral platzierten, digitalen Kombianzeige auf der Oberseite des Armaturenträgers bestimmt wurde. Spiegelte der Mini einst bis ins Cockpit englische Exzentrik, so faszinierte der Twingo durch französischen Futurismus. Und durch Purismus. Eine einzige Ausstattungslinie, eine Motorversion mit 55 PS und nur zwei Extras (Klimaanlage und Faltdach) gab es für den bonbonbunt lackierten Twingo, den auch ein günstiger Basispreis von 16.000 Mark für viele unwiderstehlich machte.
Über 2.500 Messebesucher bestellten den niedlichen Renault noch auf dem Premierenpodium des Pariser Salons. Billig blieb die erste im französischen Werk Flins gefertigte Twingo-Generation übrigens bis zum Ende ihrer 15-jährigen Laufzeit: Nur 9.200 Euro kostete der Ur-Twingo als 2007 ein völlig neuer Twingo auf Clio-Basis und aus slowenischer Produktion die Nachfolge des einstigen Trendsetters übernahm. Unverwüstlich scheint der erste Twingo dagegen in Südamerika, wo die Bänder im kolumbianischen Envigado bis heute weiter laufen.
Ewige Jugend
Scheinbar ewige Jugend schenkten dem Twingo regelmäßige Modellpflegen mit Aufrüstung der Sicherheitsausstattung, ein auf 60 PS erstarkter Basismotor (ab 1996), ein noch kräftigerer 75 PS leistender 16-Ventiler (ab 2000) und die regelmäßigen Besuche bei prominenten Modecouturiers. 1994 kündigte Renault an, alle zwei Jahre eine neue, limitierte Twingo-Kollektion auf den Laufsteg der Autohäuser zu schicken. Den Anfang machten Kenzo, Benetton und Elite bis 1999 die Abschlussklasse der berühmten Pariser Designschule "École Supérieure des Arts et Technique de la Mode" (ESMOD) die Rollen wechselte. Die Schüler von ESMOD kleideten nicht den Twingo ein, sondern sie ließen sich durch dessen Farben und Formen zu femininen Partykleidern inspirieren.
Andererseits wartete der automobile Modemacher nach einem gründlichen Facelift im Jahr 1998 selbst mit gänzlich neuer Couture auf. Renault spendierte seinem Modell für elegante Großstadtboulevards erstmals fünf verschiedenen Ausstattungsniveaus, darunter auch die noble Version Initiale. Mit Klimaanlage, Ledersitzen und optionalem Navigationsradio brachte der Twingo einen Hauch großer Klasse ins automobile Einsteigersegment. Luxus und Lifestyle wie ihn die Kleinwagenwelt zwar seit den ersten Edelausgaben des englischen Mini kennt, der sich letztlich aber erst heute durchsetzt.
Twist, Swing und Tango
Auch abseits der Asphaltboulevards tanzte das Multitalent Twingo – sein Name steht für Twist, Swing und Tango – ähnlich wild wie der kleine Engländer in den Swinging Sixties. Etwa als fauchendes und Feuer speiendes Ungetüm im Vorprogramm des 24-Stunden-Rennens auf dem Nürburging. Bestückt mit einem 2.200 PS leistenden Düsenjäger-Triebwerk glühte ein über 300 km/h schneller Twingo-Jet 1999 die Start- und Zielgerade hinunter. Im Frühjahr 1995 krönte ein Twingo-Katamaran das Rahmenprogramm der Filmfestspiele in Cannes.
Angetrieben von zwei 150 PS starken Mercury-Außenbordern kreuzte ein Twingo Marine mit bis zu 30 Knoten (55 km/h) vor der Küste der französischen Festivalstadt. Umbauten zu Showcars wie Pickups, Landaulette-Cabriolets, Feuerwehrfahrzeuge, Drag Racer und Lowrider nehmen sich da schon fast gewöhnlich aus. Bei europäischen und französischen Rallyeserien startete ein 160 PS leistender Twingo mit Technikkomponenten aus dem Clio RS und bei der legendären französischen Eisrennserie "Trophée Andros" holte sich ein Twingo mehrere Klassensiege. Derweil sorgte ein Twingo mit Motorradtechnik bei Kartrennen für Furore.
- Chronik
- Wichtige Motoren
- Preisbeispiele
1981: Entwicklungsstart für das Kleinwagenprojekt VBG (Véhicule Bas de Gamme)
1986: Marcello Gandini entwirft den Protoypen W60
1987: Patrick Le Quément übernimmt die Projektverantwortung, neuer Code-Name "X-06"
1992: Am 5. Oktober zelebriert der Twingo seine Weltpremiere auf dem Pariser Salon
1993: Im April erfolgt der Verkaufsstart des Twingo in einer einheitlichen Ausstattungsversion. Im Juni Einführung von Seitenaufprallschutz und Heckscheibenwischer. Twingo Wind mit Klimaanlage (nur in Südeuropa)
1994: Im Juni wird die Farbpalette erneuert und das Interieur modellgepflegt. Im Oktober Markstart des Twingo Easy mit Halbautomatik. Auf manchen Märkten wird ein Twingo Transporter eingeführt, mit weißer Lackierung und ohne Rückbank, dafür mit 1,0 m³ Ladevolumen
1995: Produktionsanlauf in Kolumbien und Uruguay. Ab Juni Twingo Air mit Klimaanlage. Erstes limitiertes Sondermodell ist der Twingo Kenzo im September. Beifahrerairbag als Option. Bei den Filmfestspielen in Cannes wird ein "Twingo Marine" genanntes Amphibienfahrzeug eingesetzt
1996: Im März erscheint das Sondermodell Twingo Benetton. Facelift im Juni, neuer D7F-Motor, steifere Karosserie, neue Außenfarben, Interieurüberarbeitung
1997: Im Juli erreicht der Twingo die Produktionsmarke von 1.000.000 Einheiten. Im Juli außerdem Sondermodell Twingo e mit Elite-Models. Bis 1999 startet bei der Eisrennserie Trophée Andros ein Twingo mit 3,0-Liter-V6-Mittelmotor
1998: Gründliche Überarbeitung im Juli mit neuen Scheinwerfern, Farben und Ausstattungen
1999: Im Vorfeld des 24-Stunden-Rennens auf dem Nürburgring startet ein Twingo mit Düsentriebwerk
2000: Ab September alle Modelle mit ABS. Einführung des 75-PS-16V-Motors im Dezember
2002: Im Juni erreicht der Twingo die Produktionsmarke von 2.000.000 Einheiten
2003: Bremsassistent serienmäßig
2006: Auf dem Genfer Salon debütiert ein Twingo mit Elektroantrieb. Auf dem Pariser Salon feiert die zweite Generation des Twingo als Concept Car Premiere
2007: Weltpremiere für die Serienversion der zweiten Twingo-Generation auf dem Genfer Salon. Produktionsstart in Slowenien. Am 28. Juni endet die Twingo-Produktion im französischen Werk Flins
2008: Produktionsauslauf des ersten Twingo in Uruguay
2010: Markteinführung des Renault Wind, ein Coupé-Cabriolet auf Twingo-Basis
2011: Auf der IAA debütiert die Facelift-Version der zweiten Twingo-Generation
Renault Twingo, erste Generation (1993-2007) mit 1,24-Liter-Vierzylinder-Benziner mit 40 kW/55 PS bzw. mit 1,15-Liter-Vierzylinder mit 43 kW/60 PS bzw. 55 kW/75 PS
Renault Twingo, zweite Generation (seit 2007) mit 1,2-Liter-Vierzylinder-Benziner mit 43 kW/58 PS bzw. 55 kW/75 PS bzw. bzw. 56 kW/76 PS bzw. 74 kW/100 PS bzw. 75 kW/102 PS bzw. mit 1,6-Liter-Vierzylinder-Benziner mit 98 kW/133 PS bzw. mit 1,5-Liter-Vierzylinder-Diesel mit 47 kW/64 PS bzw. 55 kW/75 PS bzw. 63 kW/86 PS
Renault Twingo 1.2 (1993): ab 16.000 Mark
Renault Twingo 1.2 (1997): ab 16.800 Mark
Renault Twingo 1.2 Easy (1997): ab 18.900 Mark
Renault Twingo Matic 1.2 (1997): ab 20.500 Mark
Renault Twingo 1.2 (2001): ab 17.602 Mark
Renault Twingo 1.2 16V (2001): ab 19.950 Mark
Renault Twingo 1.2 (2004): ab 9.050 Euro
Renault Twingo 1.2 16V (2004): ab 10.550 Euro
Renault Twingo 1.2 (2009): ab 9.690 Euro
Renault Twingo 1.2 16V (2009): ab 10.890 Euro
Renault Twingo 1.6 16V Sport (2009): ab 14.890 Euro
Renault Twingo 1.5 dCi (2009): ab 12.290 Euro
Renault Twingo 1.2 LEV 75 (2012): ab 9.990 Euro
Renault Twingo TCe 100 (2012): ab 14.200 Euro
Renault Twingo 1.6 16V 130 (2012): ab 16.990 Euro
Renault Twingo dCi 85 (2012): ab 15.500 Euro
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Eingebauter Kultstatus
Vielleicht fühlte sich Renault durch diese spektakulären Racer dazu animiert, die zweite Twingo-Generation 2011 mit einer sportlich-scharfen Gordini-Version nachzuwürzen. Denn ein bisschen bieder wirkte das 2007 eingeführte Einsteigermodell schon bis Sondermodelle, Designstudien und der Open-Air-Star Renault Wind etwas vom Glanz früher Twingo-Jahre zurückholten.
Oft ist der 20. Geburtstag ein kritisches Alter für Massenmodelle, zu jung für den Youngtimerstatus und zu alt für die Herausforderungen des automobilen Alltags. Nicht so beim Twingo der ersten Generation. Sein scheinbar eingebauter Kultstatus und seine überraschende Langlebigkeit bewahren ihn vorläufig davor, in zu großer Stückzahl beim Autoverwerter zu verschwinden.